Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786.

Bild:
<< vorherige Seite

Ueber die Todesstrafen.
so war natürlicher Weise ihre Antwort, oder doch ihre
Meinung diese.
Was das letzte betrift, lieben Freunde! so versichern
wir euch hiemit feyerlichst: Wer Menschen Blut
vergießt, dessen Blut soll wieder vergossen werden.
Es soll Aug um Auge, Hand um Hand, Zahn um
Zahn gegeben werden. Dieses soll unter uns ein
ewiges Grundgesetz seyn; hingegen soll wider Wil-
len der Beleidigten kein Mitleid statt finden.

Und nun die obige Frage also gefaßt:
Wie kömmt es, daß die Obrigkeit von diesem Origi-
nalcontrakt abgeht, und Verbrecher erhält, die der
Privaträcher zu tödten befugt war, oder doch be-
fugt zu seyn glaubte:

so kömmt es zuletzt darauf an,
in welchen Fällen der Privaträcher sich befugt erachten
konnte, denjenigen, der ihn an seiner Ehre, seinem
Leibe oder seinem Gute verkürzet hatte, selbst ums
Leben zu bringen?

Denn die Obrigkeit liehe nicht so oft dem Rächer ihr
Schwerdt, als sie den Verbrecher in Schutz nahm. Es
war mehr Wohlthat für diesen als für jenen, daß sie der
Privatrache Ziel setzte; und so wäre es ein offenbarer
Mißbrauch ihres Amts gewesen, wenn sie dem Verbre-
cher zu viel nachgegeben, und ihn in den Fällen verscho-
net hätte, worinn ihn der Beleidigte umbringen konnte.
Alles was sie thun konnte mußte darauf hinausgehn, den
unwilligen oder unglücklichen Todtschläger von dem vor-
setzlichen und schuldigen Mörder zu unterscheiden.

Schwerlich wird sich aber jenes so genau angeben
lassen. Das Recht der Privatrache geht im Stande der
Natur so weit, als die Macht, und man weiß von keinen

andern

Ueber die Todesſtrafen.
ſo war natuͤrlicher Weiſe ihre Antwort, oder doch ihre
Meinung dieſe.
Was das letzte betrift, lieben Freunde! ſo verſichern
wir euch hiemit feyerlichſt: Wer Menſchen Blut
vergießt, deſſen Blut ſoll wieder vergoſſen werden.
Es ſoll Aug um Auge, Hand um Hand, Zahn um
Zahn gegeben werden. Dieſes ſoll unter uns ein
ewiges Grundgeſetz ſeyn; hingegen ſoll wider Wil-
len der Beleidigten kein Mitleid ſtatt finden.

Und nun die obige Frage alſo gefaßt:
Wie koͤmmt es, daß die Obrigkeit von dieſem Origi-
nalcontrakt abgeht, und Verbrecher erhaͤlt, die der
Privatraͤcher zu toͤdten befugt war, oder doch be-
fugt zu ſeyn glaubte:

ſo koͤmmt es zuletzt darauf an,
in welchen Faͤllen der Privatraͤcher ſich befugt erachten
konnte, denjenigen, der ihn an ſeiner Ehre, ſeinem
Leibe oder ſeinem Gute verkuͤrzet hatte, ſelbſt ums
Leben zu bringen?

Denn die Obrigkeit liehe nicht ſo oft dem Raͤcher ihr
Schwerdt, als ſie den Verbrecher in Schutz nahm. Es
war mehr Wohlthat fuͤr dieſen als fuͤr jenen, daß ſie der
Privatrache Ziel ſetzte; und ſo waͤre es ein offenbarer
Mißbrauch ihres Amts geweſen, wenn ſie dem Verbre-
cher zu viel nachgegeben, und ihn in den Faͤllen verſcho-
net haͤtte, worinn ihn der Beleidigte umbringen konnte.
Alles was ſie thun konnte mußte darauf hinausgehn, den
unwilligen oder ungluͤcklichen Todtſchlaͤger von dem vor-
ſetzlichen und ſchuldigen Moͤrder zu unterſcheiden.

Schwerlich wird ſich aber jenes ſo genau angeben
laſſen. Das Recht der Privatrache geht im Stande der
Natur ſo weit, als die Macht, und man weiß von keinen

