Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786.

Bild:
<< vorherige Seite

Ueber die Sittlichkeit der Vergnügungen.
sind nicht glücklicher, als wenn die ganze Welt mit uns
glücklich ist; wir theilen Opern, Redouten, Comedien,
Pasteten und was wir haben, von Herzen gern mit, und
böse Leute allein sind es, die uns nachreden, daß wir
unsern Wein allein trinken. Unser größtes Vergnügen
ist, recht viel vergnügte Leute zu machen; sind nicht eben
die Redouten und Comedien gerade so eingerichtet, daß
ein jeder für ein billiges daran Theil nehmen kann, und
lachen wir wohl jemals herzlicher, als wenn die ganze
Versammlung mitlacht? Also ....

Aber das geht nicht, wir müssen arbeiten, wir haben
Pflichten gegen uns, gegen andre, gegen Gott ...

Richtig, vollkommen richtig! Jedoch gesetzt, wir
wohnten auf Otaheiti, wo die Brodfrucht auf den Bäu-
men wuchs, und jeder nur den Mund aufthun durfte,
um satt zu werden; wo die Einwohner den ganzen Tag
in der Sonne lagen, und nicht anders aufstunden als um
Comedien zu spielen, oder zu tanzen; wo Jungen und
Mädgen sich beständig im Grase wälzten, und die Köni-
ginn mit ihren Hofdamen den Engländern immerfort in
die Arme lief; wo Essen und Trinken und Schlafen die
einzige Berufsarbeit war; wo es keine Arme und keine
Almosen gab, weil der Schöpfer für jedes menschliche
Geschöpf mit gleicher Freygebigkeit gesorgt hatte, wo
man anstatt zu beten, alles nur mit Empfindung, die
man kaum Dankbarkeit nennen konnte, genoß; sollten
hier die Leute sich auch Pflichten machen? sollten sie die
Brodbäume abhauen, um Korn im Schweiß ihres Ange-
sichts aus der Erde zu ziehen, oder sich in die spanische
Bergwerke schleppen lassen, um Ursach zu haben Gott
stündlich für ihre Errettung anflehn zu können? He! ...

Du

Ueber die Sittlichkeit der Vergnuͤgungen.
ſind nicht gluͤcklicher, als wenn die ganze Welt mit uns
gluͤcklich iſt; wir theilen Opern, Redouten, Comedien,
Paſteten und was wir haben, von Herzen gern mit, und
boͤſe Leute allein ſind es, die uns nachreden, daß wir
unſern Wein allein trinken. Unſer groͤßtes Vergnuͤgen
iſt, recht viel vergnuͤgte Leute zu machen; ſind nicht eben
die Redouten und Comedien gerade ſo eingerichtet, daß
ein jeder fuͤr ein billiges daran Theil nehmen kann, und
lachen wir wohl jemals herzlicher, als wenn die ganze
Verſammlung mitlacht? Alſo ....

Aber das geht nicht, wir muͤſſen arbeiten, wir haben
Pflichten gegen uns, gegen andre, gegen Gott …

Richtig, vollkommen richtig! Jedoch geſetzt, wir
wohnten auf Otaheiti, wo die Brodfrucht auf den Baͤu-
men wuchs, und jeder nur den Mund aufthun durfte,
um ſatt zu werden; wo die Einwohner den ganzen Tag
in der Sonne lagen, und nicht anders aufſtunden als um
Comedien zu ſpielen, oder zu tanzen; wo Jungen und
Maͤdgen ſich beſtaͤndig im Graſe waͤlzten, und die Koͤni-
ginn mit ihren Hofdamen den Englaͤndern immerfort in
die Arme lief; wo Eſſen und Trinken und Schlafen die
einzige Berufsarbeit war; wo es keine Arme und keine
Almoſen gab, weil der Schoͤpfer fuͤr jedes menſchliche
Geſchoͤpf mit gleicher Freygebigkeit geſorgt hatte, wo
man anſtatt zu beten, alles nur mit Empfindung, die
man kaum Dankbarkeit nennen konnte, genoß; ſollten
hier die Leute ſich auch Pflichten machen? ſollten ſie die
Brodbaͤume abhauen, um Korn im Schweiß ihres Ange-
ſichts aus der Erde zu ziehen, oder ſich in die ſpaniſche
Bergwerke ſchleppen laſſen, um Urſach zu haben Gott
ſtuͤndlich fuͤr ihre Errettung anflehn zu koͤnnen? He! …

