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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778.

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Also sollte jeder Gelehrte
aus, und lenkte auf den Vorwurf ein, wie die Zeit bald
kommen dürfte, worinn er mehr als eine Antwort auf sei-
he Frage finden würde. Diese Zeit kommt aber bey den
Gelehrten nicht, ihr Hang nimmt vielmehr mit der Ge-
wohnheit und dem Alter zu, und ihre Ungeschicktheit sich
auf andre Art zu vergnügen, macht ihnen ihre Fehler zur
Bedürfniß.

Die Kunst nichts zu thun, mag indessen auf zweyerley
Art ausgeübet werden, als einmal auf diese, daß man
würklich die Seele völlig ruhen läßt, und sich in dem Lau-
newinkel (boudoit) einschließt: und dann auch auf diese,
daß man sich entweder in Gesellschaften oder auch durch ei-
ne körperliche Bewegung zerstreuet, wobey die Seele feyern
kann. Die erste Art ist, meiner Meynung nach, die schwer-
ste; denn der Mathematiker wird auch im Launewinkel das
Rechnen nicht lassen, und die andere hat die Erfahrung
nicht für sich, indem die mehrsten jedes Vergnügen, was
ihrer Hauptneigung keine Nahrung bietet, ungeschmackt
finden. Wie manchen Gelehrten sieht man in Gesellschaf-
ten vor langer Weile erblassen, und wenn er solche verläßt,
gleich einem befreyeten Sklaven seinen Büchern zufliegen?

Indessen erkennt man es doch immer für theoretisch rich-
tig, daß es ein Glück für die Gesundheit der würdigsten
Männer seyn würde, wenn sie einige Stunden des Tages, mit
Nichts zubringen könnten. Dieses Nichts ist aber nur relativ;
und für einen Gelehrten ist Holzsägen Nichtsthun; so wie um-
gekehrt für einen Holzhacker das Denken eine Erholung ist.
Ein solches Glück könnte man ihm verschaffen, wenn wir die
Erziehung junger Gelehrte dahin einrichteten, daß jeden zu-
gleich die Fähigkeit zu einer körperlichen Beschäftigung, und
mit dieser auch die Neigung dazu beygebracht würde. Eine
jede Kunst, worinn man es zu einiger Geschicklichkeit ge-

bracht

Alſo ſollte jeder Gelehrte
aus, und lenkte auf den Vorwurf ein, wie die Zeit bald
kommen duͤrfte, worinn er mehr als eine Antwort auf ſei-
he Frage finden wuͤrde. Dieſe Zeit kommt aber bey den
Gelehrten nicht, ihr Hang nimmt vielmehr mit der Ge-
wohnheit und dem Alter zu, und ihre Ungeſchicktheit ſich
auf andre Art zu vergnuͤgen, macht ihnen ihre Fehler zur
Beduͤrfniß.

Die Kunſt nichts zu thun, mag indeſſen auf zweyerley
Art ausgeuͤbet werden, als einmal auf dieſe, daß man
wuͤrklich die Seele voͤllig ruhen laͤßt, und ſich in dem Lau-
newinkel (boudoit) einſchließt: und dann auch auf dieſe,
daß man ſich entweder in Geſellſchaften oder auch durch ei-
ne koͤrperliche Bewegung zerſtreuet, wobey die Seele feyern
kann. Die erſte Art iſt, meiner Meynung nach, die ſchwer-
ſte; denn der Mathematiker wird auch im Launewinkel das
Rechnen nicht laſſen, und die andere hat die Erfahrung
nicht fuͤr ſich, indem die mehrſten jedes Vergnuͤgen, was
ihrer Hauptneigung keine Nahrung bietet, ungeſchmackt
finden. Wie manchen Gelehrten ſieht man in Geſellſchaf-
ten vor langer Weile erblaſſen, und wenn er ſolche verlaͤßt,
gleich einem befreyeten Sklaven ſeinen Buͤchern zufliegen?

Indeſſen erkennt man es doch immer fuͤr theoretiſch rich-
tig, daß es ein Gluͤck fuͤr die Geſundheit der wuͤrdigſten
Maͤnner ſeyn wuͤrde, wenn ſie einige Stunden des Tages, mit
Nichts zubringen koͤnnten. Dieſes Nichts iſt aber nur relativ;
und fuͤr einen Gelehrten iſt Holzſaͤgen Nichtsthun; ſo wie um-
gekehrt fuͤr einen Holzhacker das Denken eine Erholung iſt.
Ein ſolches Gluͤck koͤnnte man ihm verſchaffen, wenn wir die
Erziehung junger Gelehrte dahin einrichteten, daß jeden zu-
gleich die Faͤhigkeit zu einer koͤrperlichen Beſchaͤftigung, und
mit dieſer auch die Neigung dazu beygebracht wuͤrde. Eine
jede Kunſt, worinn man es zu einiger Geſchicklichkeit ge-

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[132/0146] Alſo ſollte jeder Gelehrte aus, und lenkte auf den Vorwurf ein, wie die Zeit bald kommen duͤrfte, worinn er mehr als eine Antwort auf ſei- he Frage finden wuͤrde. Dieſe Zeit kommt aber bey den Gelehrten nicht, ihr Hang nimmt vielmehr mit der Ge- wohnheit und dem Alter zu, und ihre Ungeſchicktheit ſich auf andre Art zu vergnuͤgen, macht ihnen ihre Fehler zur Beduͤrfniß. Die Kunſt nichts zu thun, mag indeſſen auf zweyerley Art ausgeuͤbet werden, als einmal auf dieſe, daß man wuͤrklich die Seele voͤllig ruhen laͤßt, und ſich in dem Lau- newinkel (boudoit) einſchließt: und dann auch auf dieſe, daß man ſich entweder in Geſellſchaften oder auch durch ei- ne koͤrperliche Bewegung zerſtreuet, wobey die Seele feyern kann. Die erſte Art iſt, meiner Meynung nach, die ſchwer- ſte; denn der Mathematiker wird auch im Launewinkel das Rechnen nicht laſſen, und die andere hat die Erfahrung nicht fuͤr ſich, indem die mehrſten jedes Vergnuͤgen, was ihrer Hauptneigung keine Nahrung bietet, ungeſchmackt finden. Wie manchen Gelehrten ſieht man in Geſellſchaf- ten vor langer Weile erblaſſen, und wenn er ſolche verlaͤßt, gleich einem befreyeten Sklaven ſeinen Buͤchern zufliegen? Indeſſen erkennt man es doch immer fuͤr theoretiſch rich- tig, daß es ein Gluͤck fuͤr die Geſundheit der wuͤrdigſten Maͤnner ſeyn wuͤrde, wenn ſie einige Stunden des Tages, mit Nichts zubringen koͤnnten. Dieſes Nichts iſt aber nur relativ; und fuͤr einen Gelehrten iſt Holzſaͤgen Nichtsthun; ſo wie um- gekehrt fuͤr einen Holzhacker das Denken eine Erholung iſt. Ein ſolches Gluͤck koͤnnte man ihm verſchaffen, wenn wir die Erziehung junger Gelehrte dahin einrichteten, daß jeden zu- gleich die Faͤhigkeit zu einer koͤrperlichen Beſchaͤftigung, und mit dieſer auch die Neigung dazu beygebracht wuͤrde. Eine jede Kunſt, worinn man es zu einiger Geſchicklichkeit ge- bracht

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/146>, abgerufen am 26.04.2024.