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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

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an den Stifter der Wittwencasse zu ****
Oft kan ich für innerlicher Wuth nicht weinen, wenn ich des
Abends nach einem mühsam hingequälten Tage entweder gut-
willig oder gezwungen einem Anbeter der Frau Oberamtmän-
nin zu Gefallen das Zimmer räumen, und wenn dieser sodenn
hönisch hinter mich dareinlächelt, ihm beym Herausgehn noch
eine tiefe Verbeugung machen muß; und wann dann einmal
meine Thränen zum Ausbruch kommen: so habe ich oft nicht
die Ruhe meinen Schmerz dadurch zu erleichtern, indem bald
das Gesinde, was ich gern in Ehrfurcht und Ordnung halten
mögte, mir aufs gröbste begegnet, bald aber die Kinder mich
zur Thür heraus weisen, ohne daß ich dawider mit dem ge-
hörigen Nachdruck reden darf. Und bey dem allen, was für
eine andre Aussicht, als noch einmal Kinderwärterin zu wer-
den, wenn eine von meinen Niecen heyrathet, und die Gnade
für mich hat, mir das Brod in meinem kümmerlichen Alter zu
geben? Wahrlich, mein Herr! dieser traurige Stand unver-
heyratheter Frauenzimmer ist Ihnen nicht bekannt gewesen,
oder Sie haben ein recht sehr hartes Herz, daß Sie nicht auch
für sie eine Verpflegungscasse errichtet haben.

Tausend und aber tausendmal denke ich daran, wie oft mein
seliger Bruder wünschte, daß eine Casse seyn mögte, worin er
für mich so gut wie er für seine Wittwe gethan, ein sicheres
Capital legen könnte. Warum, sagte er, sollte ich nicht in so
fern auch meiner Schwester Mann seyn, und ihr damit eine
Wittwenrente nach meinem Tode erwerben können? Warum
sollte sich nicht jedes lediges Frauenzimmer auf diese Weise
einen Vater, einen Oheim oder Freund, der sie im Leben
versorgen kan, und nach seinem Tode in betrübten Umständen
zurücklassen muß, zu einem Titulairmanne erwählen, und
durch denselben in eine Wittwencasse gelangen können? Allein
man antwortete ihm immer ganz ernsthaft: Die Wittwen-
cassen wären blos um den Ehestand zu befördern; um einen

Ver-
U 5

an den Stifter der Wittwencaſſe zu ****
Oft kan ich fuͤr innerlicher Wuth nicht weinen, wenn ich des
Abends nach einem muͤhſam hingequaͤlten Tage entweder gut-
willig oder gezwungen einem Anbeter der Frau Oberamtmaͤn-
nin zu Gefallen das Zimmer raͤumen, und wenn dieſer ſodenn
hoͤniſch hinter mich dareinlaͤchelt, ihm beym Herausgehn noch
eine tiefe Verbeugung machen muß; und wann dann einmal
meine Thraͤnen zum Ausbruch kommen: ſo habe ich oft nicht
die Ruhe meinen Schmerz dadurch zu erleichtern, indem bald
das Geſinde, was ich gern in Ehrfurcht und Ordnung halten
moͤgte, mir aufs groͤbſte begegnet, bald aber die Kinder mich
zur Thuͤr heraus weiſen, ohne daß ich dawider mit dem ge-
hoͤrigen Nachdruck reden darf. Und bey dem allen, was fuͤr
eine andre Ausſicht, als noch einmal Kinderwaͤrterin zu wer-
den, wenn eine von meinen Niecen heyrathet, und die Gnade
fuͤr mich hat, mir das Brod in meinem kuͤmmerlichen Alter zu
geben? Wahrlich, mein Herr! dieſer traurige Stand unver-
heyratheter Frauenzimmer iſt Ihnen nicht bekannt geweſen,
oder Sie haben ein recht ſehr hartes Herz, daß Sie nicht auch
fuͤr ſie eine Verpflegungscaſſe errichtet haben.

