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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778.

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Also verdient der Accusationsproceß
verbergen; heißt dieses nicht der feigen Verläumdung die
Thüre öfnen, die Obrigkeit in unverantwortliche Kosten
stürzen, und unmögliche Dinge fordern? Denn eine Un-
möglichkeit ist es doch wohl, daß einer einerley Grad von
Hitze, von Eifer, von Scharfsinn und von Leidenschaft in
Aufsuchung der Gründe für beyde Theile beweisen soll?

Aber erwiederte mein Philosoph, die Obrigkeit nimmt
nicht jede Augabe an; sie untersucht erst wenigstens eini-
germassen den Werth der Gründe, und des Beweises; sie
kann und wird den Angeber nöthigen, hinlängliche Sicher-
heit für den Beweiß zu bestellen, und der Angeber kann
eben so gut als ein Kläger angewiesen werden, dem Ange-
ktagten Schimpf und Schaden zu ersetzen.

Das danke ihr ein andrer, daß sie nicht auf jedes An-
geben einen Proceß anstellet, rief ich ihm zu. Aber so
gut, wie sie von dem Angeber dem Befinden nach Sicher-
heit für den Beweiß fordern kann; eben so gut könnte sie
ihn auch nöthigen, seinen Namen zur Klage herzugeben:
so bliebe denn doch immer der Proceß in derjenigen Form
und Gleise, worinn alle Processe seyn müssen, und das
Endurtheil könnte darinn nicht anders kommen, als daß
entweder der Angeklagte frey gesprochen oder verdammet
würde; anstatt daß in unsern Inquisitionsprocessen, wo
diese Form auf die Seite gesetzt wird, der unüberwiesene
Beklagte nicht immer frey gesprochen, sondern oft um des-
willen, daß er sich eines Verbrechens sehr verdächtig ge-
macht hat, ein paar Maymonate nach einander ins Zucht-
hauß gesetzt werden kann. In England muß sogar der Kö-
nig, wenn keiner für einen unschuldig ermordeten um Ra-
che schreyt, die Klage wegen eines verlohrnen Unterthanen
anstellen, damit kein Inquisitionsproceß daraus entstehe,
sondern der Beklagte, wenn der Beweiß gegen ihn nicht

voll-

Alſo verdient der Accuſationsproceß
verbergen; heißt dieſes nicht der feigen Verlaͤumdung die
Thuͤre oͤfnen, die Obrigkeit in unverantwortliche Koſten
ſtuͤrzen, und unmoͤgliche Dinge fordern? Denn eine Un-
moͤglichkeit iſt es doch wohl, daß einer einerley Grad von
Hitze, von Eifer, von Scharfſinn und von Leidenſchaft in
Aufſuchung der Gruͤnde fuͤr beyde Theile beweiſen ſoll?

Aber erwiederte mein Philoſoph, die Obrigkeit nimmt
nicht jede Augabe an; ſie unterſucht erſt wenigſtens eini-
germaſſen den Werth der Gruͤnde, und des Beweiſes; ſie
kann und wird den Angeber noͤthigen, hinlaͤngliche Sicher-
heit fuͤr den Beweiß zu beſtellen, und der Angeber kann
eben ſo gut als ein Klaͤger angewieſen werden, dem Ange-
ktagten Schimpf und Schaden zu erſetzen.

Das danke ihr ein andrer, daß ſie nicht auf jedes An-
geben einen Proceß anſtellet, rief ich ihm zu. Aber ſo
gut, wie ſie von dem Angeber dem Befinden nach Sicher-
heit fuͤr den Beweiß fordern kann; eben ſo gut koͤnnte ſie
ihn auch noͤthigen, ſeinen Namen zur Klage herzugeben:
ſo bliebe denn doch immer der Proceß in derjenigen Form
und Gleiſe, worinn alle Proceſſe ſeyn muͤſſen, und das
Endurtheil koͤnnte darinn nicht anders kommen, als daß
entweder der Angeklagte frey geſprochen oder verdammet
wuͤrde; anſtatt daß in unſern Inquiſitionsproceſſen, wo
dieſe Form auf die Seite geſetzt wird, der unuͤberwieſene
Beklagte nicht immer frey geſprochen, ſondern oft um des-
willen, daß er ſich eines Verbrechens ſehr verdaͤchtig ge-
macht hat, ein paar Maymonate nach einander ins Zucht-
hauß geſetzt werden kann. In England muß ſogar der Koͤ-
nig, wenn keiner fuͤr einen unſchuldig ermordeten um Ra-
che ſchreyt, die Klage wegen eines verlohrnen Unterthanen
anſtellen, damit kein Inquiſitionsproceß daraus entſtehe,
ſondern der Beklagte, wenn der Beweiß gegen ihn nicht

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[84/0098] Alſo verdient der Accuſationsproceß verbergen; heißt dieſes nicht der feigen Verlaͤumdung die Thuͤre oͤfnen, die Obrigkeit in unverantwortliche Koſten ſtuͤrzen, und unmoͤgliche Dinge fordern? Denn eine Un- moͤglichkeit iſt es doch wohl, daß einer einerley Grad von Hitze, von Eifer, von Scharfſinn und von Leidenſchaft in Aufſuchung der Gruͤnde fuͤr beyde Theile beweiſen ſoll? Aber erwiederte mein Philoſoph, die Obrigkeit nimmt nicht jede Augabe an; ſie unterſucht erſt wenigſtens eini- germaſſen den Werth der Gruͤnde, und des Beweiſes; ſie kann und wird den Angeber noͤthigen, hinlaͤngliche Sicher- heit fuͤr den Beweiß zu beſtellen, und der Angeber kann eben ſo gut als ein Klaͤger angewieſen werden, dem Ange- ktagten Schimpf und Schaden zu erſetzen. Das danke ihr ein andrer, daß ſie nicht auf jedes An- geben einen Proceß anſtellet, rief ich ihm zu. Aber ſo gut, wie ſie von dem Angeber dem Befinden nach Sicher- heit fuͤr den Beweiß fordern kann; eben ſo gut koͤnnte ſie ihn auch noͤthigen, ſeinen Namen zur Klage herzugeben: ſo bliebe denn doch immer der Proceß in derjenigen Form und Gleiſe, worinn alle Proceſſe ſeyn muͤſſen, und das Endurtheil koͤnnte darinn nicht anders kommen, als daß entweder der Angeklagte frey geſprochen oder verdammet wuͤrde; anſtatt daß in unſern Inquiſitionsproceſſen, wo dieſe Form auf die Seite geſetzt wird, der unuͤberwieſene Beklagte nicht immer frey geſprochen, ſondern oft um des- willen, daß er ſich eines Verbrechens ſehr verdaͤchtig ge- macht hat, ein paar Maymonate nach einander ins Zucht- hauß geſetzt werden kann. In England muß ſogar der Koͤ- nig, wenn keiner fuͤr einen unſchuldig ermordeten um Ra- che ſchreyt, die Klage wegen eines verlohrnen Unterthanen anſtellen, damit kein Inquiſitionsproceß daraus entſtehe, ſondern der Beklagte, wenn der Beweiß gegen ihn nicht voll-

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/98>, abgerufen am 24.11.2024.