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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

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Von dem Einflusse der Bevölkerung
Heuerleuten keinesweges einerley Rechte und einerley Form
schuldig sey.

Es verdient dieses um so mehr eine nähere Betrachtung, je
offenbarer es ist, daß die Handlung der Criminal, Justitz ge-
gen die Heuerleute oft so viel Tausende erfordere, als Hun-
derte nöthig sind, um die Hofgesessenen in Zucht und Ordnung
zu halten. Nun wird die ganze Justitzverfassung mehren-
theils von den Hofgesessenen getragen, es sey nun, daß solche
aus der Steuer, oder aus den Sportuln oder aus den Straf-
geldern genommen werde. Zu allem diesem trägt der Heuer-
mann das wenigste bey; er leidet lieber am Leibe als daß er
sich mit Gelde strafen läßt, anstatt daß der Hofgesessene lieber
hundert bezahlt, ehe er sich durch eine Leibesstrafe beschimpfen
lassen sollte. Mit welchem Scheine der Billigkeit mögen denn
die unangesessenen in einem Staat fordern, daß die große
Fontaine der Gerechtigkeit für sie eben so springen soll wie für
den hofgesessenen Mann? Und warum geht man nicht auf
den Grundsatz unserer Vorfahren zurück, sie als Knechte des
Staats oder einer Gottheit, andern Rechten zu unterwerfen
als die Hofgesessenen? Die Religion mag den Christenmen-
schen noch so sehr veredlen, und das Recht der Menschheit
noch so hoch erhoben werden: so gilt doch das eine so wenig
als das andre vor dem Generalgewaltiger; die Bedürfniß der
Armee und des Staats entscheidet allein was Recht ist.

Also ist eine Kirchspielsanstalt, welche nicht über die Ver-
weisung eines angesessenen Mannes, sondern über die Ver-
weisung eines unangesessenen und dabey verdächtigen oder un-
sichern Menschen erkennen soll, keinesweges eine so ganz un-
förmliche und ungerechte Sache. Religion und Menschen-
liebe werden hiebey ihre Würkung kräftiger zeigen, als wenn

die-

Von dem Einfluſſe der Bevoͤlkerung
Heuerleuten keinesweges einerley Rechte und einerley Form
ſchuldig ſey.

Es verdient dieſes um ſo mehr eine naͤhere Betrachtung, je
offenbarer es iſt, daß die Handlung der Criminal, Juſtitz ge-
gen die Heuerleute oft ſo viel Tauſende erfordere, als Hun-
derte noͤthig ſind, um die Hofgeſeſſenen in Zucht und Ordnung
zu halten. Nun wird die ganze Juſtitzverfaſſung mehren-
theils von den Hofgeſeſſenen getragen, es ſey nun, daß ſolche
aus der Steuer, oder aus den Sportuln oder aus den Straf-
geldern genommen werde. Zu allem dieſem traͤgt der Heuer-
mann das wenigſte bey; er leidet lieber am Leibe als daß er
ſich mit Gelde ſtrafen laͤßt, anſtatt daß der Hofgeſeſſene lieber
hundert bezahlt, ehe er ſich durch eine Leibesſtrafe beſchimpfen
laſſen ſollte. Mit welchem Scheine der Billigkeit moͤgen denn
die unangeſeſſenen in einem Staat fordern, daß die große
Fontaine der Gerechtigkeit fuͤr ſie eben ſo ſpringen ſoll wie fuͤr
den hofgeſeſſenen Mann? Und warum geht man nicht auf
den Grundſatz unſerer Vorfahren zuruͤck, ſie als Knechte des
Staats oder einer Gottheit, andern Rechten zu unterwerfen
als die Hofgeſeſſenen? Die Religion mag den Chriſtenmen-
ſchen noch ſo ſehr veredlen, und das Recht der Menſchheit
noch ſo hoch erhoben werden: ſo gilt doch das eine ſo wenig
als das andre vor dem Generalgewaltiger; die Beduͤrfniß der
Armee und des Staats entſcheidet allein was Recht iſt.

Alſo iſt eine Kirchſpielsanſtalt, welche nicht uͤber die Ver-
weiſung eines angeſeſſenen Mannes, ſondern uͤber die Ver-
weiſung eines unangeſeſſenen und dabey verdaͤchtigen oder un-
ſichern Menſchen erkennen ſoll, keinesweges eine ſo ganz un-
foͤrmliche und ungerechte Sache. Religion und Menſchen-
liebe werden hiebey ihre Wuͤrkung kraͤftiger zeigen, als wenn

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[8/0026] Von dem Einfluſſe der Bevoͤlkerung Heuerleuten keinesweges einerley Rechte und einerley Form ſchuldig ſey. Es verdient dieſes um ſo mehr eine naͤhere Betrachtung, je offenbarer es iſt, daß die Handlung der Criminal, Juſtitz ge- gen die Heuerleute oft ſo viel Tauſende erfordere, als Hun- derte noͤthig ſind, um die Hofgeſeſſenen in Zucht und Ordnung zu halten. Nun wird die ganze Juſtitzverfaſſung mehren- theils von den Hofgeſeſſenen getragen, es ſey nun, daß ſolche aus der Steuer, oder aus den Sportuln oder aus den Straf- geldern genommen werde. Zu allem dieſem traͤgt der Heuer- mann das wenigſte bey; er leidet lieber am Leibe als daß er ſich mit Gelde ſtrafen laͤßt, anſtatt daß der Hofgeſeſſene lieber hundert bezahlt, ehe er ſich durch eine Leibesſtrafe beſchimpfen laſſen ſollte. Mit welchem Scheine der Billigkeit moͤgen denn die unangeſeſſenen in einem Staat fordern, daß die große Fontaine der Gerechtigkeit fuͤr ſie eben ſo ſpringen ſoll wie fuͤr den hofgeſeſſenen Mann? Und warum geht man nicht auf den Grundſatz unſerer Vorfahren zuruͤck, ſie als Knechte des Staats oder einer Gottheit, andern Rechten zu unterwerfen als die Hofgeſeſſenen? Die Religion mag den Chriſtenmen- ſchen noch ſo ſehr veredlen, und das Recht der Menſchheit noch ſo hoch erhoben werden: ſo gilt doch das eine ſo wenig als das andre vor dem Generalgewaltiger; die Beduͤrfniß der Armee und des Staats entſcheidet allein was Recht iſt. Alſo iſt eine Kirchſpielsanſtalt, welche nicht uͤber die Ver- weiſung eines angeſeſſenen Mannes, ſondern uͤber die Ver- weiſung eines unangeſeſſenen und dabey verdaͤchtigen oder un- ſichern Menſchen erkennen ſoll, keinesweges eine ſo ganz un- foͤrmliche und ungerechte Sache. Religion und Menſchen- liebe werden hiebey ihre Wuͤrkung kraͤftiger zeigen, als wenn die-

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/26>, abgerufen am 25.04.2024.