Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778.

Bild:
<< vorherige Seite

Nichts ist schädlicher
zwanzigen verzehren. Er nimmt tausend Thaler auf, und
verspricht solche nach einer halbjährigen Löse zu bezahlen,
ein Versprechen, daß er der Natur nach nicht anders hal-
ten kann, als unter der mißlichen Bedingung, wenn ein
andrer so thöricht ist, ihm solche wieder vorzustrecken. Der
Richter, welcher die Unmöglichkeit und Eitelkeit dieses Ver-
sprechens einsehen sollte, treibet ihn dem ungeachtet zur Be-
zahlung, und man nennet dieses eine gesetzmäßige Gerech-
tigkeit, ohne auch nur einmal eine Ahndung zu haben, daß
es eine offenbare Grausamkeit sey; und daß man Unmög-
lichkeiten fordere, wenn man von einem Landbesitzer mehr
erwartet als was er am Ende des Jahrs überschüßig hat.
Kann nun der Schuldner nicht bezahlen, so pfändet ihn
der Richter auf die tausend Thaler, so lange er ein Pfand
im Hause hat; und dabey soll der Mann dem Staate von
seinem Hofe dienen, und -- vermuthlich mit seinen Nä-
geln -- den Acker bestellen. Wenn die Sache irgend wie-
der in ein gutes Gleise gebracht werden soll: so muß entwe-
der das Geld ganz verbannet, oder der Ueberschuß eines
verschuldeten Hofes ein vor allemal festgestellet, und keine
Pfändung weiter als auf den Ueberschuß geduldet werden.

Ich mag das Gewäsche nicht länger hören, rief hier
der Officier. Kurz, der ganze Fehler liegt an dem Man-
gel der Kriegeszucht. Anstatt Vieh und Pferde zu pfänden,
sollte man die schlechten Haushalter besonders aber die Säu-
fer und Zänker fleißig durch die Gassen laufen lassen. Bey
meiner Ehre, sie sollten mir anders werden, oder vom Hofe
herunter. Ich habe in einem alten Buche gelesen, daß
vordem jedes Kirchspiel unter einem eignen Obersten oder
Landeshauptmann gestanden, der seine untergebene Höfe
und Leute alle Woche visitirt, und über die schlechten Wir-
the sofort mit Zuziehung einiger Achtsleute Standrecht ge-

hal-

Nichts iſt ſchaͤdlicher
zwanzigen verzehren. Er nimmt tauſend Thaler auf, und
verſpricht ſolche nach einer halbjaͤhrigen Loͤſe zu bezahlen,
ein Verſprechen, daß er der Natur nach nicht anders hal-
ten kann, als unter der mißlichen Bedingung, wenn ein
andrer ſo thoͤricht iſt, ihm ſolche wieder vorzuſtrecken. Der
Richter, welcher die Unmoͤglichkeit und Eitelkeit dieſes Ver-
ſprechens einſehen ſollte, treibet ihn dem ungeachtet zur Be-
zahlung, und man nennet dieſes eine geſetzmaͤßige Gerech-
tigkeit, ohne auch nur einmal eine Ahndung zu haben, daß
es eine offenbare Grauſamkeit ſey; und daß man Unmoͤg-
lichkeiten fordere, wenn man von einem Landbeſitzer mehr
erwartet als was er am Ende des Jahrs uͤberſchuͤßig hat.
Kann nun der Schuldner nicht bezahlen, ſo pfaͤndet ihn
der Richter auf die tauſend Thaler, ſo lange er ein Pfand
im Hauſe hat; und dabey ſoll der Mann dem Staate von
ſeinem Hofe dienen, und — vermuthlich mit ſeinen Naͤ-
geln — den Acker beſtellen. Wenn die Sache irgend wie-
der in ein gutes Gleiſe gebracht werden ſoll: ſo muß entwe-
der das Geld ganz verbannet, oder der Ueberſchuß eines
verſchuldeten Hofes ein vor allemal feſtgeſtellet, und keine
Pfaͤndung weiter als auf den Ueberſchuß geduldet werden.

Ich mag das Gewaͤſche nicht laͤnger hoͤren, rief hier
der Officier. Kurz, der ganze Fehler liegt an dem Man-
gel der Kriegeszucht. Anſtatt Vieh und Pferde zu pfaͤnden,
ſollte man die ſchlechten Haushalter beſonders aber die Saͤu-
fer und Zaͤnker fleißig durch die Gaſſen laufen laſſen. Bey
meiner Ehre, ſie ſollten mir anders werden, oder vom Hofe
herunter. Ich habe in einem alten Buche geleſen, daß
vordem jedes Kirchſpiel unter einem eignen Oberſten oder
Landeshauptmann geſtanden, der ſeine untergebene Hoͤfe
und Leute alle Woche viſitirt, und uͤber die ſchlechten Wir-
the ſofort mit Zuziehung einiger Achtsleute Standrecht ge-

hal-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0300" n="286"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Nichts i&#x017F;t &#x017F;cha&#x0364;dlicher</hi></fw><lb/>
zwanzigen verzehren. Er nimmt tau&#x017F;end Thaler auf, und<lb/>
ver&#x017F;pricht &#x017F;olche nach einer halbja&#x0364;hrigen Lo&#x0364;&#x017F;e zu bezahlen,<lb/>
ein Ver&#x017F;prechen, daß er der Natur nach nicht anders hal-<lb/>
ten kann, als unter der mißlichen Bedingung, wenn ein<lb/>
andrer &#x017F;o tho&#x0364;richt i&#x017F;t, ihm &#x017F;olche wieder vorzu&#x017F;trecken. Der<lb/>
Richter, welcher die Unmo&#x0364;glichkeit und Eitelkeit die&#x017F;es Ver-<lb/>
&#x017F;prechens ein&#x017F;ehen &#x017F;ollte, treibet ihn dem ungeachtet zur Be-<lb/>
zahlung, und man nennet die&#x017F;es eine ge&#x017F;etzma&#x0364;ßige Gerech-<lb/>
tigkeit, ohne auch nur einmal eine Ahndung zu haben, daß<lb/>
es eine offenbare Grau&#x017F;amkeit &#x017F;ey; und daß man Unmo&#x0364;g-<lb/>
lichkeiten fordere, wenn man von einem Landbe&#x017F;itzer mehr<lb/>
erwartet als was er am Ende des Jahrs u&#x0364;ber&#x017F;chu&#x0364;ßig hat.<lb/>
Kann nun der Schuldner nicht bezahlen, &#x017F;o pfa&#x0364;ndet ihn<lb/>
der Richter auf die tau&#x017F;end Thaler, &#x017F;o lange er ein Pfand<lb/>
im Hau&#x017F;e hat; und dabey &#x017F;oll der Mann dem Staate von<lb/>
&#x017F;einem Hofe dienen, und &#x2014; vermuthlich mit &#x017F;einen Na&#x0364;-<lb/>
geln &#x2014; den Acker be&#x017F;tellen. Wenn die Sache irgend wie-<lb/>
der in ein gutes Glei&#x017F;e gebracht werden &#x017F;oll: &#x017F;o muß entwe-<lb/>
der das Geld ganz verbannet, oder der Ueber&#x017F;chuß eines<lb/>
ver&#x017F;chuldeten Hofes ein vor allemal fe&#x017F;tge&#x017F;tellet, und keine<lb/>
Pfa&#x0364;ndung weiter als auf den Ueber&#x017F;chuß geduldet werden.</p><lb/>
        <p>Ich mag das Gewa&#x0364;&#x017F;che nicht la&#x0364;nger ho&#x0364;ren, rief hier<lb/>
der Officier. Kurz, der ganze Fehler liegt an dem Man-<lb/>
gel der Kriegeszucht. An&#x017F;tatt Vieh und Pferde zu pfa&#x0364;nden,<lb/>
&#x017F;ollte man die &#x017F;chlechten Haushalter be&#x017F;onders aber die Sa&#x0364;u-<lb/>
fer und Za&#x0364;nker fleißig durch die Ga&#x017F;&#x017F;en laufen la&#x017F;&#x017F;en. Bey<lb/>
meiner Ehre, &#x017F;ie &#x017F;ollten mir anders werden, oder vom Hofe<lb/>
herunter. Ich habe in einem alten Buche gele&#x017F;en, daß<lb/>
vordem jedes Kirch&#x017F;piel unter einem eignen Ober&#x017F;ten oder<lb/>
Landeshauptmann ge&#x017F;tanden, der &#x017F;eine untergebene Ho&#x0364;fe<lb/>
und Leute alle Woche vi&#x017F;itirt, und u&#x0364;ber die &#x017F;chlechten Wir-<lb/>
the &#x017F;ofort mit Zuziehung einiger Achtsleute Standrecht ge-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">hal-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[286/0300] Nichts iſt ſchaͤdlicher zwanzigen verzehren. Er nimmt tauſend Thaler auf, und verſpricht ſolche nach einer halbjaͤhrigen Loͤſe zu bezahlen, ein Verſprechen, daß er der Natur nach nicht anders hal- ten kann, als unter der mißlichen Bedingung, wenn ein andrer ſo thoͤricht iſt, ihm ſolche wieder vorzuſtrecken. Der Richter, welcher die Unmoͤglichkeit und Eitelkeit dieſes Ver- ſprechens einſehen ſollte, treibet ihn dem ungeachtet zur Be- zahlung, und man nennet dieſes eine geſetzmaͤßige Gerech- tigkeit, ohne auch nur einmal eine Ahndung zu haben, daß es eine offenbare Grauſamkeit ſey; und daß man Unmoͤg- lichkeiten fordere, wenn man von einem Landbeſitzer mehr erwartet als was er am Ende des Jahrs uͤberſchuͤßig hat. Kann nun der Schuldner nicht bezahlen, ſo pfaͤndet ihn der Richter auf die tauſend Thaler, ſo lange er ein Pfand im Hauſe hat; und dabey ſoll der Mann dem Staate von ſeinem Hofe dienen, und — vermuthlich mit ſeinen Naͤ- geln — den Acker beſtellen. Wenn die Sache irgend wie- der in ein gutes Gleiſe gebracht werden ſoll: ſo muß entwe- der das Geld ganz verbannet, oder der Ueberſchuß eines verſchuldeten Hofes ein vor allemal feſtgeſtellet, und keine Pfaͤndung weiter als auf den Ueberſchuß geduldet werden. Ich mag das Gewaͤſche nicht laͤnger hoͤren, rief hier der Officier. Kurz, der ganze Fehler liegt an dem Man- gel der Kriegeszucht. Anſtatt Vieh und Pferde zu pfaͤnden, ſollte man die ſchlechten Haushalter beſonders aber die Saͤu- fer und Zaͤnker fleißig durch die Gaſſen laufen laſſen. Bey meiner Ehre, ſie ſollten mir anders werden, oder vom Hofe herunter. Ich habe in einem alten Buche geleſen, daß vordem jedes Kirchſpiel unter einem eignen Oberſten oder Landeshauptmann geſtanden, der ſeine untergebene Hoͤfe und Leute alle Woche viſitirt, und uͤber die ſchlechten Wir- the ſofort mit Zuziehung einiger Achtsleute Standrecht ge- hal-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Für das DTA wurde die „Neue verbesserte und verme… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/300
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/300>, abgerufen am 24.11.2024.