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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

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der Leibeignen.
ist; ja, da die Unglücksfälle eben wie Gicht und Flüsse sich
eher auf die kranken als gesunden Glieder werfen: so ist es
beynahe unmöglich auf acht oder zwölf Jahre zu bestimmen,
daß dieser jährlich die ganzen Heuergelder seines Hofes zum
Vortheil der Gläubiger aufbringen soll; und wenn dieses ist:
so muß derselbe wenigstens einmal oder zweymal in den Stille-
standsjahren einen gerichtlichen Verkauf seiner Früchte erlei-
den -- und es giebt deren viele die ihn das erste Jahr, so-
dann aber alle Jahr hinter einander erfahren -- auf solche
Weise kan aber der wahre Endzweck des Stillestandes fast nie
erreichet werden.

Indessen bleibt doch auch wiederum gewiß, daß wenn nicht
die strengsten Executiones geschehn, die liederlichen Wirthe
nie zur Ordnung zu bringen sind, und gar kein Credit, der
doch unentbehrlich ist, zu erhalten steht. Ueberhaupt scheint der
Mensch dazu gebohren zu seyn, um unter der Zucht zu leben.
Den Vornehmen peitscht die Ehre oder die erschreckliche fürst-
liche Gnade mit Scorpionen zur Sclavenarbeit; der Soldat
würde ohne Zucht ein Fluch des menschlichen Geschlechts seyn;
und wie sollte denn, der von einer nahen und strengen Auf-
sicht in der jetzigen Verfassung beraubte Landmann in Ordnung
erhalten werden, wenn nicht entweder Noth, oder Geiz, oder
ein pfändender Richter ihn dazu nöthigten?

Bey dem allen lernt man aber nur so viel, daß das Uebel
gewiß die Arzney aber unbekannt ist; besonders bey uns,
wo jeder Bauer wenigstens unter vier Gerichtsbarkeiten zu-
gleich steht, und seines natürlichen Stillestandes nie genießen
kan, weil alle vier Richter, wenn auch jeder von ihnen das
billigste Maaß gebraucht, und die Execution nach dem Ertrag
des Hofes einschränkt, ihm dennoch zusammen dasjenige

vier-

der Leibeignen.
iſt; ja, da die Ungluͤcksfaͤlle eben wie Gicht und Fluͤſſe ſich
eher auf die kranken als geſunden Glieder werfen: ſo iſt es
beynahe unmoͤglich auf acht oder zwoͤlf Jahre zu beſtimmen,
daß dieſer jaͤhrlich die ganzen Heuergelder ſeines Hofes zum
Vortheil der Glaͤubiger aufbringen ſoll; und wenn dieſes iſt:
ſo muß derſelbe wenigſtens einmal oder zweymal in den Stille-
ſtandsjahren einen gerichtlichen Verkauf ſeiner Fruͤchte erlei-
den — und es giebt deren viele die ihn das erſte Jahr, ſo-
dann aber alle Jahr hinter einander erfahren — auf ſolche
Weiſe kan aber der wahre Endzweck des Stilleſtandes faſt nie
erreichet werden.

Indeſſen bleibt doch auch wiederum gewiß, daß wenn nicht
die ſtrengſten Executiones geſchehn, die liederlichen Wirthe
nie zur Ordnung zu bringen ſind, und gar kein Credit, der
doch unentbehrlich iſt, zu erhalten ſteht. Ueberhaupt ſcheint der
Menſch dazu gebohren zu ſeyn, um unter der Zucht zu leben.
Den Vornehmen peitſcht die Ehre oder die erſchreckliche fuͤrſt-
liche Gnade mit Scorpionen zur Sclavenarbeit; der Soldat
wuͤrde ohne Zucht ein Fluch des menſchlichen Geſchlechts ſeyn;
und wie ſollte denn, der von einer nahen und ſtrengen Auf-
ſicht in der jetzigen Verfaſſung beraubte Landmann in Ordnung
erhalten werden, wenn nicht entweder Noth, oder Geiz, oder
ein pfaͤndender Richter ihn dazu noͤthigten?

Bey dem allen lernt man aber nur ſo viel, daß das Uebel
gewiß die Arzney aber unbekannt iſt; beſonders bey uns,
wo jeder Bauer wenigſtens unter vier Gerichtsbarkeiten zu-
gleich ſteht, und ſeines natuͤrlichen Stilleſtandes nie genießen
kan, weil alle vier Richter, wenn auch jeder von ihnen das
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[223/0241] der Leibeignen. iſt; ja, da die Ungluͤcksfaͤlle eben wie Gicht und Fluͤſſe ſich eher auf die kranken als geſunden Glieder werfen: ſo iſt es beynahe unmoͤglich auf acht oder zwoͤlf Jahre zu beſtimmen, daß dieſer jaͤhrlich die ganzen Heuergelder ſeines Hofes zum Vortheil der Glaͤubiger aufbringen ſoll; und wenn dieſes iſt: ſo muß derſelbe wenigſtens einmal oder zweymal in den Stille- ſtandsjahren einen gerichtlichen Verkauf ſeiner Fruͤchte erlei- den — und es giebt deren viele die ihn das erſte Jahr, ſo- dann aber alle Jahr hinter einander erfahren — auf ſolche Weiſe kan aber der wahre Endzweck des Stilleſtandes faſt nie erreichet werden. Indeſſen bleibt doch auch wiederum gewiß, daß wenn nicht die ſtrengſten Executiones geſchehn, die liederlichen Wirthe nie zur Ordnung zu bringen ſind, und gar kein Credit, der doch unentbehrlich iſt, zu erhalten ſteht. Ueberhaupt ſcheint der Menſch dazu gebohren zu ſeyn, um unter der Zucht zu leben. Den Vornehmen peitſcht die Ehre oder die erſchreckliche fuͤrſt- liche Gnade mit Scorpionen zur Sclavenarbeit; der Soldat wuͤrde ohne Zucht ein Fluch des menſchlichen Geſchlechts ſeyn; und wie ſollte denn, der von einer nahen und ſtrengen Auf- ſicht in der jetzigen Verfaſſung beraubte Landmann in Ordnung erhalten werden, wenn nicht entweder Noth, oder Geiz, oder ein pfaͤndender Richter ihn dazu noͤthigten? Bey dem allen lernt man aber nur ſo viel, daß das Uebel gewiß die Arzney aber unbekannt iſt; beſonders bey uns, wo jeder Bauer wenigſtens unter vier Gerichtsbarkeiten zu- gleich ſteht, und ſeines natuͤrlichen Stilleſtandes nie genießen kan, weil alle vier Richter, wenn auch jeder von ihnen das billigſte Maaß gebraucht, und die Execution nach dem Ertrag des Hofes einſchraͤnkt, ihm dennoch zuſammen dasjenige vier-

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/241>, abgerufen am 24.11.2024.