Tauſend und aber tauſendmal denke ich daran, wie oft mein
ſeliger Bruder wuͤnſchte, daß eine Caſſe ſeyn moͤgte, worin er
fuͤr mich ſo gut wie er fuͤr ſeine Wittwe gethan, ein ſicheres
Capital legen koͤnnte. Warum, ſagte er, ſollte ich nicht in ſo
fern auch meiner Schweſter Mann ſeyn, und ihr damit eine
Wittwenrente nach meinem Tode erwerben koͤnnen? Warum
ſollte ſich nicht jedes lediges Frauenzimmer auf dieſe Weiſe
einen Vater, einen Oheim oder Freund, der ſie im Leben
verſorgen kan, und nach ſeinem Tode in betruͤbten Umſtaͤnden
zuruͤcklaſſen muß, zu einem Titulairmanne erwaͤhlen, und
durch denſelben in eine Wittwencaſſe gelangen koͤnnen? Allein
man antwortete ihm immer ganz ernſthaft: Die Wittwen-
caſſen waͤren blos um den Eheſtand zu befoͤrdern; um einen

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[313/0331] an den Stifter der Wittwencaſſe zu **** Oft kan ich fuͤr innerlicher Wuth nicht weinen, wenn ich des Abends nach einem muͤhſam hingequaͤlten Tage entweder gut- willig oder gezwungen einem Anbeter der Frau Oberamtmaͤn- nin zu Gefallen das Zimmer raͤumen, und wenn dieſer ſodenn hoͤniſch hinter mich dareinlaͤchelt, ihm beym Herausgehn noch eine tiefe Verbeugung machen muß; und wann dann einmal meine Thraͤnen zum Ausbruch kommen: ſo habe ich oft nicht die Ruhe meinen Schmerz dadurch zu erleichtern, indem bald das Geſinde, was ich gern in Ehrfurcht und Ordnung halten moͤgte, mir aufs groͤbſte begegnet, bald aber die Kinder mich zur Thuͤr heraus weiſen, ohne daß ich dawider mit dem ge- hoͤrigen Nachdruck reden darf. Und bey dem allen, was fuͤr eine andre Ausſicht, als noch einmal Kinderwaͤrterin zu wer- den, wenn eine von meinen Niecen heyrathet, und die Gnade fuͤr mich hat, mir das Brod in meinem kuͤmmerlichen Alter zu geben? Wahrlich, mein Herr! dieſer traurige Stand unver- heyratheter Frauenzimmer iſt Ihnen nicht bekannt geweſen, oder Sie haben ein recht ſehr hartes Herz, daß Sie nicht auch fuͤr ſie eine Verpflegungscaſſe errichtet haben. Tauſend und aber tauſendmal denke ich daran, wie oft mein ſeliger Bruder wuͤnſchte, daß eine Caſſe ſeyn moͤgte, worin er fuͤr mich ſo gut wie er fuͤr ſeine Wittwe gethan, ein ſicheres Capital legen koͤnnte. Warum, ſagte er, ſollte ich nicht in ſo fern auch meiner Schweſter Mann ſeyn, und ihr damit eine Wittwenrente nach meinem Tode erwerben koͤnnen? Warum ſollte ſich nicht jedes lediges Frauenzimmer auf dieſe Weiſe einen Vater, einen Oheim oder Freund, der ſie im Leben verſorgen kan, und nach ſeinem Tode in betruͤbten Umſtaͤnden zuruͤcklaſſen muß, zu einem Titulairmanne erwaͤhlen, und durch denſelben in eine Wittwencaſſe gelangen koͤnnen? Allein man antwortete ihm immer ganz ernſthaft: Die Wittwen- caſſen waͤren blos um den Eheſtand zu befoͤrdern; um einen Ver- U 5

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/331>, abgerufen am 24.11.2024.