Du
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0041" n="29"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Ueber die Sittlichkeit der Vergnu&#x0364;gungen.</hi></fw><lb/>
&#x017F;ind nicht glu&#x0364;cklicher, als wenn die ganze Welt mit uns<lb/>
glu&#x0364;cklich i&#x017F;t; wir theilen Opern, Redouten, Comedien,<lb/>
Pa&#x017F;teten und was wir haben, von Herzen gern mit, und<lb/>
bo&#x0364;&#x017F;e Leute allein &#x017F;ind es, die uns nachreden, daß wir<lb/>
un&#x017F;ern Wein allein trinken. Un&#x017F;er gro&#x0364;ßtes Vergnu&#x0364;gen<lb/>
i&#x017F;t, recht viel vergnu&#x0364;gte Leute zu machen; &#x017F;ind nicht eben<lb/>
die Redouten und Comedien gerade &#x017F;o eingerichtet, daß<lb/>
ein jeder fu&#x0364;r ein billiges daran Theil nehmen kann, und<lb/>
lachen wir wohl jemals herzlicher, als wenn die ganze<lb/>
Ver&#x017F;ammlung mitlacht? Al&#x017F;o ....</p><lb/>
          <p>Aber das geht nicht, wir mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en arbeiten, wir haben<lb/>
Pflichten gegen uns, gegen andre, gegen Gott &#x2026;</p><lb/>
          <p>Richtig, vollkommen richtig! Jedoch ge&#x017F;etzt, wir<lb/>
wohnten auf <hi rendition="#fr">Otaheiti,</hi> wo die Brodfrucht auf den Ba&#x0364;u-<lb/>
men wuchs, und jeder nur den Mund aufthun durfte,<lb/>
um &#x017F;att zu werden; wo die Einwohner den ganzen Tag<lb/>
in der Sonne lagen, und nicht anders auf&#x017F;tunden als um<lb/>
Comedien zu &#x017F;pielen, oder zu tanzen; wo Jungen und<lb/>
Ma&#x0364;dgen &#x017F;ich be&#x017F;ta&#x0364;ndig im Gra&#x017F;e wa&#x0364;lzten, und die Ko&#x0364;ni-<lb/>
ginn mit ihren Hofdamen den Engla&#x0364;ndern immerfort in<lb/>
die Arme lief; wo E&#x017F;&#x017F;en und Trinken und Schlafen die<lb/>
einzige Berufsarbeit war; wo es keine Arme und keine<lb/>
Almo&#x017F;en gab, weil der Scho&#x0364;pfer fu&#x0364;r jedes men&#x017F;chliche<lb/>
Ge&#x017F;cho&#x0364;pf mit gleicher Freygebigkeit ge&#x017F;orgt hatte, wo<lb/>
man an&#x017F;tatt zu beten, alles nur mit Empfindung, die<lb/>
man kaum Dankbarkeit nennen konnte, genoß; &#x017F;ollten<lb/>
hier die Leute &#x017F;ich auch Pflichten machen? &#x017F;ollten &#x017F;ie die<lb/>
Brodba&#x0364;ume abhauen, um Korn im Schweiß ihres Ange-<lb/>
&#x017F;ichts aus der Erde zu ziehen, oder &#x017F;ich in die &#x017F;pani&#x017F;che<lb/>
Bergwerke &#x017F;chleppen la&#x017F;&#x017F;en, um Ur&#x017F;ach zu haben Gott<lb/>
&#x017F;tu&#x0364;ndlich fu&#x0364;r ihre Errettung anflehn zu ko&#x0364;nnen? He! &#x2026;</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Du</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[29/0041] Ueber die Sittlichkeit der Vergnuͤgungen. ſind nicht gluͤcklicher, als wenn die ganze Welt mit uns gluͤcklich iſt; wir theilen Opern, Redouten, Comedien, Paſteten und was wir haben, von Herzen gern mit, und boͤſe Leute allein ſind es, die uns nachreden, daß wir unſern Wein allein trinken. Unſer groͤßtes Vergnuͤgen iſt, recht viel vergnuͤgte Leute zu machen; ſind nicht eben die Redouten und Comedien gerade ſo eingerichtet, daß ein jeder fuͤr ein billiges daran Theil nehmen kann, und lachen wir wohl jemals herzlicher, als wenn die ganze Verſammlung mitlacht? Alſo .... Aber das geht nicht, wir muͤſſen arbeiten, wir haben Pflichten gegen uns, gegen andre, gegen Gott … Richtig, vollkommen richtig! Jedoch geſetzt, wir wohnten auf Otaheiti, wo die Brodfrucht auf den Baͤu- men wuchs, und jeder nur den Mund aufthun durfte, um ſatt zu werden; wo die Einwohner den ganzen Tag in der Sonne lagen, und nicht anders aufſtunden als um Comedien zu ſpielen, oder zu tanzen; wo Jungen und Maͤdgen ſich beſtaͤndig im Graſe waͤlzten, und die Koͤni- ginn mit ihren Hofdamen den Englaͤndern immerfort in die Arme lief; wo Eſſen und Trinken und Schlafen die einzige Berufsarbeit war; wo es keine Arme und keine Almoſen gab, weil der Schoͤpfer fuͤr jedes menſchliche Geſchoͤpf mit gleicher Freygebigkeit geſorgt hatte, wo man anſtatt zu beten, alles nur mit Empfindung, die man kaum Dankbarkeit nennen konnte, genoß; ſollten hier die Leute ſich auch Pflichten machen? ſollten ſie die Brodbaͤume abhauen, um Korn im Schweiß ihres Ange- ſichts aus der Erde zu ziehen, oder ſich in die ſpaniſche Bergwerke ſchleppen laſſen, um Urſach zu haben Gott ſtuͤndlich fuͤr ihre Errettung anflehn zu koͤnnen? He! … Du

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/41
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/41>, abgerufen am 26.04.2024.