Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778.

Bild:
<< vorherige Seite

für die Handwerkspurschen nöthig.
heyrathen; es wird für ihr Aussterben auf mancherley Art
gesorgt; und so ist das Opfer so groß nicht, vielleicht auch
der Ordnung der Welt gemäß, was sie von ihm fordern.
Aber für uns? ... doch ihr Einfall mag so viel gelten, als
er hat gelten sollen, das wichtigste was sie mir sagen kön-
nen, ist dieses, wie jemals ein Schneider sich an das Bü-
cken und Sitzen gewöhnen werde, wenn dessen Körper nicht
in der Jugend dazu gebogen und gewöhnet worden, und
wie es überhaupt mit allen Fertigkeiten aussehen werde,
wenn man sowohl den Körper als den Geist des Jünglings
vollkommen gesund erhalten wolle?

Allein hierüber wollte ich eben belehret seyn; ich wollte
wissen, wie die so leicht ausgelernten gelehrten Gesellen,
wenn sie dereinst Meister werden, sich an ihren Schreibti-
schen geberden werden, wenn sie alles so leicht und spielend
lernen? Ob sie, wenn ihre Jugend in einer beständigen
Abwechselung des angenehmen und nützlichen verflossen,
wenn sie mit Hülfe einer lebhaften Einbildungskraft, alles
was ihnen vorgetragen worden, schnell gefaßt, und früh
beurtheilet, und wenn sie hiezu durch alle nur mögliche Auf-
munterung gereitzt worden, eben so anhaltend in schweren
und langweiligen Arbeiten, eben so dauerhaft in verdrieß-
lichen und unbewunderten oder unbelohnten Geschäften, und
eben so geschickt zur Anstrengung ihrer Seelenkräfte seyn
werden, als diejenigen, welche in ihrer Jugend an Seele
und Leib paß geplaget worden? Und wenn dieses, ob ich
es sodann nicht wagen dürfte, meinen Jungen in irgend ei-
ner Realschule, worinn man die leichteste Methode hat,
das Handwerk lernen zu lassen?

Die Fertigkeiten des Geistes und des Körpers sollen
zwar, wie ich höre, sehr verschieden seyn. Aber mein
Nachbar, der alle Charten im Spiele behalten kann, ist

nicht

fuͤr die Handwerkspurſchen noͤthig.
heyrathen; es wird fuͤr ihr Ausſterben auf mancherley Art
geſorgt; und ſo iſt das Opfer ſo groß nicht, vielleicht auch
der Ordnung der Welt gemaͤß, was ſie von ihm fordern.
Aber fuͤr uns? … doch ihr Einfall mag ſo viel gelten, als
er hat gelten ſollen, das wichtigſte was ſie mir ſagen koͤn-
nen, iſt dieſes, wie jemals ein Schneider ſich an das Buͤ-
cken und Sitzen gewoͤhnen werde, wenn deſſen Koͤrper nicht
in der Jugend dazu gebogen und gewoͤhnet worden, und
wie es uͤberhaupt mit allen Fertigkeiten ausſehen werde,
wenn man ſowohl den Koͤrper als den Geiſt des Juͤnglings
vollkommen geſund erhalten wolle?

Allein hieruͤber wollte ich eben belehret ſeyn; ich wollte
wiſſen, wie die ſo leicht ausgelernten gelehrten Geſellen,
wenn ſie dereinſt Meiſter werden, ſich an ihren Schreibti-
ſchen geberden werden, wenn ſie alles ſo leicht und ſpielend
lernen? Ob ſie, wenn ihre Jugend in einer beſtaͤndigen
Abwechſelung des angenehmen und nuͤtzlichen verfloſſen,
wenn ſie mit Huͤlfe einer lebhaften Einbildungskraft, alles
was ihnen vorgetragen worden, ſchnell gefaßt, und fruͤh
beurtheilet, und wenn ſie hiezu durch alle nur moͤgliche Auf-
munterung gereitzt worden, eben ſo anhaltend in ſchweren
und langweiligen Arbeiten, eben ſo dauerhaft in verdrieß-
lichen und unbewunderten oder unbelohnten Geſchaͤften, und
eben ſo geſchickt zur Anſtrengung ihrer Seelenkraͤfte ſeyn
werden, als diejenigen, welche in ihrer Jugend an Seele
und Leib paß geplaget worden? Und wenn dieſes, ob ich
es ſodann nicht wagen duͤrfte, meinen Jungen in irgend ei-
ner Realſchule, worinn man die leichteſte Methode hat,
das Handwerk lernen zu laſſen?

Die Fertigkeiten des Geiſtes und des Koͤrpers ſollen
zwar, wie ich hoͤre, ſehr verſchieden ſeyn. Aber mein
Nachbar, der alle Charten im Spiele behalten kann, iſt

