Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778.

Bild:
<< vorherige Seite

ohne Gewissensscrupel folgen.
dachte, was die Welt dazu sagen, und wie ein jeder be-
haupten würde: sie spielten die Vernünftige, oder machten
wohl gar die Andächtige: so sahe ich wohl, daß die Aus-
führung dieses Vorschlags Ihnen nicht gelingen würde.
Denn welche Frau von Ehre in der Welt würde eine solche
Nachrede mit Gelassenheit ertragen? Es würde Ihnen ge-
wiß wie mir ergehen, da einmahl der Prinz von .... dem
ich meine Verachtung bezeugte, mich überall in den Ruf
brachte, ich spielte die Grausame. Um ihn völlig zu über-
führen, daß ich ihn in Ernst verachtete, begegnete ich ei-
nem andern mit verdoppelter Gefälligkeit; und so würden
Sie auch, um sich außer allen Verdacht zu setzen, auf eine
andre Art verschwenden müssen, wenn Sie sich in Ansehung
der Moden einschränken, und sich nicht in den Ruf setzen
wollen, daß Sie die kleine Philosophin spielten.

Es wird Ihnen der härteste Stand seyn, wie Sie der
Gräfin ..... begegnen wollen, wenn diese in einem neuen
Aufzuge kömmt, und Sie sich in einem unveränderten zei-
gen müssen. Wollen Sie hier die Augen verschließen, und
thun als wenn Sie solches nicht bemerken: so wird die lose
Spötterin dieses Ihr Stillschweigen schon zu erklären wis-
sen. Wollen Sie den neuen Anzug bewundern, ihn aller-
liebst finden, und der glücklichen Besitzerin ein Compliment
darüber machen, wie gezwungen wird solches nicht ausse-
hen, wie sehr wird Ihr Herz dabey leiden, und wie gedemü-
thiget werden Sie dabey in aller Welt Augen erscheinen?
Sollte die Gräfin gar die Boßheit haben, und aus Barm-
herzigkeit noch die vorige Mode rühmen, worin Sie so dann
erscheinen; so würden Sie gewiß Ihre ganze Haltung ver-
lieren, und zum erstenmahl mit niedergeschlagenen Augen
ihrem Triumphwagen folgen müssen.

Tugend
A 4

ohne Gewiſſensſcrupel folgen.
dachte, was die Welt dazu ſagen, und wie ein jeder be-
haupten wuͤrde: ſie ſpielten die Vernuͤnftige, oder machten
wohl gar die Andaͤchtige: ſo ſahe ich wohl, daß die Aus-
fuͤhrung dieſes Vorſchlags Ihnen nicht gelingen wuͤrde.
Denn welche Frau von Ehre in der Welt wuͤrde eine ſolche
Nachrede mit Gelaſſenheit ertragen? Es wuͤrde Ihnen ge-
wiß wie mir ergehen, da einmahl der Prinz von .... dem
ich meine Verachtung bezeugte, mich uͤberall in den Ruf
brachte, ich ſpielte die Grauſame. Um ihn voͤllig zu uͤber-
fuͤhren, daß ich ihn in Ernſt verachtete, begegnete ich ei-
nem andern mit verdoppelter Gefaͤlligkeit; und ſo wuͤrden
Sie auch, um ſich außer allen Verdacht zu ſetzen, auf eine
andre Art verſchwenden muͤſſen, wenn Sie ſich in Anſehung
der Moden einſchraͤnken, und ſich nicht in den Ruf ſetzen
wollen, daß Sie die kleine Philoſophin ſpielten.

Es wird Ihnen der haͤrteſte Stand ſeyn, wie Sie der
Graͤfin ..... begegnen wollen, wenn dieſe in einem neuen
Aufzuge koͤmmt, und Sie ſich in einem unveraͤnderten zei-
gen muͤſſen. Wollen Sie hier die Augen verſchließen, und
thun als wenn Sie ſolches nicht bemerken: ſo wird die loſe
Spoͤtterin dieſes Ihr Stillſchweigen ſchon zu erklaͤren wiſ-
ſen. Wollen Sie den neuen Anzug bewundern, ihn aller-
liebſt finden, und der gluͤcklichen Beſitzerin ein Compliment
daruͤber machen, wie gezwungen wird ſolches nicht ausſe-
hen, wie ſehr wird Ihr Herz dabey leiden, und wie gedemuͤ-
thiget werden Sie dabey in aller Welt Augen erſcheinen?
Sollte die Graͤfin gar die Boßheit haben, und aus Barm-
herzigkeit noch die vorige Mode ruͤhmen, worin Sie ſo dann
erſcheinen; ſo wuͤrden Sie gewiß Ihre ganze Haltung ver-
lieren, und zum erſtenmahl mit niedergeſchlagenen Augen
ihrem Triumphwagen folgen muͤſſen.

