gehörigen Platz angewiesen. Auch hier hat sie die Blume zur Ergötzung und das Korn zur Erhaltung gepflanzet. Und wenn dieses, wie ich nicht zweifle, seine Richtigkeit hat: so sehe ich nicht ein, woher wir das Recht nehmen wollen, alle Rosen auszureißen, um nichts als Kartof- feln dafür zu ziehen. Man lasse jedem seine Stelle, und es wird alles gut gehen.
Durchdrungen von diesen großen Wahrheiten sehe ich den verfeinerten Theil der Menschen an Höfen und in Städten mit ihren Moden, Künsten, Wissenschaften und witzigen Erfindungen als das Blumenbeet der Natur; das platte Land hingegen als ihr Kornfeld an. So wie das letzte gut steht, wenn sich nicht viel Blumen unter dem Korne befinden: so mag auch das erste immer schö- ner aussehen, je weniger Korn darauf wächst; und da einmal die Natur beydes zum allgemeinen Besten und Vergnügen angebauet haben will: so glaube ich daß wir keine bessere Einrichtung treffen können, als daß wir die Blumen in den Städten, und das Korn draussen auf dem Lande ziehen. Auch hierin hat uns die Natur ein für- trefliches Beyspiel gegeben; sie läßt den Weitzen nicht mit schönen Blüthen glänzen, und fordert von den schön- sten Blumen keine Früchte zu unsrer Erhaltung.
Wenn die Kunst der Natur folgt: so hat sie die be- ste Wegweiserinn, und wir folgen ihr in den Städten, wenn wir alles in edle Blumen verwandeln. Hiezu die- nen Wissenschaften, Künste und Moden, und aus diesem Gesichtspunkte bewundere ich jetzt die unermüdete Bemü- hung der Menschen in den Städten, sich um die Wette schö- ner und glänzender zu zeigen; ich sehe jede Haube als eine neue Art ausländischer Blumen an, die in unsre Gegend verpflanzet wird, und mache der Tulpe so wenig einen
Vor-
der neueſten Moden enthalten.
gehoͤrigen Platz angewieſen. Auch hier hat ſie die Blume zur Ergoͤtzung und das Korn zur Erhaltung gepflanzet. Und wenn dieſes, wie ich nicht zweifle, ſeine Richtigkeit hat: ſo ſehe ich nicht ein, woher wir das Recht nehmen wollen, alle Roſen auszureißen, um nichts als Kartof- feln dafuͤr zu ziehen. Man laſſe jedem ſeine Stelle, und es wird alles gut gehen.
Durchdrungen von dieſen großen Wahrheiten ſehe ich den verfeinerten Theil der Menſchen an Hoͤfen und in Staͤdten mit ihren Moden, Kuͤnſten, Wiſſenſchaften und witzigen Erfindungen als das Blumenbeet der Natur; das platte Land hingegen als ihr Kornfeld an. So wie das letzte gut ſteht, wenn ſich nicht viel Blumen unter dem Korne befinden: ſo mag auch das erſte immer ſchoͤ- ner ausſehen, je weniger Korn darauf waͤchſt; und da einmal die Natur beydes zum allgemeinen Beſten und Vergnuͤgen angebauet haben will: ſo glaube ich daß wir keine beſſere Einrichtung treffen koͤnnen, als daß wir die Blumen in den Staͤdten, und das Korn drauſſen auf dem Lande ziehen. Auch hierin hat uns die Natur ein fuͤr- trefliches Beyſpiel gegeben; ſie laͤßt den Weitzen nicht mit ſchoͤnen Bluͤthen glaͤnzen, und fordert von den ſchoͤn- ſten Blumen keine Fruͤchte zu unſrer Erhaltung.
Wenn die Kunſt der Natur folgt: ſo hat ſie die be- ſte Wegweiſerinn, und wir folgen ihr in den Staͤdten, wenn wir alles in edle Blumen verwandeln. Hiezu die- nen Wiſſenſchaften, Kuͤnſte und Moden, und aus dieſem Geſichtspunkte bewundere ich jetzt die unermuͤdete Bemuͤ- hung der Menſchen in den Staͤdten, ſich um die Wette ſchoͤ- ner und glaͤnzender zu zeigen; ich ſehe jede Haube als eine neue Art auslaͤndiſcher Blumen an, die in unſre Gegend verpflanzet wird, und mache der Tulpe ſo wenig einen
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der neueſten Moden enthalten.
gehoͤrigen Platz angewieſen. Auch hier hat ſie die Blume
zur Ergoͤtzung und das Korn zur Erhaltung gepflanzet.
Und wenn dieſes, wie ich nicht zweifle, ſeine Richtigkeit
hat: ſo ſehe ich nicht ein, woher wir das Recht nehmen
wollen, alle Roſen auszureißen, um nichts als Kartof-
feln dafuͤr zu ziehen. Man laſſe jedem ſeine Stelle, und
es wird alles gut gehen.
Durchdrungen von dieſen großen Wahrheiten ſehe
ich den verfeinerten Theil der Menſchen an Hoͤfen und in
Staͤdten mit ihren Moden, Kuͤnſten, Wiſſenſchaften und
witzigen Erfindungen als das Blumenbeet der Natur;
das platte Land hingegen als ihr Kornfeld an. So wie
das letzte gut ſteht, wenn ſich nicht viel Blumen unter
dem Korne befinden: ſo mag auch das erſte immer ſchoͤ-
ner ausſehen, je weniger Korn darauf waͤchſt; und da
einmal die Natur beydes zum allgemeinen Beſten und
Vergnuͤgen angebauet haben will: ſo glaube ich daß wir
keine beſſere Einrichtung treffen koͤnnen, als daß wir die
Blumen in den Staͤdten, und das Korn drauſſen auf dem
Lande ziehen. Auch hierin hat uns die Natur ein fuͤr-
trefliches Beyſpiel gegeben; ſie laͤßt den Weitzen nicht
mit ſchoͤnen Bluͤthen glaͤnzen, und fordert von den ſchoͤn-
ſten Blumen keine Fruͤchte zu unſrer Erhaltung.
Wenn die Kunſt der Natur folgt: ſo hat ſie die be-
ſte Wegweiſerinn, und wir folgen ihr in den Staͤdten,
wenn wir alles in edle Blumen verwandeln. Hiezu die-
nen Wiſſenſchaften, Kuͤnſte und Moden, und aus dieſem
Geſichtspunkte bewundere ich jetzt die unermuͤdete Bemuͤ-
hung der Menſchen in den Staͤdten, ſich um die Wette ſchoͤ-
ner und glaͤnzender zu zeigen; ich ſehe jede Haube als eine
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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/55>, abgerufen am 27.07.2024.
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