schreiben lassen, und solchergestalt unzähligen Processen vor- beugen; und wie sehr würde überhaupt die allgemeine Si- cherheit dadurch befördert werden?
XXX. Die Abmeyerung eine Erzählung.
Du erinnerst dich noch wohl wie wir zu Badbergen mit einander in die Schule giengen; ich glaube, es wer- den nun bald funfzig Jahr seyn. Meine Eltern baueten da- mals Retmars Erbe, welches unsre Vorfahren wer weis wie lange und zuerst als Eigenthümer besessen hatten. Sie hatten jederzeit ihr nothdürftiges Auskommen darauf gehabt, ihrem Gutsherrn das seinige richtig bezahlt und in guten Jahren noch wol einen Thaler für ihre Kinder erübriget. Allein mein Vater starb in seinen besten Jahren, nachdem er sich in der Erndte zu sehr erhitzt haben mogte, und meine Mutter über- lebte diesen Verlust nicht lange. Sie war noch nicht begra- ben: so kam der Gutsherrl. Verwalter, welcher ehedem ein Procurator gewesen war, und schrieb alles auf was im Hause war. Ich durfte mich diesem Beginnen nicht widersetzen, weil es leider die Rechte so mit sich brachten, und ich mogte wollen oder nicht: so muste ich ihm die von meinen Eltern hinterlassene Erbschaft, ohnerachtet mein Vater und Groß- vater verschiedene Stücke davon schon mehrmals gelöset hatten, aufs theureste bezahlen, wenn ich nicht alles was im Hause war, Früchte, Vieh und Hausgeräthe, auf einmal verlieren wollte. Das baare Geld, was sich fand, nahm er gleich zu sich; ich muste also beym ersten Anfange borgen, und sogar die Kosten zu meiner Mutter Begräbniß. Dies setzte mich
schon
Die Abmeyerung eine Erzaͤhlung.
ſchreiben laſſen, und ſolchergeſtalt unzaͤhligen Proceſſen vor- beugen; und wie ſehr wuͤrde uͤberhaupt die allgemeine Si- cherheit dadurch befoͤrdert werden?
XXX. Die Abmeyerung eine Erzaͤhlung.
Du erinnerſt dich noch wohl wie wir zu Badbergen mit einander in die Schule giengen; ich glaube, es wer- den nun bald funfzig Jahr ſeyn. Meine Eltern baueten da- mals Retmars Erbe, welches unſre Vorfahren wer weis wie lange und zuerſt als Eigenthuͤmer beſeſſen hatten. Sie hatten jederzeit ihr nothduͤrftiges Auskommen darauf gehabt, ihrem Gutsherrn das ſeinige richtig bezahlt und in guten Jahren noch wol einen Thaler fuͤr ihre Kinder eruͤbriget. Allein mein Vater ſtarb in ſeinen beſten Jahren, nachdem er ſich in der Erndte zu ſehr erhitzt haben mogte, und meine Mutter uͤber- lebte dieſen Verluſt nicht lange. Sie war noch nicht begra- ben: ſo kam der Gutsherrl. Verwalter, welcher ehedem ein Procurator geweſen war, und ſchrieb alles auf was im Hauſe war. Ich durfte mich dieſem Beginnen nicht widerſetzen, weil es leider die Rechte ſo mit ſich brachten, und ich mogte wollen oder nicht: ſo muſte ich ihm die von meinen Eltern hinterlaſſene Erbſchaft, ohnerachtet mein Vater und Groß- vater verſchiedene Stuͤcke davon ſchon mehrmals geloͤſet hatten, aufs theureſte bezahlen, wenn ich nicht alles was im Hauſe war, Fruͤchte, Vieh und Hausgeraͤthe, auf einmal verlieren wollte. Das baare Geld, was ſich fand, nahm er gleich zu ſich; ich muſte alſo beym erſten Anfange borgen, und ſogar die Koſten zu meiner Mutter Begraͤbniß. Dies ſetzte mich
ſchon
<TEI><text><body><divn="1"><list><item><pbfacs="#f0257"n="239"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Die Abmeyerung eine Erzaͤhlung.</hi></fw><lb/>ſchreiben laſſen, und ſolchergeſtalt unzaͤhligen Proceſſen vor-<lb/>
beugen; und wie ſehr wuͤrde uͤberhaupt die allgemeine Si-<lb/>