Tugend
A 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0021" n="7"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">ohne Gewi&#x017F;&#x017F;ens&#x017F;crupel folgen.</hi></fw><lb/>
dachte, was die Welt dazu &#x017F;agen, und wie ein jeder be-<lb/>
haupten wu&#x0364;rde: &#x017F;ie &#x017F;pielten die Vernu&#x0364;nftige, oder <hi rendition="#fr">machten</hi><lb/>
wohl gar die Anda&#x0364;chtige: &#x017F;o &#x017F;ahe ich wohl, daß die Aus-<lb/>
fu&#x0364;hrung die&#x017F;es Vor&#x017F;chlags Ihnen nicht gelingen wu&#x0364;rde.<lb/>
Denn welche Frau von Ehre in der Welt wu&#x0364;rde eine &#x017F;olche<lb/>
Nachrede mit Gela&#x017F;&#x017F;enheit ertragen? Es wu&#x0364;rde Ihnen ge-<lb/>
wiß wie mir ergehen, da einmahl der Prinz von .... dem<lb/>
ich meine Verachtung bezeugte, mich u&#x0364;berall in den Ruf<lb/>
brachte, ich &#x017F;pielte die Grau&#x017F;ame. Um ihn vo&#x0364;llig zu u&#x0364;ber-<lb/>
fu&#x0364;hren, daß ich ihn in Ern&#x017F;t verachtete, begegnete ich ei-<lb/>
nem andern mit verdoppelter Gefa&#x0364;lligkeit; und &#x017F;o wu&#x0364;rden<lb/>
Sie auch, um &#x017F;ich außer allen Verdacht zu &#x017F;etzen, auf eine<lb/>
andre Art ver&#x017F;chwenden mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, wenn Sie &#x017F;ich in An&#x017F;ehung<lb/>
der Moden ein&#x017F;chra&#x0364;nken, und &#x017F;ich nicht in den Ruf &#x017F;etzen<lb/>
wollen, daß Sie die kleine Philo&#x017F;ophin &#x017F;pielten.</p><lb/>
          <p>Es wird Ihnen der ha&#x0364;rte&#x017F;te Stand &#x017F;eyn, wie Sie der<lb/>
Gra&#x0364;fin ..... begegnen wollen, wenn die&#x017F;e in einem neuen<lb/>
Aufzuge ko&#x0364;mmt, und Sie &#x017F;ich in einem unvera&#x0364;nderten zei-<lb/>
gen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en. Wollen Sie hier die Augen ver&#x017F;chließen, und<lb/>
thun als wenn Sie &#x017F;olches nicht bemerken: &#x017F;o wird die lo&#x017F;e<lb/>
Spo&#x0364;tterin die&#x017F;es Ihr Still&#x017F;chweigen &#x017F;chon zu erkla&#x0364;ren wi&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en. Wollen Sie den neuen Anzug bewundern, ihn aller-<lb/>
lieb&#x017F;t finden, und der glu&#x0364;cklichen Be&#x017F;itzerin ein Compliment<lb/>
daru&#x0364;ber machen, wie gezwungen wird &#x017F;olches nicht aus&#x017F;e-<lb/>
hen, wie &#x017F;ehr wird Ihr Herz dabey leiden, und wie gedemu&#x0364;-<lb/>
thiget werden Sie dabey in aller Welt Augen er&#x017F;cheinen?<lb/>
Sollte die Gra&#x0364;fin gar die Boßheit haben, und aus Barm-<lb/>
herzigkeit noch die vorige Mode ru&#x0364;hmen, worin Sie &#x017F;o dann<lb/>
er&#x017F;cheinen; &#x017F;o wu&#x0364;rden Sie gewiß Ihre ganze Haltung ver-<lb/>
lieren, und zum er&#x017F;tenmahl mit niederge&#x017F;chlagenen Augen<lb/>
ihrem Triumphwagen folgen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">A 4</fw>
          <fw place="bottom" type="catch">Tugend</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[7/0021] ohne Gewiſſensſcrupel folgen. dachte, was die Welt dazu ſagen, und wie ein jeder be- haupten wuͤrde: ſie ſpielten die Vernuͤnftige, oder machten wohl gar die Andaͤchtige: ſo ſahe ich wohl, daß die Aus- fuͤhrung dieſes Vorſchlags Ihnen nicht gelingen wuͤrde. Denn welche Frau von Ehre in der Welt wuͤrde eine ſolche Nachrede mit Gelaſſenheit ertragen? Es wuͤrde Ihnen ge- wiß wie mir ergehen, da einmahl der Prinz von .... dem ich meine Verachtung bezeugte, mich uͤberall in den Ruf brachte, ich ſpielte die Grauſame. Um ihn voͤllig zu uͤber- fuͤhren, daß ich ihn in Ernſt verachtete, begegnete ich ei- nem andern mit verdoppelter Gefaͤlligkeit; und ſo wuͤrden Sie auch, um ſich außer allen Verdacht zu ſetzen, auf eine andre Art verſchwenden muͤſſen, wenn Sie ſich in Anſehung der Moden einſchraͤnken, und ſich nicht in den Ruf ſetzen wollen, daß Sie die kleine Philoſophin ſpielten. Es wird Ihnen der haͤrteſte Stand ſeyn, wie Sie der Graͤfin ..... begegnen wollen, wenn dieſe in einem neuen Aufzuge koͤmmt, und Sie ſich in einem unveraͤnderten zei- gen muͤſſen. Wollen Sie hier die Augen verſchließen, und thun als wenn Sie ſolches nicht bemerken: ſo wird die loſe Spoͤtterin dieſes Ihr Stillſchweigen ſchon zu erklaͤren wiſ- ſen. Wollen Sie den neuen Anzug bewundern, ihn aller- liebſt finden, und der gluͤcklichen Beſitzerin ein Compliment daruͤber machen, wie gezwungen wird ſolches nicht ausſe- hen, wie ſehr wird Ihr Herz dabey leiden, und wie gedemuͤ- thiget werden Sie dabey in aller Welt Augen erſcheinen? Sollte die Graͤfin gar die Boßheit haben, und aus Barm- herzigkeit noch die vorige Mode ruͤhmen, worin Sie ſo dann erſcheinen; ſo wuͤrden Sie gewiß Ihre ganze Haltung ver- lieren, und zum erſtenmahl mit niedergeſchlagenen Augen ihrem Triumphwagen folgen muͤſſen. Tugend A 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Für das DTA wurde die „Neue verbesserte und verme… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/21
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/21>, abgerufen am 24.04.2024.