gesehn, und im Paradiese lauter gleich lange schöne Tage gehabt -- ich befürchte, es stirbt nun so alles nacheinan- der aus. Man hört weder Frosch noch Vogel, die Früchte fallen überall ab, die Bäume verlieren ihre Blätter, und sogar das Dach unsrer Hütte faulet, und fällt zusammen -- ich fürchte, ich fürchte, Gottes Zorn folgt uns nach, es gehet alles aus, und wir mit, meine liebe Eva; auch du solltest wieder zur Erde werden. Hier entfiel ihm die erste bitterliche Thräne, und Eva schluchzte an seinem Halse: Auch du.
Alle Morgen die Gott werden ließ, kam die Sonne später, und der Abend, da sie noch weder Feuer noch Licht kannten, so früh, die Tage wurden allmählig so kurz, daß sie nun schon nichts anders als eine lange ewige Nacht er- warteten, und blos vom Hunger getrieben noch durch den dicken Nebel herum liefen, um einige abgefallene Früchte zu sammlen, wobey Eva immer glücklicher war als Adam, indem sie noch oft einen Apfel entdeckte, den der Mann über- sehen hatte, und sich dann recht inniglich freuete. Aber auch diese Hülfe hörte bald auf, die Thiere auf dem Felde sammleten fleißiger wie sie, und ein schöner Kürbis, den Eva einsmals im Triumph nach Hause gebracht, und über alle Aepfel im Paradiese erhoben, Adam aber, um ihr kein Recht zu lassen, aus der Hütte geworfen hatte, lag, wie sie ihn jetzt aufsuchte, verfaulet da. Nun wühlte Eva mit ihren Händen Wurzeln aus der Erde, bis der Frost kam, und sich ihren noch nicht abgehärteten Fingern wi- dersetzte. Endlich bedeckte ein tiefer Schnee den ganzen Erd- boden, und vergrub das einsame Paar unter seiner armse- ligen Hütte. Keine Sonne leuchtete mehr, die ganze Natur war todt, kein Vogel sang, kein Kraut wuchs, und der blasse Schimmer des Schnees entdeckte ihnen nichts als ihr beyder- seitiges Elend. Sie legten sich hin um zu erstarren, um
mit
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Der erſte Jahreswechſel.
geſehn, und im Paradieſe lauter gleich lange ſchoͤne Tage gehabt — ich befuͤrchte, es ſtirbt nun ſo alles nacheinan- der aus. Man hoͤrt weder Froſch noch Vogel, die Fruͤchte fallen uͤberall ab, die Baͤume verlieren ihre Blaͤtter, und ſogar das Dach unſrer Huͤtte faulet, und faͤllt zuſammen — ich fuͤrchte, ich fuͤrchte, Gottes Zorn folgt uns nach, es gehet alles aus, und wir mit, meine liebe Eva; auch du ſollteſt wieder zur Erde werden. Hier entfiel ihm die erſte bitterliche Thraͤne, und Eva ſchluchzte an ſeinem Halſe: Auch du.
Alle Morgen die Gott werden ließ, kam die Sonne ſpaͤter, und der Abend, da ſie noch weder Feuer noch Licht kannten, ſo fruͤh, die Tage wurden allmaͤhlig ſo kurz, daß ſie nun ſchon nichts anders als eine lange ewige Nacht er- warteten, und blos vom Hunger getrieben noch durch den dicken Nebel herum liefen, um einige abgefallene Fruͤchte zu ſammlen, wobey Eva immer gluͤcklicher war als Adam, indem ſie noch oft einen Apfel entdeckte, den der Mann uͤber- ſehen hatte, und ſich dann recht inniglich freuete. Aber auch dieſe Huͤlfe hoͤrte bald auf, die Thiere auf dem Felde ſammleten fleißiger wie ſie, und ein ſchoͤner Kuͤrbis, den Eva einsmals im Triumph nach Hauſe gebracht, und uͤber alle Aepfel im Paradieſe erhoben, Adam aber, um ihr kein Recht zu laſſen, aus der Huͤtte geworfen hatte, lag, wie ſie ihn jetzt aufſuchte, verfaulet da. Nun wuͤhlte Eva mit ihren Haͤnden Wurzeln aus der Erde, bis der Froſt kam, und ſich ihren noch nicht abgehaͤrteten Fingern wi- derſetzte. Endlich bedeckte ein tiefer Schnee den ganzen Erd- boden, und vergrub das einſame Paar unter ſeiner armſe- ligen Huͤtte. Keine Sonne leuchtete mehr, die ganze Natur war todt, kein Vogel ſang, kein Kraut wuchs, und der blaſſe Schimmer des Schnees entdeckte ihnen nichts als ihr beyder- ſeitiges Elend. Sie legten ſich hin um zu erſtarren, um
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Der erſte Jahreswechſel.
