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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

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Vorschlag zu einer Practica
Provinzen a) Deutschlands bisher gehegt hat, zu entschul-
digen? Die Kenntniß der Landesgesetze und Ordnungen ist
jedem, der darnach handeln und beurtheilet werden soll, gewiß
äußerst nöthig; sie ist edel und erhebt den Geist; sie ist dem
Staate vortheilhaft, weil sich in tausend Fällen der Land-
mann selbst bescheiden könnte, und nicht nöthig hätte jeden
guten und schlimmen Rath theuer zu erkaufen. Wie man-
cher fällt in eine Strafe, die er vermeiden könnte, wenn er
seinen kurzen Unterricht für sich hätte? Wie mancher leiht
sein Geld aus, ohne die dabey nöthige Vorsicht zu kennen?
Wie mancher klagt eine Schuldforderung ein, ohne die
Schwierigkeiten zu argwohnen, die ihm gemacht werden
können? welches alles nicht geschehen würde, wenn er besser
unterrichtet wäre.

Ein solcher Unterricht kan aber nicht allgemein für mehrere
Länder seyn, dergleichen wir sonst verschiedene haben. Er
muß auf die eigne Gerichtsverfassung eines jeden Landes ein-
gerichtet; er muß ein Auszug aller geltenden Landesordnungen
und Gewohnheiten; er muß ein kurzer Inbegrif des gemeinen
Rechts seyn, in so fern es in den Handlungen des Landvolks
seinen öftern Einfluß hat, und auf alle diese Fälle die nöthi-
gen Klugheitsregeln und Hülfsmittel enthalten, wodurch man
entweder einen Proceß vermeiden, oder einen unvermeidli-
chen mit Wahrscheinlichkeit beurtheilen kan. Diese Forde-
rungen machen nun zwar ein solches Werk schwer, und schre-
cken so wohl einen Verfasser als Verleger ab. Aber eben

des-
a) Der Layenspiegel von Ulrich Jenglern. Straßberg 1536
ist in dieser grossen Absicht geschrieben, und ist sicher be-
rühmter gewesen, als irgend ein ander avis au peuple
oder speculum populare. Wer sich davon überzeugen
will, vergleiche die innere Mühlenpolicey seines Orts
mit dem was dieser Spiegel von den Mühlen hat.

Vorſchlag zu einer Practica
Provinzen a) Deutſchlands bisher gehegt hat, zu entſchul-
digen? Die Kenntniß der Landesgeſetze und Ordnungen iſt
jedem, der darnach handeln und beurtheilet werden ſoll, gewiß
aͤußerſt noͤthig; ſie iſt edel und erhebt den Geiſt; ſie iſt dem
Staate vortheilhaft, weil ſich in tauſend Faͤllen der Land-
mann ſelbſt beſcheiden koͤnnte, und nicht noͤthig haͤtte jeden
guten und ſchlimmen Rath theuer zu erkaufen. Wie man-
cher faͤllt in eine Strafe, die er vermeiden koͤnnte, wenn er
ſeinen kurzen Unterricht fuͤr ſich haͤtte? Wie mancher leiht
ſein Geld aus, ohne die dabey noͤthige Vorſicht zu kennen?
Wie mancher klagt eine Schuldforderung ein, ohne die
Schwierigkeiten zu argwohnen, die ihm gemacht werden
koͤnnen? welches alles nicht geſchehen wuͤrde, wenn er beſſer
unterrichtet waͤre.

Ein ſolcher Unterricht kan aber nicht allgemein fuͤr mehrere
Laͤnder ſeyn, dergleichen wir ſonſt verſchiedene haben. Er
muß auf die eigne Gerichtsverfaſſung eines jeden Landes ein-
gerichtet; er muß ein Auszug aller geltenden Landesordnungen
und Gewohnheiten; er muß ein kurzer Inbegrif des gemeinen
Rechts ſeyn, in ſo fern es in den Handlungen des Landvolks
ſeinen oͤftern Einfluß hat, und auf alle dieſe Faͤlle die noͤthi-
gen Klugheitsregeln und Huͤlfsmittel enthalten, wodurch man
entweder einen Proceß vermeiden, oder einen unvermeidli-
chen mit Wahrſcheinlichkeit beurtheilen kan. Dieſe Forde-
rungen machen nun zwar ein ſolches Werk ſchwer, und ſchre-
cken ſo wohl einen Verfaſſer als Verleger ab. Aber eben

des-
a) Der Layenſpiegel von Ulrich Jenglern. Straßberg 1536
iſt in dieſer groſſen Abſicht geſchrieben, und iſt ſicher be-
ruͤhmter geweſen, als irgend ein ander avis au peuple
oder ſpeculum populare. Wer ſich davon uͤberzeugen
will, vergleiche die innere Muͤhlenpolicey ſeines Orts
mit dem was dieſer Spiegel von den Muͤhlen hat.
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[282/0300] Vorſchlag zu einer Practica Provinzen a) Deutſchlands bisher gehegt hat, zu entſchul- digen? Die Kenntniß der Landesgeſetze und Ordnungen iſt jedem, der darnach handeln und beurtheilet werden ſoll, gewiß aͤußerſt noͤthig; ſie iſt edel und erhebt den Geiſt; ſie iſt dem Staate vortheilhaft, weil ſich in tauſend Faͤllen der Land- mann ſelbſt beſcheiden koͤnnte, und nicht noͤthig haͤtte jeden guten und ſchlimmen Rath theuer zu erkaufen. Wie man- cher faͤllt in eine Strafe, die er vermeiden koͤnnte, wenn er ſeinen kurzen Unterricht fuͤr ſich haͤtte? Wie mancher leiht ſein Geld aus, ohne die dabey noͤthige Vorſicht zu kennen? Wie mancher klagt eine Schuldforderung ein, ohne die Schwierigkeiten zu argwohnen, die ihm gemacht werden koͤnnen? welches alles nicht geſchehen wuͤrde, wenn er beſſer unterrichtet waͤre. Ein ſolcher Unterricht kan aber nicht allgemein fuͤr mehrere Laͤnder ſeyn, dergleichen wir ſonſt verſchiedene haben. Er muß auf die eigne Gerichtsverfaſſung eines jeden Landes ein- gerichtet; er muß ein Auszug aller geltenden Landesordnungen und Gewohnheiten; er muß ein kurzer Inbegrif des gemeinen Rechts ſeyn, in ſo fern es in den Handlungen des Landvolks ſeinen oͤftern Einfluß hat, und auf alle dieſe Faͤlle die noͤthi- gen Klugheitsregeln und Huͤlfsmittel enthalten, wodurch man entweder einen Proceß vermeiden, oder einen unvermeidli- chen mit Wahrſcheinlichkeit beurtheilen kan. Dieſe Forde- rungen machen nun zwar ein ſolches Werk ſchwer, und ſchre- cken ſo wohl einen Verfaſſer als Verleger ab. Aber eben des- a) Der Layenſpiegel von Ulrich Jenglern. Straßberg 1536 iſt in dieſer groſſen Abſicht geſchrieben, und iſt ſicher be- ruͤhmter geweſen, als irgend ein ander avis au peuple oder ſpeculum populare. Wer ſich davon uͤberzeugen will, vergleiche die innere Muͤhlenpolicey ſeines Orts mit dem was dieſer Spiegel von den Muͤhlen hat.

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/300>, abgerufen am 25.11.2024.