nicht
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0153" n="139"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">fu&#x0364;r die Handwerkspur&#x017F;chen no&#x0364;thig.</hi></fw><lb/>
heyrathen; es wird fu&#x0364;r ihr Aus&#x017F;terben auf mancherley Art<lb/>
ge&#x017F;orgt; und &#x017F;o i&#x017F;t das Opfer &#x017F;o groß nicht, vielleicht auch<lb/>
der Ordnung der Welt gema&#x0364;ß, was &#x017F;ie von ihm fordern.<lb/>
Aber fu&#x0364;r uns? &#x2026; doch ihr Einfall mag &#x017F;o viel gelten, als<lb/>
er hat gelten &#x017F;ollen, das wichtig&#x017F;te was &#x017F;ie mir &#x017F;agen ko&#x0364;n-<lb/>
nen, i&#x017F;t die&#x017F;es, wie jemals ein Schneider &#x017F;ich an das Bu&#x0364;-<lb/>
cken und Sitzen gewo&#x0364;hnen werde, wenn de&#x017F;&#x017F;en Ko&#x0364;rper nicht<lb/>
in der Jugend dazu gebogen und gewo&#x0364;hnet worden, und<lb/>
wie es u&#x0364;berhaupt mit allen Fertigkeiten aus&#x017F;ehen werde,<lb/>
wenn man &#x017F;owohl den Ko&#x0364;rper als den Gei&#x017F;t des Ju&#x0364;nglings<lb/>
vollkommen ge&#x017F;und erhalten wolle?</p><lb/>
        <p>Allein hieru&#x0364;ber wollte ich eben belehret &#x017F;eyn; ich wollte<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en, wie die &#x017F;o leicht ausgelernten gelehrten Ge&#x017F;ellen,<lb/>
wenn &#x017F;ie derein&#x017F;t Mei&#x017F;ter werden, &#x017F;ich an ihren Schreibti-<lb/>
&#x017F;chen geberden werden, wenn &#x017F;ie alles &#x017F;o leicht und &#x017F;pielend<lb/>
lernen? Ob &#x017F;ie, wenn ihre Jugend in einer be&#x017F;ta&#x0364;ndigen<lb/>
Abwech&#x017F;elung des angenehmen und nu&#x0364;tzlichen verflo&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
wenn &#x017F;ie mit Hu&#x0364;lfe einer lebhaften Einbildungskraft, alles<lb/>
was ihnen vorgetragen worden, &#x017F;chnell gefaßt, und fru&#x0364;h<lb/>
beurtheilet, und wenn &#x017F;ie hiezu durch alle nur mo&#x0364;gliche Auf-<lb/>
munterung gereitzt worden, eben &#x017F;o anhaltend in &#x017F;chweren<lb/>
und langweiligen Arbeiten, eben &#x017F;o dauerhaft in verdrieß-<lb/>
lichen und unbewunderten oder unbelohnten Ge&#x017F;cha&#x0364;ften, und<lb/>
eben &#x017F;o ge&#x017F;chickt zur An&#x017F;trengung ihrer Seelenkra&#x0364;fte &#x017F;eyn<lb/>
werden, als diejenigen, welche in ihrer Jugend an Seele<lb/>
und Leib paß geplaget worden? Und wenn die&#x017F;es, ob ich<lb/>
es &#x017F;odann nicht wagen du&#x0364;rfte, meinen Jungen in irgend ei-<lb/>
ner Real&#x017F;chule, worinn man die leichte&#x017F;te Methode hat,<lb/>
das Handwerk lernen zu la&#x017F;&#x017F;en?</p><lb/>
        <p>Die Fertigkeiten des Gei&#x017F;tes und des Ko&#x0364;rpers &#x017F;ollen<lb/>
zwar, wie ich ho&#x0364;re, &#x017F;ehr ver&#x017F;chieden &#x017F;eyn. Aber mein<lb/>
Nachbar, der alle Charten im Spiele behalten kann, i&#x017F;t<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">nicht</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[139/0153] fuͤr die Handwerkspurſchen noͤthig. heyrathen; es wird fuͤr ihr Ausſterben auf mancherley Art geſorgt; und ſo iſt das Opfer ſo groß nicht, vielleicht auch der Ordnung der Welt gemaͤß, was ſie von ihm fordern. Aber fuͤr uns? … doch ihr Einfall mag ſo viel gelten, als er hat gelten ſollen, das wichtigſte was ſie mir ſagen koͤn- nen, iſt dieſes, wie jemals ein Schneider ſich an das Buͤ- cken und Sitzen gewoͤhnen werde, wenn deſſen Koͤrper nicht in der Jugend dazu gebogen und gewoͤhnet worden, und wie es uͤberhaupt mit allen Fertigkeiten ausſehen werde, wenn man ſowohl den Koͤrper als den Geiſt des Juͤnglings vollkommen geſund erhalten wolle? Allein hieruͤber wollte ich eben belehret ſeyn; ich wollte wiſſen, wie die ſo leicht ausgelernten gelehrten Geſellen, wenn ſie dereinſt Meiſter werden, ſich an ihren Schreibti- ſchen geberden werden, wenn ſie alles ſo leicht und ſpielend lernen? Ob ſie, wenn ihre Jugend in einer beſtaͤndigen Abwechſelung des angenehmen und nuͤtzlichen verfloſſen, wenn ſie mit Huͤlfe einer lebhaften Einbildungskraft, alles was ihnen vorgetragen worden, ſchnell gefaßt, und fruͤh beurtheilet, und wenn ſie hiezu durch alle nur moͤgliche Auf- munterung gereitzt worden, eben ſo anhaltend in ſchweren und langweiligen Arbeiten, eben ſo dauerhaft in verdrieß- lichen und unbewunderten oder unbelohnten Geſchaͤften, und eben ſo geſchickt zur Anſtrengung ihrer Seelenkraͤfte ſeyn werden, als diejenigen, welche in ihrer Jugend an Seele und Leib paß geplaget worden? Und wenn dieſes, ob ich es ſodann nicht wagen duͤrfte, meinen Jungen in irgend ei- ner Realſchule, worinn man die leichteſte Methode hat, das Handwerk lernen zu laſſen? Die Fertigkeiten des Geiſtes und des Koͤrpers ſollen zwar, wie ich hoͤre, ſehr verſchieden ſeyn. Aber mein Nachbar, der alle Charten im Spiele behalten kann, iſt nicht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Für das DTA wurde die „Neue verbesserte und verme… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/153
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/153>, abgerufen am 26.04.2024.