geſehn, und im Paradieſe lauter gleich lange ſchoͤne Tage
gehabt — ich befuͤrchte, es ſtirbt nun ſo alles nacheinan-
der aus. Man hoͤrt weder Froſch noch Vogel, die Fruͤchte
fallen uͤberall ab, die Baͤume verlieren ihre Blaͤtter, und
ſogar das Dach unſrer Huͤtte faulet, und faͤllt zuſammen
— ich fuͤrchte, ich fuͤrchte, Gottes Zorn folgt uns nach,
es gehet alles aus, und wir mit, meine liebe Eva; auch
du ſollteſt wieder zur Erde werden. Hier entfiel ihm die
erſte bitterliche Thraͤne, und Eva ſchluchzte an ſeinem Halſe:
Auch du.
Alle Morgen die Gott werden ließ, kam die Sonne
ſpaͤter, und der Abend, da ſie noch weder Feuer noch Licht
kannten, ſo fruͤh, die Tage wurden allmaͤhlig ſo kurz, daß
ſie nun ſchon nichts anders als eine lange ewige Nacht er-
warteten, und blos vom Hunger getrieben noch durch den
dicken Nebel herum liefen, um einige abgefallene Fruͤchte
zu ſammlen, wobey Eva immer gluͤcklicher war als Adam,
indem ſie noch oft einen Apfel entdeckte, den der Mann uͤber-
ſehen hatte, und ſich dann recht inniglich freuete. Aber
auch dieſe Huͤlfe hoͤrte bald auf, die Thiere auf dem Felde
ſammleten fleißiger wie ſie, und ein ſchoͤner Kuͤrbis, den
Eva einsmals im Triumph nach Hauſe gebracht, und uͤber
alle Aepfel im Paradieſe erhoben, Adam aber, um ihr kein
Recht zu laſſen, aus der Huͤtte geworfen hatte, lag, wie
ſie ihn jetzt aufſuchte, verfaulet da. Nun wuͤhlte Eva
mit ihren Haͤnden Wurzeln aus der Erde, bis der Froſt
kam, und ſich ihren noch nicht abgehaͤrteten Fingern wi-
derſetzte. Endlich bedeckte ein tiefer Schnee den ganzen Erd-
boden, und vergrub das einſame Paar unter ſeiner armſe-
ligen Huͤtte. Keine Sonne leuchtete mehr, die ganze Natur
war todt, kein Vogel ſang, kein Kraut wuchs, und der blaſſe
Schimmer des Schnees entdeckte ihnen nichts als ihr beyder-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Für das DTA wurde die „Neue verbesserte und verme… [mehr]
Für das DTA wurde die „Neue verbesserte und vermehrte Auflage“ des 3. Teils von Justus Mösers „Patriotischen Phantasien“ zur Digitalisierung ausgewählt. Sie erschien 1778, also im selben Jahr wie die Erstauflage dieses Bandes, und ist bis S. 260 seitenidentisch mit dieser. Die Abschnitte LX („Gedanken über den westphälischen Leibeigenthum“) bis LXVIII („Gedanken über den Stillestand der Leibeignen“) sind Ergänzungen gegenüber der ersten Auflage.
Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/165>, abgerufen am 27.07.2024.
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