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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778.

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Die erste Landeskasse.
Pfarrer, der die Gefahr des Bischofen billig mit ihm theilte,
muste sein Viertel wohl auch hergeben; die Kirche mogte
verfallen, die Armen hungern, die Pilgrimme zu Hause
bleiben; die gemeine Gefahr forderte und rechtfertigte al-
lenfalls auch noch die Ausgabe der übrigen beyden Viertel
in der Zehntkasse. Wie mit der Zeit der Kastenvogt wie-
derum andere Getreue zu seinen und des Bischofes Dien-
sten annahm, überwieß er diesen, um kurz davon zu kom-
men, einen Theil der Zehnten bey den Pflichtigen; und
weil man die Geworbenen aus allerhand Ursachen auch in
Friedenszeiten nicht wieder abdankt: so behielt jeder seine
ihm aus der Zehntkasse angewiesene Löhnung in Hän-
den; ließ sie für geleistete und zu leistende Dienste seinen
Nachfolgern, bis endlich diese grosse Staatskasse zu nichts
weiter hinreichte, der Bischof, so wie jetzt mancher Reichs-
fürst bey den vielen Soldaten sich einschränken, der Pfar-
rer sich an die Accidentien halten, und das Kirchspiel seine
Kirche und Armen auf andre Weise unterhalten muste.

In dem ersten Taumel, vielleicht auch in der grossen
Gefahr, worinn die grausamen Normänner fast ganz Eu-
ropa, und besonders auch den untern Theil von Deutsch-
land setzten, fühlte man bey der Freude der Rettung, den
grossen Verlust nicht, dachte auch vielleicht nicht daran,
daß die Dienstleute sich in eine beständige Militz verwan-
deln würden. Wenn man die benachbarten Kirchen bren-
nen sieht: so ist man froh, die seinige mit Aufopferung
eines Theils der Einnahme erhalten zu haben. Wie aber
die Gefahr allmählig vorüber war, erwachten Pabst, Bi-
schöfe, Pfarrer und Kirche, und suchten ihr Heiligthum aus
dieser entsetzlichen Unordnung zu retten; aber vergebens.
Die Sache war zu verwickelt; das Recht derjenigen, welche
ihre Löhnung verdient hatten, zu stark; ihre plötzliche Abdan-
kung nicht möglich; andrer Rath sie zu befriedigen nicht

vor-

Die erſte Landeskaſſe.
Pfarrer, der die Gefahr des Biſchofen billig mit ihm theilte,
muſte ſein Viertel wohl auch hergeben; die Kirche mogte
verfallen, die Armen hungern, die Pilgrimme zu Hauſe
bleiben; die gemeine Gefahr forderte und rechtfertigte al-
lenfalls auch noch die Ausgabe der uͤbrigen beyden Viertel
in der Zehntkaſſe. Wie mit der Zeit der Kaſtenvogt wie-
derum andere Getreue zu ſeinen und des Biſchofes Dien-
ſten annahm, uͤberwieß er dieſen, um kurz davon zu kom-
men, einen Theil der Zehnten bey den Pflichtigen; und
weil man die Geworbenen aus allerhand Urſachen auch in
Friedenszeiten nicht wieder abdankt: ſo behielt jeder ſeine
ihm aus der Zehntkaſſe angewieſene Loͤhnung in Haͤn-
den; ließ ſie fuͤr geleiſtete und zu leiſtende Dienſte ſeinen
Nachfolgern, bis endlich dieſe groſſe Staatskaſſe zu nichts
weiter hinreichte, der Biſchof, ſo wie jetzt mancher Reichs-
fuͤrſt bey den vielen Soldaten ſich einſchraͤnken, der Pfar-
rer ſich an die Accidentien halten, und das Kirchſpiel ſeine
Kirche und Armen auf andre Weiſe unterhalten muſte.

In dem erſten Taumel, vielleicht auch in der groſſen
Gefahr, worinn die grauſamen Normaͤnner faſt ganz Eu-
ropa, und beſonders auch den untern Theil von Deutſch-
land ſetzten, fuͤhlte man bey der Freude der Rettung, den
groſſen Verluſt nicht, dachte auch vielleicht nicht daran,
daß die Dienſtleute ſich in eine beſtaͤndige Militz verwan-
deln wuͤrden. Wenn man die benachbarten Kirchen bren-
nen ſieht: ſo iſt man froh, die ſeinige mit Aufopferung
eines Theils der Einnahme erhalten zu haben. Wie aber
die Gefahr allmaͤhlig voruͤber war, erwachten Pabſt, Bi-
ſchoͤfe, Pfarrer und Kirche, und ſuchten ihr Heiligthum aus
dieſer entſetzlichen Unordnung zu retten; aber vergebens.
Die Sache war zu verwickelt; das Recht derjenigen, welche
ihre Loͤhnung verdient hatten, zu ſtark; ihre ploͤtzliche Abdan-
kung nicht moͤglich; andrer Rath ſie zu befriedigen nicht

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[104/0118] Die erſte Landeskaſſe. Pfarrer, der die Gefahr des Biſchofen billig mit ihm theilte, muſte ſein Viertel wohl auch hergeben; die Kirche mogte verfallen, die Armen hungern, die Pilgrimme zu Hauſe bleiben; die gemeine Gefahr forderte und rechtfertigte al- lenfalls auch noch die Ausgabe der uͤbrigen beyden Viertel in der Zehntkaſſe. Wie mit der Zeit der Kaſtenvogt wie- derum andere Getreue zu ſeinen und des Biſchofes Dien- ſten annahm, uͤberwieß er dieſen, um kurz davon zu kom- men, einen Theil der Zehnten bey den Pflichtigen; und weil man die Geworbenen aus allerhand Urſachen auch in Friedenszeiten nicht wieder abdankt: ſo behielt jeder ſeine ihm aus der Zehntkaſſe angewieſene Loͤhnung in Haͤn- den; ließ ſie fuͤr geleiſtete und zu leiſtende Dienſte ſeinen Nachfolgern, bis endlich dieſe groſſe Staatskaſſe zu nichts weiter hinreichte, der Biſchof, ſo wie jetzt mancher Reichs- fuͤrſt bey den vielen Soldaten ſich einſchraͤnken, der Pfar- rer ſich an die Accidentien halten, und das Kirchſpiel ſeine Kirche und Armen auf andre Weiſe unterhalten muſte. In dem erſten Taumel, vielleicht auch in der groſſen Gefahr, worinn die grauſamen Normaͤnner faſt ganz Eu- ropa, und beſonders auch den untern Theil von Deutſch- land ſetzten, fuͤhlte man bey der Freude der Rettung, den groſſen Verluſt nicht, dachte auch vielleicht nicht daran, daß die Dienſtleute ſich in eine beſtaͤndige Militz verwan- deln wuͤrden. Wenn man die benachbarten Kirchen bren- nen ſieht: ſo iſt man froh, die ſeinige mit Aufopferung eines Theils der Einnahme erhalten zu haben. Wie aber die Gefahr allmaͤhlig voruͤber war, erwachten Pabſt, Bi- ſchoͤfe, Pfarrer und Kirche, und ſuchten ihr Heiligthum aus dieſer entſetzlichen Unordnung zu retten; aber vergebens. Die Sache war zu verwickelt; das Recht derjenigen, welche ihre Loͤhnung verdient hatten, zu ſtark; ihre ploͤtzliche Abdan- kung nicht moͤglich; andrer Rath ſie zu befriedigen nicht vor-

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/118>, abgerufen am 19.04.2024.