Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786.

Bild:
<< vorherige Seite

Ueber die Adelsprobe in Deutschland.
durch das ganze Reich gehen, und welche dieses gegen be-
nachbarte Reiche so wohl, als gegen Rom, aufrecht er-
halten soll, vorhero zu einem Reichsgutachten eingeleitet,
und so wie mit den Zünften und Handwerkern geschehen
ist, durch allgemeine Entschließungen berichtiget werden
möge. Da denn auch jene Bedenklichkeit erwogen, und
allenfalls eine sichere Anzahl Pfründen für den auf den
Adel folgenden, und billig auch festzusetzenden Stand aus-
gesetzt, so wie die Dienstmannschaft von der Landesre-
präsentation getrennet, jene in eine geschlossene Ritterschaft,
und diese in eine, jedem ächten Eigenthümer einer Land-
actie offne Versammlung, verwandelt werden könnte.
Denn was letztere betrift: so ist es allemal die Wirkung
einer despotischen Politik, daß man den Adel aus der er-
sten Quelle nicht noch jetzt, wie vordem, entstehen, und
den echten Eigenthümer einer Landactie, so bald er zei-
gen kann, daß er so wenig von väterlicher als mütterli-
cher Seite, Libertus, Libertinus, und Libertini silius sey,
mithin 16 frey gebohrne Ahnen habe, nicht als einen Ehren-
fähigen Mann zuläßt; sondern blos den Adel aus der zwo-
ten und dritten Klasse, worin er auf Dienst- und Gna-
denbriefen besteht, erkennen will: welches vielleicht ein-
zig und allein einem Mangel der Sprache zuzuschreiben
ist, wodurch die Freyen unter Herrn- oder Bürgerschutz,
mit dem selbstständigen Freyen, dem Piasten, oder eigent-
lichen Hidalgo, welchen ich zum Unterschiede von schlech-
ten Freyen, gern den Wehren (Quiritem) nennen möchte
vermischet und beyde verwechselt sind.

Unter Bürgerschaft und Herrenschutz (Advocatia
inferior
) ist keine selbständige Freyheit, und noch weni-
ger Adel, wenn gleich die darunter stehenden Menschen
in einer gewissen Beziehung frey genannt werden. Denn
Schutzgenossen und Bürger sind zuerst durch ihren Schutz-

herrn

Ueber die Adelsprobe in Deutſchland.
durch das ganze Reich gehen, und welche dieſes gegen be-
nachbarte Reiche ſo wohl, als gegen Rom, aufrecht er-
halten ſoll, vorhero zu einem Reichsgutachten eingeleitet,
und ſo wie mit den Zuͤnften und Handwerkern geſchehen
iſt, durch allgemeine Entſchließungen berichtiget werden
moͤge. Da denn auch jene Bedenklichkeit erwogen, und
allenfalls eine ſichere Anzahl Pfruͤnden fuͤr den auf den
Adel folgenden, und billig auch feſtzuſetzenden Stand aus-
geſetzt, ſo wie die Dienſtmannſchaft von der Landesre-
praͤſentation getrennet, jene in eine geſchloſſene Ritterſchaft,
und dieſe in eine, jedem aͤchten Eigenthuͤmer einer Land-
actie offne Verſammlung, verwandelt werden koͤnnte.
Denn was letztere betrift: ſo iſt es allemal die Wirkung
einer deſpotiſchen Politik, daß man den Adel aus der er-
ſten Quelle nicht noch jetzt, wie vordem, entſtehen, und
den echten Eigenthuͤmer einer Landactie, ſo bald er zei-
gen kann, daß er ſo wenig von vaͤterlicher als muͤtterli-
cher Seite, Libertus, Libertinus, und Libertini ſilius ſey,
mithin 16 frey gebohrne Ahnen habe, nicht als einen Ehren-
faͤhigen Mann zulaͤßt; ſondern blos den Adel aus der zwo-
ten und dritten Klaſſe, worin er auf Dienſt- und Gna-
denbriefen beſteht, erkennen will: welches vielleicht ein-
zig und allein einem Mangel der Sprache zuzuſchreiben
iſt, wodurch die Freyen unter Herrn- oder Buͤrgerſchutz,
mit dem ſelbſtſtaͤndigen Freyen, dem Piaſten, oder eigent-
lichen Hidalgo, welchen ich zum Unterſchiede von ſchlech-
ten Freyen, gern den Wehren (Quiritem) nennen moͤchte
vermiſchet und beyde verwechſelt ſind.

