Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite

durch Nebenwohner, auf die Gesetzgebung.
dieselbe durch Gesetze und Formen gelenkt oder verhindert
wird; und wenn alle halbe Jahr in jedem Kirchspiel eine da-
zu wohl eingerichtete Predigt gehalten, nach derselben zum
Urtheil über die verdächtigen Heuerleute geschritten, und dann
jedem Verurtheilten ein halb Jahr zur Auswanderung erlau-
bet würde: so glaube ich nicht, daß einer sich mit Billigkeit
über eine solche Anstalt beklagen könne.

Man denke nicht, daß diese Einrichtung die unsichern Leu-
te nur aus einem Kirchspiele ins andre oder eben über die
Grenze, wo sie vielleicht noch gefährlichere Diebe werden wür-
den, treiben möge. Ein benachbartes Kirchspiel wird denje-
nigen nicht aufnehmen, der auf solche Art aus einem andern
verwiesen worden; und es ist zu hoffen, daß auch in andern
Ländern eben dergleichen Anstalten getroffen werden würden,
so bald man nur den guten Erfolg davon einsehen würde. Sie
scheinet mir wenigsteus unendlich besser zu seyn als unsre jetzige
Einrichtung, wo der gefährlichste Mensch, wenn er gleich
allen dafür bekannt ist, nicht anders als durch einen förmli-
chen, weitläuftigen und kostbaren Criminalproceß verbannet
werden kann.

Ueberhaupt wird bey einer zunehmenden Bevölkerung eine
weit genauere Gesetzgebung und eine ungesäumte Handhabung
der Gerechtigkeit erfordert. Keine Arbeit hat so natürliche
Reitzungen und Anlockungen für den unverdorbenen Menschen
als der Ackerbau; sie erfordert einen Fleiß der sich selbst be-
lohnt, und sich durch sich selbst erhält. Vieles wächst dem
Ackerbauer ohne Arbeit zu; die Abwechselung der Jahrszeiten
unterbricht die schwerere Arbeit durch leichtere, und sie geht
mehrentheils ihren Gang fort ohne äusserlichen Zwang, be-
sonders wo der Boden ergiebig und alles nicht zu genau ge-

messen
A 5

durch Nebenwohner, auf die Geſetzgebung.
dieſelbe durch Geſetze und Formen gelenkt oder verhindert
wird; und wenn alle halbe Jahr in jedem Kirchſpiel eine da-
zu wohl eingerichtete Predigt gehalten, nach derſelben zum
Urtheil uͤber die verdaͤchtigen Heuerleute geſchritten, und dann
jedem Verurtheilten ein halb Jahr zur Auswanderung erlau-
bet wuͤrde: ſo glaube ich nicht, daß einer ſich mit Billigkeit
uͤber eine ſolche Anſtalt beklagen koͤnne.

Man denke nicht, daß dieſe Einrichtung die unſichern Leu-
te nur aus einem Kirchſpiele ins andre oder eben uͤber die
Grenze, wo ſie vielleicht noch gefaͤhrlichere Diebe werden wuͤr-
den, treiben moͤge. Ein benachbartes Kirchſpiel wird denje-
nigen nicht aufnehmen, der auf ſolche Art aus einem andern
verwieſen worden; und es iſt zu hoffen, daß auch in andern
Laͤndern eben dergleichen Anſtalten getroffen werden wuͤrden,
ſo bald man nur den guten Erfolg davon einſehen wuͤrde. Sie
ſcheinet mir wenigſteus unendlich beſſer zu ſeyn als unſre jetzige
Einrichtung, wo der gefaͤhrlichſte Menſch, wenn er gleich
allen dafuͤr bekannt iſt, nicht anders als durch einen foͤrmli-
chen, weitlaͤuftigen und koſtbaren Criminalproceß verbannet
werden kann.

Ueberhaupt wird bey einer zunehmenden Bevoͤlkerung eine
weit genauere Geſetzgebung und eine ungeſaͤumte Handhabung
der Gerechtigkeit erfordert. Keine Arbeit hat ſo natuͤrliche
Reitzungen und Anlockungen fuͤr den unverdorbenen Menſchen
als der Ackerbau; ſie erfordert einen Fleiß der ſich ſelbſt be-
lohnt, und ſich durch ſich ſelbſt erhaͤlt. Vieles waͤchſt dem
Ackerbauer ohne Arbeit zu; die Abwechſelung der Jahrszeiten
unterbricht die ſchwerere Arbeit durch leichtere, und ſie geht
mehrentheils ihren Gang fort ohne aͤuſſerlichen Zwang, be-
ſonders wo der Boden ergiebig und alles nicht zu genau ge-

meſſen
A 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0027" n="9"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">durch Nebenwohner, auf die Ge&#x017F;etzgebung.</hi></fw><lb/>
die&#x017F;elbe durch Ge&#x017F;etze und Formen gelenkt oder verhindert<lb/>
wird; und wenn alle halbe Jahr in jedem Kirch&#x017F;piel eine da-<lb/>
zu wohl eingerichtete Predigt gehalten, nach der&#x017F;elben zum<lb/>
Urtheil u&#x0364;ber die verda&#x0364;chtigen Heuerleute ge&#x017F;chritten, und dann<lb/>
jedem Verurtheilten ein halb Jahr zur Auswanderung erlau-<lb/>
bet wu&#x0364;rde: &#x017F;o glaube ich nicht, daß einer &#x017F;ich mit Billigkeit<lb/>
u&#x0364;ber eine &#x017F;olche An&#x017F;talt beklagen ko&#x0364;nne.</p><lb/>
        <p>Man denke nicht, daß die&#x017F;e Einrichtung die un&#x017F;ichern Leu-<lb/>
te nur aus einem Kirch&#x017F;piele ins andre oder eben u&#x0364;ber die<lb/>
Grenze, wo &#x017F;ie vielleicht noch gefa&#x0364;hrlichere Diebe werden wu&#x0364;r-<lb/>
den, treiben mo&#x0364;ge. Ein benachbartes Kirch&#x017F;piel wird denje-<lb/>
nigen nicht aufnehmen, der auf &#x017F;olche Art aus einem andern<lb/>
verwie&#x017F;en worden; und es i&#x017F;t zu hoffen, daß auch in andern<lb/>
La&#x0364;ndern eben dergleichen An&#x017F;talten getroffen werden wu&#x0364;rden,<lb/>
&#x017F;o bald man nur den guten Erfolg davon ein&#x017F;ehen wu&#x0364;rde. Sie<lb/>
&#x017F;cheinet mir wenig&#x017F;teus unendlich be&#x017F;&#x017F;er zu &#x017F;eyn als un&#x017F;re jetzige<lb/>
Einrichtung, wo der gefa&#x0364;hrlich&#x017F;te Men&#x017F;ch, wenn er gleich<lb/>
allen dafu&#x0364;r bekannt i&#x017F;t, nicht anders als durch einen fo&#x0364;rmli-<lb/>
chen, weitla&#x0364;uftigen und ko&#x017F;tbaren Criminalproceß verbannet<lb/>
werden kann.</p><lb/>
        <p>Ueberhaupt wird bey einer zunehmenden Bevo&#x0364;lkerung eine<lb/>
weit genauere Ge&#x017F;etzgebung und eine unge&#x017F;a&#x0364;umte Handhabung<lb/>
der Gerechtigkeit erfordert. Keine Arbeit hat &#x017F;o natu&#x0364;rliche<lb/>
Reitzungen und Anlockungen fu&#x0364;r den unverdorbenen Men&#x017F;chen<lb/>
als der Ackerbau; &#x017F;ie erfordert einen Fleiß der &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t be-<lb/>
lohnt, und &#x017F;ich durch &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t erha&#x0364;lt. Vieles wa&#x0364;ch&#x017F;t dem<lb/>
Ackerbauer ohne Arbeit zu; die Abwech&#x017F;elung der Jahrszeiten<lb/>
unterbricht die &#x017F;chwerere Arbeit durch leichtere, und &#x017F;ie geht<lb/>
mehrentheils ihren Gang fort ohne a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;erlichen Zwang, be-<lb/>
&#x017F;onders wo der Boden ergiebig und alles nicht zu genau ge-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">A 5</fw><fw place="bottom" type="catch">me&#x017F;&#x017F;en</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[9/0027] durch Nebenwohner, auf die Geſetzgebung. dieſelbe durch Geſetze und Formen gelenkt oder verhindert wird; und wenn alle halbe Jahr in jedem Kirchſpiel eine da- zu wohl eingerichtete Predigt gehalten, nach derſelben zum Urtheil uͤber die verdaͤchtigen Heuerleute geſchritten, und dann jedem Verurtheilten ein halb Jahr zur Auswanderung erlau- bet wuͤrde: ſo glaube ich nicht, daß einer ſich mit Billigkeit uͤber eine ſolche Anſtalt beklagen koͤnne. Man denke nicht, daß dieſe Einrichtung die unſichern Leu- te nur aus einem Kirchſpiele ins andre oder eben uͤber die Grenze, wo ſie vielleicht noch gefaͤhrlichere Diebe werden wuͤr- den, treiben moͤge. Ein benachbartes Kirchſpiel wird denje- nigen nicht aufnehmen, der auf ſolche Art aus einem andern verwieſen worden; und es iſt zu hoffen, daß auch in andern Laͤndern eben dergleichen Anſtalten getroffen werden wuͤrden, ſo bald man nur den guten Erfolg davon einſehen wuͤrde. Sie ſcheinet mir wenigſteus unendlich beſſer zu ſeyn als unſre jetzige Einrichtung, wo der gefaͤhrlichſte Menſch, wenn er gleich allen dafuͤr bekannt iſt, nicht anders als durch einen foͤrmli- chen, weitlaͤuftigen und koſtbaren Criminalproceß verbannet werden kann. Ueberhaupt wird bey einer zunehmenden Bevoͤlkerung eine weit genauere Geſetzgebung und eine ungeſaͤumte Handhabung der Gerechtigkeit erfordert. Keine Arbeit hat ſo natuͤrliche Reitzungen und Anlockungen fuͤr den unverdorbenen Menſchen als der Ackerbau; ſie erfordert einen Fleiß der ſich ſelbſt be- lohnt, und ſich durch ſich ſelbſt erhaͤlt. Vieles waͤchſt dem Ackerbauer ohne Arbeit zu; die Abwechſelung der Jahrszeiten unterbricht die ſchwerere Arbeit durch leichtere, und ſie geht mehrentheils ihren Gang fort ohne aͤuſſerlichen Zwang, be- ſonders wo der Boden ergiebig und alles nicht zu genau ge- meſſen A 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/27
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/27>, abgerufen am 27.04.2024.