Was lebender Selde mir was an ir Gunst betaget, Mir Leide Libe wart geiaget. Das Leid was froh diu Libe klaget. wörtlich übersetzt: Recht wie eine Rose die sich aus ihrer Clausur läßt, Wenn sie des süßen Thaues begehrt, Bot sie mir ihren Zucker süßen rothen Mund. Was je ein Mensch zur Weltwonne genossen hat, Das war es dessen sie mich gewährte Eines so hülfreichen Trostes. Ach der lieben Stunde! Keine Seele mag es durchdenken oder völlig sagen Was für irrdische Seeligkeit mir durch ihre Gunst wie- derfuhr, Die Liebe war durch vieles Leid mühsam erjagt, Das Leid ward froh und die Liebe klagte. und dergleichen Beyspiele findet man in der Maneßischen Sammlung von so vielen Königen, Fürsten und Herrn, daß man überzeugt wird, alle Kinder vom Stande seyn damals in der Poesie wie jetzt in der französischen Sprache unterrich- tet worden. Der König Conrad, ein Sohn Friedrichs des Andern, sang schon früh: Mich hat diu Liebe ser entgelten Das ich der Jare bin ein Kind.
Aber das beste Mittel für das Frauenzimmer, um einer Gesellschaft den lebhaftesten Ton zu geben, war unstreitig die- ses, daß nach der damaligen Sitte, ein jedes seiner Ehren unbeschadet, seinen erklärten Anbeter haben durfte. Jeder
Dich-
wieder erneuern.
Was lebender Selde mir was an ir Gunſt betaget, Mir Leide Libe wart geiaget. Das Leid was froh diu Libe klaget. woͤrtlich uͤberſetzt: Recht wie eine Roſe die ſich aus ihrer Clauſur laͤßt, Wenn ſie des ſuͤßen Thaues begehrt, Bot ſie mir ihren Zucker ſuͤßen rothen Mund. Was je ein Menſch zur Weltwonne genoſſen hat, Das war es deſſen ſie mich gewaͤhrte Eines ſo huͤlfreichen Troſtes. Ach der lieben Stunde! Keine Seele mag es durchdenken oder voͤllig ſagen Was fuͤr irrdiſche Seeligkeit mir durch ihre Gunſt wie- derfuhr, Die Liebe war durch vieles Leid muͤhſam erjagt, Das Leid ward froh und die Liebe klagte. und dergleichen Beyſpiele findet man in der Maneßiſchen Sammlung von ſo vielen Koͤnigen, Fuͤrſten und Herrn, daß man uͤberzeugt wird, alle Kinder vom Stande ſeyn damals in der Poeſie wie jetzt in der franzoͤſiſchen Sprache unterrich- tet worden. Der Koͤnig Conrad, ein Sohn Friedrichs des Andern, ſang ſchon fruͤh: Mich hat diu Liebe ſer entgelten Das ich der Jare bin ein Kind.
Aber das beſte Mittel fuͤr das Frauenzimmer, um einer Geſellſchaft den lebhafteſten Ton zu geben, war unſtreitig die- ſes, daß nach der damaligen Sitte, ein jedes ſeiner Ehren unbeſchadet, ſeinen erklaͤrten Anbeter haben durfte. Jeder
Dich-
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wieder erneuern.
Was lebender Selde mir was an ir Gunſt betaget,
Mir Leide Libe wart geiaget.
Das Leid was froh diu Libe klaget.
woͤrtlich uͤberſetzt:
Recht wie eine Roſe die ſich aus ihrer Clauſur laͤßt,
Wenn ſie des ſuͤßen Thaues begehrt,
Bot ſie mir ihren Zucker ſuͤßen rothen Mund.
Was je ein Menſch zur Weltwonne genoſſen hat,
Das war es deſſen ſie mich gewaͤhrte
Eines ſo huͤlfreichen Troſtes. Ach der lieben Stunde!
Keine Seele mag es durchdenken oder voͤllig ſagen
Was fuͤr irrdiſche Seeligkeit mir durch ihre Gunſt wie-
derfuhr,
Die Liebe war durch vieles Leid muͤhſam erjagt,
Das Leid ward froh und die Liebe klagte.
und dergleichen Beyſpiele findet man in der Maneßiſchen
Sammlung von ſo vielen Koͤnigen, Fuͤrſten und Herrn, daß
man uͤberzeugt wird, alle Kinder vom Stande ſeyn damals
in der Poeſie wie jetzt in der franzoͤſiſchen Sprache unterrich-
tet worden. Der Koͤnig Conrad, ein Sohn Friedrichs des
Andern, ſang ſchon fruͤh:
Mich hat diu Liebe ſer entgelten
Das ich der Jare bin ein Kind.
Aber das beſte Mittel fuͤr das Frauenzimmer, um einer
Geſellſchaft den lebhafteſten Ton zu geben, war unſtreitig die-
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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 379. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/397>, abgerufen am 23.11.2024.
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