Unter Buͤrgerſchaft und Herrenſchutz (Advocatia
inferior
) iſt keine ſelbſtaͤndige Freyheit, und noch weni-
ger Adel, wenn gleich die darunter ſtehenden Menſchen
in einer gewiſſen Beziehung frey genannt werden. Denn
Schutzgenoſſen und Buͤrger ſind zuerſt durch ihren Schutz-

herrn
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0296" n="284"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Ueber die Adelsprobe in Deut&#x017F;chland.</hi></fw><lb/>
durch das ganze Reich gehen, und welche die&#x017F;es gegen be-<lb/>
nachbarte Reiche &#x017F;o wohl, als gegen Rom, aufrecht er-<lb/>
halten &#x017F;oll, vorhero zu einem Reichsgutachten eingeleitet,<lb/>
und &#x017F;o wie mit den Zu&#x0364;nften und Handwerkern ge&#x017F;chehen<lb/>
i&#x017F;t, durch allgemeine Ent&#x017F;chließungen berichtiget werden<lb/>
mo&#x0364;ge. Da denn auch jene Bedenklichkeit erwogen, und<lb/>
allenfalls eine &#x017F;ichere Anzahl Pfru&#x0364;nden fu&#x0364;r den auf den<lb/>
Adel folgenden, und billig auch fe&#x017F;tzu&#x017F;etzenden Stand aus-<lb/>
ge&#x017F;etzt, &#x017F;o wie die Dien&#x017F;tmann&#x017F;chaft von der Landesre-<lb/>
pra&#x0364;&#x017F;entation getrennet, jene in eine ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;ene Ritter&#x017F;chaft,<lb/>
und die&#x017F;e in eine, jedem a&#x0364;chten Eigenthu&#x0364;mer einer Land-<lb/>
actie offne Ver&#x017F;ammlung, verwandelt werden ko&#x0364;nnte.<lb/>
Denn was letztere betrift: &#x017F;o i&#x017F;t es allemal die Wirkung<lb/>
einer de&#x017F;poti&#x017F;chen Politik, daß man den Adel aus der er-<lb/>
&#x017F;ten Quelle nicht noch jetzt, wie vordem, ent&#x017F;tehen, und<lb/>
den echten Eigenthu&#x0364;mer einer Landactie, &#x017F;o bald er zei-<lb/>
gen kann, daß er &#x017F;o wenig von va&#x0364;terlicher als mu&#x0364;tterli-<lb/>
cher Seite, <hi rendition="#aq">Libertus, Libertinus,</hi> und <hi rendition="#aq">Libertini &#x017F;ilius</hi> &#x017F;ey,<lb/>
mithin 16 frey gebohrne Ahnen habe, nicht als einen Ehren-<lb/>
fa&#x0364;higen Mann zula&#x0364;ßt; &#x017F;ondern blos den Adel aus der zwo-<lb/>
ten und dritten Kla&#x017F;&#x017F;e, worin er auf Dien&#x017F;t- und Gna-<lb/>
denbriefen be&#x017F;teht, erkennen will: welches vielleicht ein-<lb/>
zig und allein einem Mangel der Sprache zuzu&#x017F;chreiben<lb/>
i&#x017F;t, wodurch die <hi rendition="#fr">Freyen</hi> unter Herrn- oder Bu&#x0364;rger&#x017F;chutz,<lb/>
mit dem &#x017F;elb&#x017F;t&#x017F;ta&#x0364;ndigen Freyen, dem <hi rendition="#fr">Pia&#x017F;ten</hi>, oder eigent-<lb/>
lichen <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Hidalgo</hi>,</hi> welchen ich zum Unter&#x017F;chiede von &#x017F;chlech-<lb/>
ten <hi rendition="#fr">Freyen</hi>, gern den <hi rendition="#fr">Wehren</hi> (<hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Quiritem</hi></hi>) nennen mo&#x0364;chte<lb/>
