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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786.

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Eine kurze Nachricht
beschieden, sodann aber wenn er nochmals ausblieb,
verfehmt, oder vor jeden Freyschöpfen gleichsam Vogel-
frey erklärt, und das unsichtbare Heer der Schöpfen ver-
folgte ihn bis zum Tode. Wenn ein Schöpfe sich zu schwach
fühlte den Verurtheilten zu greifen und zu hängen, so
mußte er ihn so lange verfolgen, bis er mehrere Frey-
schöpfen antraf, die ihm die hülfliche Hand leisteten; und
diese waren auf das ihnen gemachte heimliche Zeichen
ohne Widerrede dazu verbunden. Sie hiengen dann den
Unglücklichen mit der Weide an einen Baum auf der Land-
straße, nicht aber an einen Galgen, um damit anzuzei-
gen, daß sie ein freyes Kayserl. Richteramt durch das
ganze Reich hätten, welches an keine Herrschaftl. Ge-
richtstätte gebunden wäre. Widersetzte er sich so, daß sie
ihn nieder stoßen mußten: so bunden sie den Körper an
den Baum, und steckten ihr Messer dabey, zum Zeichen,
daß er nicht ermordet, sondern von einem Freyschöpfen
gerichtet wäre.

Das tiefste Geheimniß deckte alle ihre Handlungen;
und man weiß bis diese Stunde noch nicht *), was sie
für eine Losung gehabt, woran sich die Wissenden, so
nannten sich die Freyschöpfen, einander erkannt haben;
und noch weniger ihre ganze Einrichtung. Selbst dem
Kayser, ohnerachtet er der oberste Stuhlherr war, durf-
ten sie dasjenige nicht entdecken, was in der heimlichen
Acht vorgegangen war. Nur dann wenn er fragte:

Jst N. N. verurtheilt[?] so konnten sie ihm mit Ja
oder Nein antworten, wenn er aber fragte: wer ist in

der
*) Die vier Buchstaben S. S. G. G. welche man insgemein so
auslegt: Stock Stein Graß Grein, standen in einem Proto-
koll, was man zu Hersord gefunden hat. S. PFEFFINGER
l. c. p.
490.

Eine kurze Nachricht
beſchieden, ſodann aber wenn er nochmals ausblieb,
verfehmt, oder vor jeden Freyſchoͤpfen gleichſam Vogel-
frey erklaͤrt, und das unſichtbare Heer der Schoͤpfen ver-
folgte ihn bis zum Tode. Wenn ein Schoͤpfe ſich zu ſchwach
fuͤhlte den Verurtheilten zu greifen und zu haͤngen, ſo
mußte er ihn ſo lange verfolgen, bis er mehrere Frey-
ſchoͤpfen antraf, die ihm die huͤlfliche Hand leiſteten; und
dieſe waren auf das ihnen gemachte heimliche Zeichen
ohne Widerrede dazu verbunden. Sie hiengen dann den
Ungluͤcklichen mit der Weide an einen Baum auf der Land-
ſtraße, nicht aber an einen Galgen, um damit anzuzei-
gen, daß ſie ein freyes Kayſerl. Richteramt durch das
ganze Reich haͤtten, welches an keine Herrſchaftl. Ge-
richtſtaͤtte gebunden waͤre. Widerſetzte er ſich ſo, daß ſie
ihn nieder ſtoßen mußten: ſo bunden ſie den Koͤrper an
den Baum, und ſteckten ihr Meſſer dabey, zum Zeichen,
daß er nicht ermordet, ſondern von einem Freyſchoͤpfen
gerichtet waͤre.

Das tiefſte Geheimniß deckte alle ihre Handlungen;
und man weiß bis dieſe Stunde noch nicht *), was ſie
fuͤr eine Loſung gehabt, woran ſich die Wiſſenden, ſo
nannten ſich die Freyſchoͤpfen, einander erkannt haben;
und noch weniger ihre ganze Einrichtung. Selbſt dem
Kayſer, ohnerachtet er der oberſte Stuhlherr war, durf-
ten ſie dasjenige nicht entdecken, was in der heimlichen
Acht vorgegangen war. Nur dann wenn er fragte:

Jſt N. N. verurtheilt[?] ſo konnten ſie ihm mit Ja
oder Nein antworten, wenn er aber fragte: wer iſt in

der
*) Die vier Buchſtaben S. S. G. G. welche man insgemein ſo
auslegt: Stock Stein Graß Grein, ſtanden in einem Proto-
koll, was man zu Herſord gefunden hat. S. PFEFFINGER
l. c. p.
490.
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[200/0212] Eine kurze Nachricht beſchieden, ſodann aber wenn er nochmals ausblieb, verfehmt, oder vor jeden Freyſchoͤpfen gleichſam Vogel- frey erklaͤrt, und das unſichtbare Heer der Schoͤpfen ver- folgte ihn bis zum Tode. Wenn ein Schoͤpfe ſich zu ſchwach fuͤhlte den Verurtheilten zu greifen und zu haͤngen, ſo mußte er ihn ſo lange verfolgen, bis er mehrere Frey- ſchoͤpfen antraf, die ihm die huͤlfliche Hand leiſteten; und dieſe waren auf das ihnen gemachte heimliche Zeichen ohne Widerrede dazu verbunden. Sie hiengen dann den Ungluͤcklichen mit der Weide an einen Baum auf der Land- ſtraße, nicht aber an einen Galgen, um damit anzuzei- gen, daß ſie ein freyes Kayſerl. Richteramt durch das ganze Reich haͤtten, welches an keine Herrſchaftl. Ge- richtſtaͤtte gebunden waͤre. Widerſetzte er ſich ſo, daß ſie ihn nieder ſtoßen mußten: ſo bunden ſie den Koͤrper an den Baum, und ſteckten ihr Meſſer dabey, zum Zeichen, daß er nicht ermordet, ſondern von einem Freyſchoͤpfen gerichtet waͤre. Das tiefſte Geheimniß deckte alle ihre Handlungen; und man weiß bis dieſe Stunde noch nicht *), was ſie fuͤr eine Loſung gehabt, woran ſich die Wiſſenden, ſo nannten ſich die Freyſchoͤpfen, einander erkannt haben; und noch weniger ihre ganze Einrichtung. Selbſt dem Kayſer, ohnerachtet er der oberſte Stuhlherr war, durf- ten ſie dasjenige nicht entdecken, was in der heimlichen Acht vorgegangen war. Nur dann wenn er fragte: Jſt N. N. verurtheilt? ſo konnten ſie ihm mit Ja oder Nein antworten, wenn er aber fragte: wer iſt in der *) Die vier Buchſtaben S. S. G. G. welche man insgemein ſo auslegt: Stock Stein Graß Grein, ſtanden in einem Proto- koll, was man zu Herſord gefunden hat. S. PFEFFINGER l. c. p. 490.

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/212>, abgerufen am 24.11.2024.