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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778.

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Schreiben einer Dame,

Je grösser der Mann ist, desto mehr muß er von seiner
Bequemlichkeit aufopfern, der König mehr als der Mini-
ster, und dieser mehr, als der Cammerdiener etc. Blos
einem Pedanten erlaubt man es, für seinen eignen einge-
schränkten Geschmack zu leben, und wenn Sie nicht unter
der Zahl der letztern gehören wollen; so müssen Sie nicht
zu lange auf ihrem Polster bleiben. Der Hang zum be-
sondern nimmt mit den Jahren zu, wenn man ihm nicht
widersteht, und mich dünkt, daß ein vernünftiger Beobach-
ter seiner selbst diesem Hange immer entgegen arbeiten müße.

Ich hoffe nicht, daß Sie sich damit entschuldigen wer-
wie Ihnen die grossen Mahlzeiten, wie Sie es zu nennen be-
lieben, nur Ekel und Langeweile machten. Sonst werde ich
antworten, dieses sey Ihre Schuld, und Sie besässen Herz
und Geist genug, beydes zu vertreiben. Was hält Sie auch
ab, den Geist und den Ton der Freude zu verbreiten, jedem
Gaste ein bisgen Zufriedenheit mit sich selbst, und dem guten
Wirthe einen freudigen Blick zu geben? Mangel an Geschick-
lichkeit gewiß nicht; und Schade für Ihre ewige Laune, wenn
sie immer säuert oder gähret, und niemals geniesbar werden
will. Tragen Sie ihren Theil nur aufrichtig bey, und bezahlen
für ihre Person; die andern werden auch bald den Beutel
ziehen, und sich nicht im Rückstande finden lassen. In ei-
ner guten Gesellschaft sitzt man allezeit auf einem Boden, wo
man leicht electrisirt werden kann, und wenn nur einer erst
den Strahl gefangen hat: so geht er von Hand zu Hand fort.

Sehen Sie, mein Freund! was ich Ihnen alles sagen
werde, wenn Sie meine Einladung abschlagen, und nun
biete ich Ihre ganzen Laune Trotz, mir das Vergnügen zu
versagen, Sie heute Abend bey mir zu sehen. So wie
Ihre Kirchspielsglocke fünfe schlägt, und keine Minute spä-
ter, befehle ich Ihnen hier zu seyn.

Amalia.
Das
Schreiben einer Dame,

Je groͤſſer der Mann iſt, deſto mehr muß er von ſeiner
Bequemlichkeit aufopfern, der Koͤnig mehr als der Mini-
ſter, und dieſer mehr, als der Cammerdiener ꝛc. Blos
einem Pedanten erlaubt man es, fuͤr ſeinen eignen einge-
ſchraͤnkten Geſchmack zu leben, und wenn Sie nicht unter
der Zahl der letztern gehoͤren wollen; ſo muͤſſen Sie nicht
zu lange auf ihrem Polſter bleiben. Der Hang zum be-
ſondern nimmt mit den Jahren zu, wenn man ihm nicht
widerſteht, und mich duͤnkt, daß ein vernuͤnftiger Beobach-
ter ſeiner ſelbſt dieſem Hange immer entgegen arbeiten muͤße.

Ich hoffe nicht, daß Sie ſich damit entſchuldigen wer-
wie Ihnen die groſſen Mahlzeiten, wie Sie es zu nennen be-
lieben, nur Ekel und Langeweile machten. Sonſt werde ich
antworten, dieſes ſey Ihre Schuld, und Sie beſaͤſſen Herz
und Geiſt genug, beydes zu vertreiben. Was haͤlt Sie auch
ab, den Geiſt und den Ton der Freude zu verbreiten, jedem
Gaſte ein bisgen Zufriedenheit mit ſich ſelbſt, und dem guten
Wirthe einen freudigen Blick zu geben? Mangel an Geſchick-
lichkeit gewiß nicht; und Schade fuͤr Ihre ewige Laune, wenn
ſie immer ſaͤuert oder gaͤhret, und niemals geniesbar werden
will. Tragen Sie ihren Theil nur aufrichtig bey, und bezahlen
fuͤr ihre Perſon; die andern werden auch bald den Beutel
ziehen, und ſich nicht im Ruͤckſtande finden laſſen. In ei-
ner guten Geſellſchaft ſitzt man allezeit auf einem Boden, wo
man leicht electriſirt werden kann, und wenn nur einer erſt
den Strahl gefangen hat: ſo geht er von Hand zu Hand fort.

Sehen Sie, mein Freund! was ich Ihnen alles ſagen
werde, wenn Sie meine Einladung abſchlagen, und nun
biete ich Ihre ganzen Laune Trotz, mir das Vergnuͤgen zu
verſagen, Sie heute Abend bey mir zu ſehen. So wie
Ihre Kirchſpielsglocke fuͤnfe ſchlaͤgt, und keine Minute ſpaͤ-
ter, befehle ich Ihnen hier zu ſeyn.

Amalia.
Das
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[44/0058] Schreiben einer Dame, Je groͤſſer der Mann iſt, deſto mehr muß er von ſeiner Bequemlichkeit aufopfern, der Koͤnig mehr als der Mini- ſter, und dieſer mehr, als der Cammerdiener ꝛc. Blos einem Pedanten erlaubt man es, fuͤr ſeinen eignen einge- ſchraͤnkten Geſchmack zu leben, und wenn Sie nicht unter der Zahl der letztern gehoͤren wollen; ſo muͤſſen Sie nicht zu lange auf ihrem Polſter bleiben. Der Hang zum be- ſondern nimmt mit den Jahren zu, wenn man ihm nicht widerſteht, und mich duͤnkt, daß ein vernuͤnftiger Beobach- ter ſeiner ſelbſt dieſem Hange immer entgegen arbeiten muͤße. Ich hoffe nicht, daß Sie ſich damit entſchuldigen wer- wie Ihnen die groſſen Mahlzeiten, wie Sie es zu nennen be- lieben, nur Ekel und Langeweile machten. Sonſt werde ich antworten, dieſes ſey Ihre Schuld, und Sie beſaͤſſen Herz und Geiſt genug, beydes zu vertreiben. Was haͤlt Sie auch ab, den Geiſt und den Ton der Freude zu verbreiten, jedem Gaſte ein bisgen Zufriedenheit mit ſich ſelbſt, und dem guten Wirthe einen freudigen Blick zu geben? Mangel an Geſchick- lichkeit gewiß nicht; und Schade fuͤr Ihre ewige Laune, wenn ſie immer ſaͤuert oder gaͤhret, und niemals geniesbar werden will. Tragen Sie ihren Theil nur aufrichtig bey, und bezahlen fuͤr ihre Perſon; die andern werden auch bald den Beutel ziehen, und ſich nicht im Ruͤckſtande finden laſſen. In ei- ner guten Geſellſchaft ſitzt man allezeit auf einem Boden, wo man leicht electriſirt werden kann, und wenn nur einer erſt den Strahl gefangen hat: ſo geht er von Hand zu Hand fort. Sehen Sie, mein Freund! was ich Ihnen alles ſagen werde, wenn Sie meine Einladung abſchlagen, und nun biete ich Ihre ganzen Laune Trotz, mir das Vergnuͤgen zu verſagen, Sie heute Abend bey mir zu ſehen. So wie Ihre Kirchſpielsglocke fuͤnfe ſchlaͤgt, und keine Minute ſpaͤ- ter, befehle ich Ihnen hier zu ſeyn. Amalia. Das

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/58>, abgerufen am 26.04.2024.