chen und ihnen den Credit wieder zu geben den sie vor zwey hundert Jahren hatten? Man würde auch dabey die Vorsicht gebrauchen müssen, welche man in England bey den Annuite- ten gebraucht, so daß keiner mehr als die Hälfte seiner reinen Einkünfte in Renten verwandeln könnte, und das übrige zu seiner Competenz und auf unsichere Zufälle behalten müßte. In Deutschland scheint vordem bereits eine gleiche Vorsicht ge- herrscht zu haben, indem man eine alte und neue Rente zu- gleich fordern und beytreiben lassen mochte, mithin voraus- setzte, daß der Hof jedesmal zu einer gedoppelten Bezahlung der Renten hinreichen müßte ....
So weit geht der Zuruf meiner Freunde; aber nun die Antwort -- nun bessere Mittel! -- diese weis ich zwar nicht anzugeben. Es bleibt aber doch allemal wahr, daß es eine schlechte Mannszucht sey, wenn der Hauptmann einen Soldaten lahm schlägt um einen guten Kerl aus ihm zu zie- hen; und dies thut der Richter so oft er einem Leibeignen, er stehe nun in einem Stillestande oder nicht, bey einer Pfän- dung nicht so viel an Vieh oder Früchten läßt, als er zur nothwendigen Vertheydigung seines Hofes in allen öffentlichen Lasten nöthig hat.
Es bleibt ferner gewiß, daß jeder Landbesitzer einen natür- lichen Stillestand habe, der von dem gerichtlichen gar nicht unterschieden ist, außer daß bey diesem die jährliche Abgift zum Behuf der Gläubiger ausgerechnet und bestimmet, bey jenem zwar eben so gewiß aber unbekannt ist. Man kan kei- nem von beyden mehr nehmen, als er jährlich übrig hat, oder der Richter muß jedem, dem er ein mehrers abfordert, zu- gleich einen Narren anweisen, der ihm borgt. Da nun ein Leibeigner im gerichtlichen Stillestande so wenig, als der an- dere, der sich im natürlichen befindet, für Unglücksfälle sicher
ist;
Gedanken uͤber den Stilleſtand
chen und ihnen den Credit wieder zu geben den ſie vor zwey hundert Jahren hatten? Man wuͤrde auch dabey die Vorſicht gebrauchen muͤſſen, welche man in England bey den Annuite- ten gebraucht, ſo daß keiner mehr als die Haͤlfte ſeiner reinen Einkuͤnfte in Renten verwandeln koͤnnte, und das uͤbrige zu ſeiner Competenz und auf unſichere Zufaͤlle behalten muͤßte. In Deutſchland ſcheint vordem bereits eine gleiche Vorſicht ge- herrſcht zu haben, indem man eine alte und neue Rente zu- gleich fordern und beytreiben laſſen mochte, mithin voraus- ſetzte, daß der Hof jedesmal zu einer gedoppelten Bezahlung der Renten hinreichen muͤßte ....
So weit geht der Zuruf meiner Freunde; aber nun die Antwort — nun beſſere Mittel! — dieſe weis ich zwar nicht anzugeben. Es bleibt aber doch allemal wahr, daß es eine ſchlechte Mannszucht ſey, wenn der Hauptmann einen Soldaten lahm ſchlaͤgt um einen guten Kerl aus ihm zu zie- hen; und dies thut der Richter ſo oft er einem Leibeignen, er ſtehe nun in einem Stilleſtande oder nicht, bey einer Pfaͤn- dung nicht ſo viel an Vieh oder Fruͤchten laͤßt, als er zur nothwendigen Vertheydigung ſeines Hofes in allen oͤffentlichen Laſten noͤthig hat.
Es bleibt ferner gewiß, daß jeder Landbeſitzer einen natür- lichen Stilleſtand habe, der von dem gerichtlichen gar nicht unterſchieden iſt, außer daß bey dieſem die jaͤhrliche Abgift zum Behuf der Glaͤubiger ausgerechnet und beſtimmet, bey jenem zwar eben ſo gewiß aber unbekannt iſt. Man kan kei- nem von beyden mehr nehmen, als er jaