der heutigen Welt mehr als alle Sittenlehre würket, von selbst annehmen; kein Mädgen wird sich in der Hofnung dereinst Frau Räthin zu heissen, schämen eine Zeitlang Frau Advocatußin oder um in unsern Stil zu sprechen, Frau Doctorin zu heissen ...
Herr, fiel endlich mein College hier ein, ich glaube Sie declamirten noch einen Monat so fort, wenn ich die Gedult hätte ihnen zuzuhören. Aber wissen Sie was? einer unsrer größten Fürsten will jetzt die Advocaten ganz abschaffen, und dafür bey jeder Regierung vier Räthe einführen, welche die Sachen der Partheyen vortragen und die Stellen der Advocaten vertreten sollen ...
Das höre ich gern, erwiederte ich, daß man die Ad- vocaten solchergestalt als Räthe in die grosse Thür wieder einführen will, nachdem man sie unter ihren vorigen Na- men zur Hinterthür hinausgeschickt hat. Es beweiset dieses so viel, daß man von der Ehre zunächst rechtschaf- fene Leute erwarten könne; und daß man übel gethan habe solche den Advocaten zu entziehen. Nur zweifle ich sehr, daß dieser Plan alle die vorhin beschriebene Vor- theile mit sich führen werde; jener scheint mir weit leich- ter, freyer und unendlich ergiebiger zu seyn; er hatte die Männer erzeugt, woraus der Großcanzler bey der er- stern Einrichtung verschiedene Räthe und Präsidenten wählte ... und es scheint mir doch immer problematisch zu seyn, ob besoldete Richter und besoldete Advocaten ..
Nehmen Sie es nicht übel, sagte mein Herr College, meine Frau erwartet mich, und gieng mit Angst fort, weil er besorgte, ich würd ihn noch um seine Suppe brin- gen, wenn ich meinen Text nach allen seinen Theilen völ- lig ausführte ...
LII.
nicht ſo ſchlechterdings einzuſchraͤnken.
der heutigen Welt mehr als alle Sittenlehre wuͤrket, von ſelbſt annehmen; kein Maͤdgen wird ſich in der Hofnung dereinſt Frau Raͤthin zu heiſſen, ſchaͤmen eine Zeitlang Frau Advocatußin oder um in unſern Stil zu ſprechen, Frau Doctorin zu heiſſen …
Herr, fiel endlich mein College hier ein, ich glaube Sie declamirten noch einen Monat ſo fort, wenn ich die Gedult haͤtte ihnen zuzuhoͤren. Aber wiſſen Sie was? einer unſrer groͤßten Fuͤrſten will jetzt die Advocaten ganz abſchaffen, und dafuͤr bey jeder Regierung vier Raͤthe einfuͤhren, welche die Sachen der Partheyen vortragen und die Stellen der Advocaten vertreten ſollen …
Das hoͤre ich gern, erwiederte ich, daß man die Ad- vocaten ſolchergeſtalt als Raͤthe in die groſſe Thuͤr wieder einfuͤhren will, nachdem man ſie unter ihren vorigen Na- men zur Hinterthuͤr hinausgeſchickt hat. Es beweiſet dieſes ſo viel, daß man von der Ehre zunaͤchſt rechtſchaf- fene Leute erwarten koͤnne; und daß man uͤbel gethan habe ſolche den Advocaten zu entziehen. Nur zweifle ich ſehr, daß dieſer Plan alle die vorhin beſchriebene Vor- theile mit ſich fuͤhren werde; jener ſcheint mir weit leich- ter, freyer und unendlich ergiebiger zu ſeyn; er hatte die Maͤnner erzeugt, woraus der Großcanzler bey der er- ſtern Einrichtung verſchiedene Raͤthe und Praͤſidenten waͤhlte … und es ſcheint mir doch immer problematiſch zu ſeyn, ob beſoldete Richter und beſoldete Advocaten ..
Nehmen Sie es nicht uͤbel, ſagte mein Herr College, meine Frau erwartet mich, und gieng mit Angſt fort, weil er beſorgte, ich wuͤrd ihn noch um ſeine Suppe brin- gen, wenn ich meinen Text nach allen ſeinen Theilen voͤl- lig ausfuͤhrte …
LII.
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nicht ſo ſchlechterdings einzuſchraͤnken.
der heutigen Welt mehr als alle Sittenlehre wuͤrket, von
ſelbſt annehmen; kein Maͤdgen wird ſich in der Hofnung
dereinſt Frau Raͤthin zu heiſſen, ſchaͤmen eine Zeitlang
Frau Advocatußin oder um in unſern Stil zu ſprechen,
Frau Doctorin zu heiſſen …
Herr, fiel endlich mein College hier ein, ich glaube
Sie declamirten noch einen Monat ſo fort, wenn ich die
Gedult haͤtte ihnen zuzuhoͤren. Aber wiſſen Sie was?
einer unſrer groͤßten Fuͤrſten will jetzt die Advocaten ganz
abſchaffen, und dafuͤr bey jeder Regierung vier Raͤthe
einfuͤhren, welche die Sachen der Partheyen vortragen
und die Stellen der Advocaten vertreten ſollen …
Das hoͤre ich gern, erwiederte ich, daß man die Ad-
vocaten ſolchergeſtalt als Raͤthe in die groſſe Thuͤr wieder
einfuͤhren will, nachdem man ſie unter ihren vorigen Na-
men zur Hinterthuͤr hinausgeſchickt hat. Es beweiſet
dieſes ſo viel, daß man von der Ehre zunaͤchſt rechtſchaf-
fene Leute erwarten koͤnne; und daß man uͤbel gethan
habe ſolche den Advocaten zu entziehen. Nur zweifle ich
ſehr, daß dieſer Plan alle die vorhin beſchriebene Vor-
theile mit ſich fuͤhren werde; jener ſcheint mir weit leich-
ter, freyer und unendlich ergiebiger zu ſeyn; er hatte die
Maͤnner erzeugt, woraus der Großcanzler bey der er-
ſtern Einrichtung verſchiedene Raͤthe und Praͤſidenten
waͤhlte … und es ſcheint mir doch immer problematiſch
zu ſeyn, ob beſoldete Richter und beſoldete Advocaten ..
Nehmen Sie es nicht uͤbel, ſagte mein Herr College,
meine Frau erwartet mich, und gieng mit Angſt fort,
weil er beſorgte, ich wuͤrd ihn noch um ſeine Suppe brin-
gen, wenn ich meinen Text nach allen ſeinen Theilen voͤl-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Für das DTA wurde die „Neue verbesserte und verme… [mehr]
Für das DTA wurde die „Neue verbesserte und vermehrte Auflage“ des 3. Teils von Justus Mösers „Patriotischen Phantasien“ zur Digitalisierung ausgewählt. Sie erschien 1778, also im selben Jahr wie die Erstauflage dieses Bandes, und ist bis S. 260 seitenidentisch mit dieser. Die Abschnitte LX („Gedanken über den westphälischen Leibeigenthum“) bis LXVIII („Gedanken über den Stillestand der Leibeignen“) sind Ergänzungen gegenüber der ersten Auflage.
Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/219>, abgerufen am 27.07.2024.
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