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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786.

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an seinen Nachbar mit der Gerichtsbarkeit.
Eigenthume, und in Kraft der hausherrlichen Gewalt
alles das haben könnte und haben sollte, was zu seinem
wahren Vortheile gehört; wenn wir nur eine reine Spra-
che und bestimmte Begriffe hätten.

Der Vater hat keine Gerichtsbarkeit über seine Kin-
der, der Mann nicht über seine Frau, der Herr nicht
über sein Gesinde, der Abt nicht über seine Mönche, der
Gutsherr nicht über seine Leibeigne, weil es so wenig
eine Gerichtsbarkeit über die Seinigen, als eine Dienst-
barkeit auf eignem Boden giebt. Aber es giebt eine vä-
terliche, männliche, hausherrliche, äbtliche und gutsherr-
liche Macht, vermöge welcher ein Vater, Mann, Haus-
herr Abt, und Gutsherr alles dasjenige haben kann, oder
doch haben sollte, was zu seinem Zwecke dient, und es
kömmt nur darauf an, die Gränzen zwischen dieser Macht
und der Gerichtsbarkeit gehörig und deutlich zu be-
stimmen.

Jn dem ersten Menschenalter gieng jene Macht sehr
weit, und Niemand bekümmerte sich darum, wie jeder
Hausvater mit den Seinigen handelte, wenn er nur nicht
über eine gewisse Gränze hinausgieng; in dem heutigen
Menschenalter hingegen, mischt sich die Gerichtsbarkeit
in alles; und wenn ein Vater das Unglück hat, daß ihm
seine Tochter geschwängert wird: so muß er noch wohl
gar für sie eine Geldstrafe bezahlen. So wenig jene älte-
ste Verfassung sich zu unserm Jahrhundert schicket: so
sehr scheint mir hingegen die letzte von aller Politik abzu-
weichen; und ich sollte glauben, die Bestrafung der Un-
zucht, der Untreue und andrer Verbrechen von Kindern
und Gesinde, könnte der väterlichen und hausherrlichen
Gewalt so lange überlassen werden, bis der eine oder der
andre den Beystand der Gerichtsbarkeit suchte. Wenig-
stens scheinet mir eine gar zu frühe Einmischung der letz-

ten,

an ſeinen Nachbar mit der Gerichtsbarkeit.
Eigenthume, und in Kraft der hausherrlichen Gewalt
alles das haben koͤnnte und haben ſollte, was zu ſeinem
wahren Vortheile gehoͤrt; wenn wir nur eine reine Spra-
che und beſtimmte Begriffe haͤtten.

Der Vater hat keine Gerichtsbarkeit uͤber ſeine Kin-
der, der Mann nicht uͤber ſeine Frau, der Herr nicht
uͤber ſein Geſinde, der Abt nicht uͤber ſeine Moͤnche, der
Gutsherr nicht uͤber ſeine Leibeigne, weil es ſo wenig
eine Gerichtsbarkeit uͤber die Seinigen, als eine Dienſt-
barkeit auf eignem Boden giebt. Aber es giebt eine vaͤ-
terliche, maͤnnliche, hausherrliche, aͤbtliche und gutsherr-
liche Macht, vermoͤge welcher ein Vater, Mann, Haus-
herr Abt, und Gutsherr alles dasjenige haben kann, oder
doch haben ſollte, was zu ſeinem Zwecke dient, und es
koͤmmt nur darauf an, die Graͤnzen zwiſchen dieſer Macht
und der Gerichtsbarkeit gehoͤrig und deutlich zu be-
ſtimmen.

Jn dem erſten Menſchenalter gieng jene Macht ſehr
weit, und Niemand bekuͤmmerte ſich darum, wie jeder
Hausvater mit den Seinigen handelte, wenn er nur nicht
uͤber eine gewiſſe Graͤnze hinausgieng; in dem heutigen
Menſchenalter hingegen, miſcht ſich die Gerichtsbarkeit
in alles; und wenn ein Vater das Ungluͤck hat, daß ihm
ſeine Tochter geſchwaͤngert wird: ſo muß er noch wohl
gar fuͤr ſie eine Geldſtrafe bezahlen. So wenig jene aͤlte-
ſte Verfaſſung ſich zu unſerm Jahrhundert ſchicket: ſo
ſehr ſcheint mir hingegen die letzte von aller Politik abzu-
weichen; und ich ſollte glauben, die Beſtrafung der Un-
zucht, der Untreue und andrer Verbrechen von Kindern
und Geſinde, koͤnnte der vaͤterlichen und hausherrlichen
Gewalt ſo lange uͤberlaſſen werden, bis der eine oder der
andre den Beyſtand der Gerichtsbarkeit ſuchte. Wenig-
ſtens ſcheinet mir eine gar zu fruͤhe Einmiſchung der letz-

ten,
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[173/0185] an ſeinen Nachbar mit der Gerichtsbarkeit. Eigenthume, und in Kraft der hausherrlichen Gewalt alles das haben koͤnnte und haben ſollte, was zu ſeinem wahren Vortheile gehoͤrt; wenn wir nur eine reine Spra- che und beſtimmte Begriffe haͤtten. Der Vater hat keine Gerichtsbarkeit uͤber ſeine Kin- der, der Mann nicht uͤber ſeine Frau, der Herr nicht uͤber ſein Geſinde, der Abt nicht uͤber ſeine Moͤnche, der Gutsherr nicht uͤber ſeine Leibeigne, weil es ſo wenig eine Gerichtsbarkeit uͤber die Seinigen, als eine Dienſt- barkeit auf eignem Boden giebt. Aber es giebt eine vaͤ- terliche, maͤnnliche, hausherrliche, aͤbtliche und gutsherr- liche Macht, vermoͤge welcher ein Vater, Mann, Haus- herr Abt, und Gutsherr alles dasjenige haben kann, oder doch haben ſollte, was zu ſeinem Zwecke dient, und es koͤmmt nur darauf an, die Graͤnzen zwiſchen dieſer Macht und der Gerichtsbarkeit gehoͤrig und deutlich zu be- ſtimmen. Jn dem erſten Menſchenalter gieng jene Macht ſehr weit, und Niemand bekuͤmmerte ſich darum, wie jeder Hausvater mit den Seinigen handelte, wenn er nur nicht uͤber eine gewiſſe Graͤnze hinausgieng; in dem heutigen Menſchenalter hingegen, miſcht ſich die Gerichtsbarkeit in alles; und wenn ein Vater das Ungluͤck hat, daß ihm ſeine Tochter geſchwaͤngert wird: ſo muß er noch wohl gar fuͤr ſie eine Geldſtrafe bezahlen. So wenig jene aͤlte- ſte Verfaſſung ſich zu unſerm Jahrhundert ſchicket: ſo ſehr ſcheint mir hingegen die letzte von aller Politik abzu- weichen; und ich ſollte glauben, die Beſtrafung der Un- zucht, der Untreue und andrer Verbrechen von Kindern und Geſinde, koͤnnte der vaͤterlichen und hausherrlichen Gewalt ſo lange uͤberlaſſen werden, bis der eine oder der andre den Beyſtand der Gerichtsbarkeit ſuchte. Wenig- ſtens ſcheinet mir eine gar zu fruͤhe Einmiſchung der letz- ten,

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/185>, abgerufen am 27.04.2024.