andern
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0144" n="132"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Ueber die Todes&#x017F;trafen.</hi></fw><lb/>
&#x017F;o war natu&#x0364;rlicher Wei&#x017F;e ihre Antwort, oder doch ihre<lb/>
Meinung die&#x017F;e.<lb/><hi rendition="#et">Was das letzte betrift, lieben Freunde! &#x017F;o ver&#x017F;ichern<lb/>
wir euch hiemit feyerlich&#x017F;t: Wer Men&#x017F;chen Blut<lb/>
vergießt, de&#x017F;&#x017F;en Blut &#x017F;oll wieder vergo&#x017F;&#x017F;en werden.<lb/>
Es &#x017F;oll Aug um Auge, Hand um Hand, Zahn <hi rendition="#g">um</hi><lb/>
Zahn gegeben werden. Die&#x017F;es &#x017F;oll unter uns ein<lb/>
ewiges Grundge&#x017F;etz &#x017F;eyn; hingegen &#x017F;oll wider Wil-<lb/>
len der Beleidigten kein Mitleid &#x017F;tatt finden.</hi></p><lb/>
          <p>Und nun die obige Frage al&#x017F;o gefaßt:<lb/><hi rendition="#et">Wie ko&#x0364;mmt es, daß die Obrigkeit von die&#x017F;em Origi-<lb/>
nalcontrakt abgeht, und Verbrecher erha&#x0364;lt, die der<lb/>
Privatra&#x0364;cher zu to&#x0364;dten befugt war, oder doch be-<lb/>
fugt zu &#x017F;eyn glaubte:</hi><lb/>
&#x017F;o ko&#x0364;mmt es zuletzt darauf an,<lb/><hi rendition="#et">in welchen Fa&#x0364;llen der Privatra&#x0364;cher &#x017F;ich befugt erachten<lb/>
konnte, denjenigen, der ihn an &#x017F;einer Ehre, &#x017F;einem<lb/>
Leibe oder &#x017F;einem Gute verku&#x0364;rzet hatte, &#x017F;elb&#x017F;t ums<lb/>
Leben zu bringen?</hi></p><lb/>
          <p>Denn die Obrigkeit liehe nicht &#x017F;o oft dem Ra&#x0364;cher ihr<lb/>
Schwerdt, als &#x017F;ie den Verbrecher in Schutz nahm. Es<lb/>
war mehr Wohlthat fu&#x0364;r die&#x017F;en als fu&#x0364;r jenen, daß &#x017F;ie der<lb/>
Privatrache Ziel &#x017F;etzte; und &#x017F;o wa&#x0364;re es ein offenbarer<lb/>
Mißbrauch ihres Amts gewe&#x017F;en, wenn &#x017F;ie dem Verbre-<lb/>
cher zu viel nachgegeben, und ihn in den Fa&#x0364;llen ver&#x017F;cho-<lb/>
net ha&#x0364;tte, worinn ihn der Beleidigte umbringen konnte.<lb/>
Alles was &#x017F;ie thun konnte mußte darauf hinausgehn, den<lb/>
unwilligen oder unglu&#x0364;cklichen Todt&#x017F;chla&#x0364;ger von dem vor-<lb/>
&#x017F;etzlichen und &#x017F;chuldigen Mo&#x0364;rder zu unter&#x017F;cheiden.</p><lb/>
          <p>Schwerlich wird &#x017F;ich aber jenes &#x017F;o genau angeben<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en. Das Recht der Privatrache geht im Stande der<lb/>
Natur &#x017F;o weit, als die Macht, und man weiß von keinen<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">andern</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[132/0144] Ueber die Todesſtrafen. ſo war natuͤrlicher Weiſe ihre Antwort, oder doch ihre Meinung dieſe. Was das letzte betrift, lieben Freunde! ſo verſichern wir euch hiemit feyerlichſt: Wer Menſchen Blut vergießt, deſſen Blut ſoll wieder vergoſſen werden. Es ſoll Aug um Auge, Hand um Hand, Zahn um Zahn gegeben werden. Dieſes ſoll unter uns ein ewiges Grundgeſetz ſeyn; hingegen ſoll wider Wil- len der Beleidigten kein Mitleid ſtatt finden. Und nun die obige Frage alſo gefaßt: Wie koͤmmt es, daß die Obrigkeit von dieſem Origi- nalcontrakt abgeht, und Verbrecher erhaͤlt, die der Privatraͤcher zu toͤdten befugt war, oder doch be- fugt zu ſeyn glaubte: ſo koͤmmt es zuletzt darauf an, in welchen Faͤllen der Privatraͤcher ſich befugt erachten konnte, denjenigen, der ihn an ſeiner Ehre, ſeinem Leibe oder ſeinem Gute verkuͤrzet hatte, ſelbſt ums Leben zu bringen? Denn die Obrigkeit liehe nicht ſo oft dem Raͤcher ihr Schwerdt, als ſie den Verbrecher in Schutz nahm. Es war mehr Wohlthat fuͤr dieſen als fuͤr jenen, daß ſie der Privatrache Ziel ſetzte; und ſo waͤre es ein offenbarer Mißbrauch ihres Amts geweſen, wenn ſie dem Verbre- cher zu viel nachgegeben, und ihn in den Faͤllen verſcho- net haͤtte, worinn ihn der Beleidigte umbringen konnte. Alles was ſie thun konnte mußte darauf hinausgehn, den unwilligen oder ungluͤcklichen Todtſchlaͤger von dem vor- ſetzlichen und ſchuldigen Moͤrder zu unterſcheiden. Schwerlich wird ſich aber jenes ſo genau angeben laſſen. Das Recht der Privatrache geht im Stande der Natur ſo weit, als die Macht, und man weiß von keinen andern

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/144
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/144>, abgerufen am 24.11.2024.