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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778.

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für die deutschen Wochenschriften.
Gesetze und ihr Geist sollten lebhaft in seine Seele dringen;
er sollte die Gränzlinie, wo sich sein Eigenthum von dem
Obereigenthum des Staats scheidet, mit dem Finger nach-
weisen können; er sollte sein Auge auch bis zum Throne er-
heben, und mit einem fertigen Blick die Blendungen durch-
schauen können, welche ein despotischer Rathgeber zum Nach-
theil seiner und der Deutschen Freyheit, oft nur mit mäßi-
gen Kräften wagt; ihre Kinder sollten mit den zehn Gebo-
ten auch die Gebote ihres Landes lernen, und in allen Fäl-
len, wo sie einst als Männer gestrafet werden könnten,
auch ein Urtheil weisen können; es schien mir nicht genug,
daß ein Land mit Macht und Ordnung beherrschet wird,
sondern es sollte dieser grosse Zweck auch mit der möglich-
sten Zufriedenheit aller derjenigen, um derentwillen Macht
und Ordnung eingeführt sind, erreichet werden; der wich-
tigste und furchtbarste Staat, der sich auf Kosten der all-
gemeinen Zufriedenheit erhalten müste, war mir dasjenige
nicht, was er nach der göttlichen und natürlichen Ordnung
seyn sollte ...

Allein so glücklich auch der Erfolg hievon in einem Lan-
de gewesen seyn möchte, dessen Einwohner die eifrigsten
Verfechter ihrer Rechte sind, und die sich allemal besser be-
lehren als zwingen lassen; so schien mir doch der Schauplatz
zu klein, und die Sache zu spitzig, um meinen Plan zu
verfolgen. Nichts dünkte mir leichter zu seyn, als die
Punkte, worüber ein Landesherr und seine Landschaft un-
terschiedener Meynung sind, mit den beyderseitigen Grün-
den richtig und anständig vorzutragen; aber auch nichts
schwerer, als die besondern Absichten, welche oft unter die-
sen Gründen spielen, und die Hauptschwierigkeit ausma-
chen, zu berühren und jene vorzutragen, diese aber zu ver-
helen, deuchte mir ein Lustspiel zu seyn, wovon keiner den
Knoten kennt.

Der

fuͤr die deutſchen Wochenſchriften.
Geſetze und ihr Geiſt ſollten lebhaft in ſeine Seele dringen;
er ſollte die Graͤnzlinie, wo ſich ſein Eigenthum von dem
Obereigenthum des Staats ſcheidet, mit dem Finger nach-
weiſen koͤnnen; er ſollte ſein Auge auch bis zum Throne er-
heben, und mit einem fertigen Blick die Blendungen durch-
ſchauen koͤnnen, welche ein deſpotiſcher Rathgeber zum Nach-
theil ſeiner und der Deutſchen Freyheit, oft nur mit maͤßi-
gen Kraͤften wagt; ihre Kinder ſollten mit den zehn Gebo-
ten auch die Gebote ihres Landes lernen, und in allen Faͤl-
len, wo ſie einſt als Maͤnner geſtrafet werden koͤnnten,
auch ein Urtheil weiſen koͤnnen; es ſchien mir nicht genug,
daß ein Land mit Macht und Ordnung beherrſchet wird,
ſondern es ſollte dieſer groſſe Zweck auch mit der moͤglich-
ſten Zufriedenheit aller derjenigen, um derentwillen Macht
und Ordnung eingefuͤhrt ſind, erreichet werden; der wich-
tigſte und furchtbarſte Staat, der ſich auf Koſten der all-
gemeinen Zufriedenheit erhalten muͤſte, war mir dasjenige
nicht, was er nach der goͤttlichen und natuͤrlichen Ordnung
ſeyn ſollte …

Allein ſo gluͤcklich auch der Erfolg hievon in einem Lan-
de geweſen ſeyn moͤchte, deſſen Einwohner die eifrigſten
Verfechter ihrer Rechte ſind, und die ſich allemal beſſer be-
lehren als zwingen laſſen; ſo ſchien mir doch der Schauplatz
zu klein, und die Sache zu ſpitzig, um meinen Plan zu
verfolgen. Nichts duͤnkte mir leichter zu ſeyn, als die
Punkte, woruͤber ein Landesherr und ſeine Landſchaft un-
terſchiedener Meynung ſind, mit den beyderſeitigen Gruͤn-
den richtig und anſtaͤndig vorzutragen; aber auch nichts
ſchwerer, als die beſondern Abſichten, welche oft unter die-
ſen Gruͤnden ſpielen, und die Hauptſchwierigkeit ausma-
chen, zu beruͤhren und jene vorzutragen, dieſe aber zu ver-
helen, deuchte mir ein Luſtſpiel zu ſeyn, wovon keiner den
Knoten kennt.

Der
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[93/0107] fuͤr die deutſchen Wochenſchriften. Geſetze und ihr Geiſt ſollten lebhaft in ſeine Seele dringen; er ſollte die Graͤnzlinie, wo ſich ſein Eigenthum von dem Obereigenthum des Staats ſcheidet, mit dem Finger nach- weiſen koͤnnen; er ſollte ſein Auge auch bis zum Throne er- heben, und mit einem fertigen Blick die Blendungen durch- ſchauen koͤnnen, welche ein deſpotiſcher Rathgeber zum Nach- theil ſeiner und der Deutſchen Freyheit, oft nur mit maͤßi- gen Kraͤften wagt; ihre Kinder ſollten mit den zehn Gebo- ten auch die Gebote ihres Landes lernen, und in allen Faͤl- len, wo ſie einſt als Maͤnner geſtrafet werden koͤnnten, auch ein Urtheil weiſen koͤnnen; es ſchien mir nicht genug, daß ein Land mit Macht und Ordnung beherrſchet wird, ſondern es ſollte dieſer groſſe Zweck auch mit der moͤglich- ſten Zufriedenheit aller derjenigen, um derentwillen Macht und Ordnung eingefuͤhrt ſind, erreichet werden; der wich- tigſte und furchtbarſte Staat, der ſich auf Koſten der all- gemeinen Zufriedenheit erhalten muͤſte, war mir dasjenige nicht, was er nach der goͤttlichen und natuͤrlichen Ordnung ſeyn ſollte … Allein ſo gluͤcklich auch der Erfolg hievon in einem Lan- de geweſen ſeyn moͤchte, deſſen Einwohner die eifrigſten Verfechter ihrer Rechte ſind, und die ſich allemal beſſer be- lehren als zwingen laſſen; ſo ſchien mir doch der Schauplatz zu klein, und die Sache zu ſpitzig, um meinen Plan zu verfolgen. Nichts duͤnkte mir leichter zu ſeyn, als die Punkte, woruͤber ein Landesherr und ſeine Landſchaft un- terſchiedener Meynung ſind, mit den beyderſeitigen Gruͤn- den richtig und anſtaͤndig vorzutragen; aber auch nichts ſchwerer, als die beſondern Abſichten, welche oft unter die- ſen Gruͤnden ſpielen, und die Hauptſchwierigkeit ausma- chen, zu beruͤhren und jene vorzutragen, dieſe aber zu ver- helen, deuchte mir ein Luſtſpiel zu ſeyn, wovon keiner den Knoten kennt. Der

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/107>, abgerufen am 24.04.2024.