Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.der alten deutschen Criminaljurisdiction. civilem) richtete, oder es ist eine Chimere. Kaum hatte ichdiesen Einwurf gemacht: so sahe ich auf einmal die Stelle beym Tacitus: Licet apud concilium accusare quoque et discrimen capitis intendere in einem ganz neuen Lichte; a) so schloß ich, über eines freyen Menschen Leben konnte auch bey den alten Deutschen nur in der Nationalversammlung (und das ist mit der praesentia Imperatoris oder mit dem Misso personalis praesentiae regiae locumtenente einerley) geurtheilet werden, folglich hatte der ordentliche Richter ei- nes Bezirks lediglich auf bürgerliche Genugthuung zu erken- nen, besonders da alle Verbrechen, welche nicht fray oder freislich gemacht waren, mit Gelde gelöset werden konnten. Der ordentliche Richter war der Liebenswürdige, der wohl- thätige Vater und Erhalter seines Volks. Die Bischöfe über- nahmen diese Gerichtsbarkeit mit so vielem Vergnügen als Anstande, und die Freystädte waren die glücklichen Mittel, dem Verbrecher nach dem damaligen Costume zur bürgerlichen Genugthuung zu verhelfen, nicht aber der Bestrafung zu ent- ziehen, und sie vertraten die Stelle des sichern Geleits. So mögen auch die mosaischen Freystätte nur gegen den Blutrich- ter, nicht aber gegen den Erhaltungsrichter, der dem Thäter eine Geldstrafe oder ein ander Opfer auslegte, gedienet haben. Ein besonderer Fall blieb aber doch wie es scheinet, noch sich a) Dahin kamen auch die Römer: Ne imposterum de ca- pite civis Romani injussu populi cognosceretur l. 2. §. 6. ff. de Orig. jur. G g 5
der alten deutſchen Criminaljurisdiction. civilem) richtete, oder es iſt eine Chimere. Kaum hatte ichdieſen Einwurf gemacht: ſo ſahe ich auf einmal die Stelle beym Tacitus: Licet apud concilium accuſare quoque et diſcrimen capitis intendere in einem ganz neuen Lichte; a) ſo ſchloß ich, uͤber eines freyen Menſchen Leben konnte auch bey den alten Deutſchen nur in der Nationalverſammlung (und das iſt mit der praeſentia Imperatoris oder mit dem Miſſo perſonalis praeſentiae regiae locumtenente einerley) geurtheilet werden, folglich hatte der ordentliche Richter ei- nes Bezirks lediglich auf buͤrgerliche Genugthuung zu erken- nen, beſonders da alle Verbrechen, welche nicht fray oder freislich gemacht waren, mit Gelde geloͤſet werden konnten. Der ordentliche Richter war der Liebenswuͤrdige, der wohl- thaͤtige Vater und Erhalter ſeines Volks. Die Biſchoͤfe uͤber- nahmen dieſe Gerichtsbarkeit mit ſo vielem Vergnuͤgen als Anſtande, und die Freyſtaͤdte waren die gluͤcklichen Mittel, dem Verbrecher nach dem damaligen Coſtume zur buͤrgerlichen Genugthuung zu verhelfen, nicht aber der Beſtrafung zu ent- ziehen, und ſie vertraten die Stelle des ſichern Geleits. So moͤgen auch die moſaiſchen Freyſtaͤtte nur gegen den Blutrich- ter, nicht aber gegen den Erhaltungsrichter, der dem Thaͤter eine Geldſtrafe oder ein ander Opfer auſlegte, gedienet haben. Ein beſonderer Fall blieb aber doch wie es ſcheinet, noch ſich a) Dahin kamen auch die Roͤmer: Ne impoſterum de ca- pite civis Romani injuſſu populi cognoſceretur l. 2. §. 6. ff. de Orig. jur. G g 5
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der alten deutſchen Criminaljurisdiction.
civilem) richtete, oder es iſt eine Chimere. Kaum hatte ich
dieſen Einwurf gemacht: ſo ſahe ich auf einmal die Stelle
beym Tacitus: Licet apud concilium accuſare quoque et
diſcrimen capitis intendere in einem ganz neuen Lichte; a)
ſo ſchloß ich, uͤber eines freyen Menſchen Leben konnte auch
bey den alten Deutſchen nur in der Nationalverſammlung
(und das iſt mit der praeſentia Imperatoris oder mit dem
Miſſo perſonalis praeſentiae regiae locumtenente einerley)
geurtheilet werden, folglich hatte der ordentliche Richter ei-
nes Bezirks lediglich auf buͤrgerliche Genugthuung zu erken-
nen, beſonders da alle Verbrechen, welche nicht fray oder
freislich gemacht waren, mit Gelde geloͤſet werden konnten.
Der ordentliche Richter war der Liebenswuͤrdige, der wohl-
thaͤtige Vater und Erhalter ſeines Volks. Die Biſchoͤfe uͤber-
nahmen dieſe Gerichtsbarkeit mit ſo vielem Vergnuͤgen als
Anſtande, und die Freyſtaͤdte waren die gluͤcklichen Mittel,
dem Verbrecher nach dem damaligen Coſtume zur buͤrgerlichen
Genugthuung zu verhelfen, nicht aber der Beſtrafung zu ent-
ziehen, und ſie vertraten die Stelle des ſichern Geleits. So
moͤgen auch die moſaiſchen Freyſtaͤtte nur gegen den Blutrich-
ter, nicht aber gegen den Erhaltungsrichter, der dem Thaͤter
eine Geldſtrafe oder ein ander Opfer auſlegte, gedienet haben.
Ein beſonderer Fall blieb aber doch wie es ſcheinet, noch
uͤbrig, ob er gleich ſehr ſelten vorfallen mogte, worinn auch
der Graf (Comes) einen Verbrecher zur Todesſtrafe verdam-
men konnte. Dies geſchahe, wann derſelbe auf der That
ergriffen und ihm als ein uͤberwundener Miſſethaͤter ins Ge-
richt geliefert wurde. Ein ſolcher genoß der Wohlthat nicht
ſich
a) Dahin kamen auch die Roͤmer: Ne impoſterum de ca-
pite civis Romani injuſſu populi cognoſceretur l. 2.
§. 6. ff. de Orig. jur.
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