cherheit dadurch befoͤrdert werden?</item></list></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><divn="1"><head><hirendition="#b"><hirendition="#aq">XXX.</hi><lb/>
Die Abmeyerung eine Erzaͤhlung.</hi></head><lb/><p>Du erinnerſt dich noch wohl wie wir zu Badbergen mit<lb/>
einander in die Schule giengen; ich glaube, es wer-<lb/>
den nun bald funfzig Jahr ſeyn. Meine Eltern baueten da-<lb/>
mals Retmars Erbe, welches unſre Vorfahren wer weis wie<lb/>
lange und zuerſt als Eigenthuͤmer beſeſſen hatten. Sie hatten<lb/>
jederzeit ihr nothduͤrftiges Auskommen darauf gehabt, ihrem<lb/>
Gutsherrn das ſeinige richtig bezahlt und in guten Jahren<lb/>
noch wol einen Thaler fuͤr ihre Kinder eruͤbriget. Allein mein<lb/>
Vater ſtarb in ſeinen beſten Jahren, nachdem er ſich in der<lb/>
Erndte zu ſehr erhitzt haben mogte, und meine Mutter uͤber-<lb/>
lebte dieſen Verluſt nicht lange. Sie war noch nicht begra-<lb/>
ben: ſo kam der Gutsherrl. Verwalter, welcher ehedem ein<lb/>
Procurator geweſen war, und ſchrieb alles auf was im Hauſe<lb/>
war. Ich durfte mich dieſem Beginnen nicht widerſetzen,<lb/>
weil es leider die Rechte ſo mit ſich brachten, und ich mogte<lb/>
wollen oder nicht: ſo muſte ich ihm die von meinen Eltern<lb/>
hinterlaſſene Erbſchaft, ohnerachtet mein Vater und Groß-<lb/>
vater verſchiedene Stuͤcke davon ſchon mehrmals geloͤſet hatten,<lb/>
aufs theureſte bezahlen, wenn ich nicht alles was im Hauſe<lb/>
war, Fruͤchte, Vieh und Hausgeraͤthe, auf einmal verlieren<lb/>
wollte. Das baare Geld, was ſich fand, nahm er gleich zu<lb/>ſich; ich muſte alſo beym erſten Anfange borgen, und ſogar<lb/>
die Koſten zu meiner Mutter Begraͤbniß. Dies ſetzte mich<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ſchon</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[239/0257]
Die Abmeyerung eine Erzaͤhlung.
ſchreiben laſſen, und ſolchergeſtalt unzaͤhligen Proceſſen vor-
beugen; und wie ſehr wuͤrde uͤberhaupt die allgemeine Si-
cherheit dadurch befoͤrdert werden?
XXX.
Die Abmeyerung eine Erzaͤhlung.
Du erinnerſt dich noch wohl wie wir zu Badbergen mit
einander in die Schule giengen; ich glaube, es wer-
den nun bald funfzig Jahr ſeyn. Meine Eltern baueten da-
mals Retmars Erbe, welches unſre Vorfahren wer weis wie
lange und zuerſt als Eigenthuͤmer beſeſſen hatten. Sie hatten
jederzeit ihr nothduͤrftiges Auskommen darauf gehabt, ihrem
Gutsherrn das ſeinige richtig bezahlt und in guten Jahren
noch wol einen Thaler fuͤr ihre Kinder eruͤbriget. Allein mein
Vater ſtarb in ſeinen beſten Jahren, nachdem er ſich in der
Erndte zu ſehr erhitzt haben mogte, und meine Mutter uͤber-
lebte dieſen Verluſt nicht lange. Sie war noch nicht begra-
ben: ſo kam der Gutsherrl. Verwalter, welcher ehedem ein
Procurator geweſen war, und ſchrieb alles auf was im Hauſe
war. Ich durfte mich dieſem Beginnen nicht widerſetzen,
weil es leider die Rechte ſo mit ſich brachten, und ich mogte
wollen oder nicht: ſo muſte ich ihm die von meinen Eltern
hinterlaſſene Erbſchaft, ohnerachtet mein Vater und Groß-
vater verſchiedene Stuͤcke davon ſchon mehrmals geloͤſet hatten,
aufs theureſte bezahlen, wenn ich nicht alles was im Hauſe
war, Fruͤchte, Vieh und Hausgeraͤthe, auf einmal verlieren
wollte. Das baare Geld, was ſich fand, nahm er gleich zu
ſich; ich muſte alſo beym erſten Anfange borgen, und ſogar
die Koſten zu meiner Mutter Begraͤbniß. Dies ſetzte mich
ſchon
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/257>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.