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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778.

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Vom Gläubiger

Aber wie, wenn der Schuldner ein Leibeigner ist,
und den Hof nur zum Bau unter hat? Wenn die Sache
auf diese Spitze zu stehen kömmt:
Daß der Gläubiger keinen Stillestand geben will; gleich-
wol aber der Leibeigne ohne solchen zu erhalten, kein
Vieh im Stalle, und kein Korn auf dem Felde behal-
ten kann? Was soll hier der Richter thun?

Diese Frage ist freylich schwerer zu beantworten, so
leicht sie auch manchem scheinen mag, der dem Gutsherrn
sagen würde: er solle gegen die Gläubiger hervor treten,
und den Leibeignen, der sich in solche Umstände versetzt, so
fort vom Erbe jagen. Allein gesetzt, die Gläubiger erwiedern:
"Der Gutsherr möge dieses thun, wenn er es auf sein
Gewissen nehmen, und vor Gott verantworten könne.
Sie könnten ihrer Seits keinen Stillestand geben, weil
sie arme Leute wären, und ihres Geldes, ohne selbst
Bettler zu werden, nicht entrathen könnten".

Gesetzt weiter, der Gutsherr habe ein zärtliches Gewissen?
Er wisse oder glaube doch wohl, sein Leibeigner habe im
Kriege oder sonst durch Unglück seine Pferde, und durch die
Seuche sein Vieh verlohren. Er wisse, der Schuldner habe
sich mit dem geliehenen Gelde beydes wieder angeschaffet;
und die Gläubiger, welche ihm damals in der Noth ausge-
holfen, hätten jetzt selbst kein Vieh; er könne also Kraft sei-
ner Ueberzeugung, seinen Leibeignen, der zwar ein unglück-
licher aber kein sträflicher Wirth gewesen, nicht vom Hofe
stossen; oder es eräugnen sich andre Umstände, wie dann de-
ren täglich viele vorkommen, weswegen der Gutsherr seinen
verschuldeten Leibeignen nicht vom Hofe setzen könne. Was
soll hier der Richter thun, wenn die Gläubiger oder die
mehrsten unter ihnen keinen Stillestand einwilligen wollen?

Auch hier, glaube ich, müsse der Richter sein Amt thun,
dem Leibeignen, bis der Gläubiger befriediget, alles nehmen,

und
Vom Glaͤubiger

Aber wie, wenn der Schuldner ein Leibeigner iſt,
und den Hof nur zum Bau unter hat? Wenn die Sache
auf dieſe Spitze zu ſtehen koͤmmt:
Daß der Glaͤubiger keinen Stilleſtand geben will; gleich-
wol aber der Leibeigne ohne ſolchen zu erhalten, kein
Vieh im Stalle, und kein Korn auf dem Felde behal-
ten kann? Was ſoll hier der Richter thun?

Dieſe Frage iſt freylich ſchwerer zu beantworten, ſo
leicht ſie auch manchem ſcheinen mag, der dem Gutsherrn
ſagen wuͤrde: er ſolle gegen die Glaͤubiger hervor treten,
und den Leibeignen, der ſich in ſolche Umſtaͤnde verſetzt, ſo
fort vom Erbe jagen. Allein geſetzt, die Glaͤubiger erwiedern:
„Der Gutsherr moͤge dieſes thun, wenn er es auf ſein
Gewiſſen nehmen, und vor Gott verantworten koͤnne.
Sie koͤnnten ihrer Seits keinen Stilleſtand geben, weil
ſie arme Leute waͤren, und ihres Geldes, ohne ſelbſt
Bettler zu werden, nicht entrathen koͤnnten„.

Geſetzt weiter, der Gutsherr habe ein zaͤrtliches Gewiſſen?
Er wiſſe oder glaube doch wohl, ſein Leibeigner habe im
Kriege oder ſonſt durch Ungluͤck ſeine Pferde, und durch die
Seuche ſein Vieh verlohren. Er wiſſe, der Schuldner habe
ſich mit dem geliehenen Gelde beydes wieder angeſchaffet;
und die Glaͤubiger, welche ihm damals in der Noth ausge-
holfen, haͤtten jetzt ſelbſt kein Vieh; er koͤnne alſo Kraft ſei-
ner Ueberzeugung, ſeinen Leibeignen, der zwar ein ungluͤck-
licher aber kein ſtraͤflicher Wirth geweſen, nicht vom Hofe
ſtoſſen; oder es eraͤugnen ſich andre Umſtaͤnde, wie dann de-
ren taͤglich viele vorkommen, weswegen der Gutsherr ſeinen
verſchuldeten Leibeignen nicht vom Hofe ſetzen koͤnne. Was
ſoll hier der Richter thun, wenn die Glaͤubiger oder die
mehrſten unter ihnen keinen Stilleſtand einwilligen wollen?

Auch hier, glaube ich, muͤſſe der Richter ſein Amt thun,
dem Leibeignen, bis der Glaͤubiger befriediget, alles nehmen,

und
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[370/0384] Vom Glaͤubiger Aber wie, wenn der Schuldner ein Leibeigner iſt, und den Hof nur zum Bau unter hat? Wenn die Sache auf dieſe Spitze zu ſtehen koͤmmt: Daß der Glaͤubiger keinen Stilleſtand geben will; gleich- wol aber der Leibeigne ohne ſolchen zu erhalten, kein Vieh im Stalle, und kein Korn auf dem Felde behal- ten kann? Was ſoll hier der Richter thun? Dieſe Frage iſt freylich ſchwerer zu beantworten, ſo leicht ſie auch manchem ſcheinen mag, der dem Gutsherrn ſagen wuͤrde: er ſolle gegen die Glaͤubiger hervor treten, und den Leibeignen, der ſich in ſolche Umſtaͤnde verſetzt, ſo fort vom Erbe jagen. Allein geſetzt, die Glaͤubiger erwiedern: „Der Gutsherr moͤge dieſes thun, wenn er es auf ſein Gewiſſen nehmen, und vor Gott verantworten koͤnne. Sie koͤnnten ihrer Seits keinen Stilleſtand geben, weil ſie arme Leute waͤren, und ihres Geldes, ohne ſelbſt Bettler zu werden, nicht entrathen koͤnnten„. Geſetzt weiter, der Gutsherr habe ein zaͤrtliches Gewiſſen? Er wiſſe oder glaube doch wohl, ſein Leibeigner habe im Kriege oder ſonſt durch Ungluͤck ſeine Pferde, und durch die Seuche ſein Vieh verlohren. Er wiſſe, der Schuldner habe ſich mit dem geliehenen Gelde beydes wieder angeſchaffet; und die Glaͤubiger, welche ihm damals in der Noth ausge- holfen, haͤtten jetzt ſelbſt kein Vieh; er koͤnne alſo Kraft ſei- ner Ueberzeugung, ſeinen Leibeignen, der zwar ein ungluͤck- licher aber kein ſtraͤflicher Wirth geweſen, nicht vom Hofe ſtoſſen; oder es eraͤugnen ſich andre Umſtaͤnde, wie dann de- ren taͤglich viele vorkommen, weswegen der Gutsherr ſeinen verſchuldeten Leibeignen nicht vom Hofe ſetzen koͤnne. Was ſoll hier der Richter thun, wenn die Glaͤubiger oder die mehrſten unter ihnen keinen Stilleſtand einwilligen wollen? Auch hier, glaube ich, muͤſſe der Richter ſein Amt thun, dem Leibeignen, bis der Glaͤubiger befriediget, alles nehmen, und

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/384>, abgerufen am 26.04.2024.