vermi&#x017F;chet und beyde verwech&#x017F;elt &#x017F;ind.</p><lb/>
          <p>Unter Bu&#x0364;rger&#x017F;chaft und Herren&#x017F;chutz (<hi rendition="#aq">Advocatia<lb/><hi rendition="#i">inferior</hi></hi>) i&#x017F;t keine &#x017F;elb&#x017F;ta&#x0364;ndige Freyheit, und noch weni-<lb/>
ger Adel, wenn gleich die darunter &#x017F;tehenden Men&#x017F;chen<lb/>
in einer gewi&#x017F;&#x017F;en Beziehung frey genannt werden. Denn<lb/>
Schutzgeno&#x017F;&#x017F;en und Bu&#x0364;rger &#x017F;ind zuer&#x017F;t durch ihren Schutz-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">herrn</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[284/0296] Ueber die Adelsprobe in Deutſchland. durch das ganze Reich gehen, und welche dieſes gegen be- nachbarte Reiche ſo wohl, als gegen Rom, aufrecht er- halten ſoll, vorhero zu einem Reichsgutachten eingeleitet, und ſo wie mit den Zuͤnften und Handwerkern geſchehen iſt, durch allgemeine Entſchließungen berichtiget werden moͤge. Da denn auch jene Bedenklichkeit erwogen, und allenfalls eine ſichere Anzahl Pfruͤnden fuͤr den auf den Adel folgenden, und billig auch feſtzuſetzenden Stand aus- geſetzt, ſo wie die Dienſtmannſchaft von der Landesre- praͤſentation getrennet, jene in eine geſchloſſene Ritterſchaft, und dieſe in eine, jedem aͤchten Eigenthuͤmer einer Land- actie offne Verſammlung, verwandelt werden koͤnnte. Denn was letztere betrift: ſo iſt es allemal die Wirkung einer deſpotiſchen Politik, daß man den Adel aus der er- ſten Quelle nicht noch jetzt, wie vordem, entſtehen, und den echten Eigenthuͤmer einer Landactie, ſo bald er zei- gen kann, daß er ſo wenig von vaͤterlicher als muͤtterli- cher Seite, Libertus, Libertinus, und Libertini ſilius ſey, mithin 16 frey gebohrne Ahnen habe, nicht als einen Ehren- faͤhigen Mann zulaͤßt; ſondern blos den Adel aus der zwo- ten und dritten Klaſſe, worin er auf Dienſt- und Gna- denbriefen beſteht, erkennen will: welches vielleicht ein- zig und allein einem Mangel der Sprache zuzuſchreiben iſt, wodurch die Freyen unter Herrn- oder Buͤrgerſchutz, mit dem ſelbſtſtaͤndigen Freyen, dem Piaſten, oder eigent- lichen Hidalgo, welchen ich zum Unterſchiede von ſchlech- ten Freyen, gern den Wehren (Quiritem) nennen moͤchte vermiſchet und beyde verwechſelt ſind. Unter Buͤrgerſchaft und Herrenſchutz (Advocatia inferior) iſt keine ſelbſtaͤndige Freyheit, und noch weni- ger Adel, wenn gleich die darunter ſtehenden Menſchen in einer gewiſſen Beziehung frey genannt werden. Denn Schutzgenoſſen und Buͤrger ſind zuerſt durch ihren Schutz- herrn

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/296
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/296>, abgerufen am 13.05.2024.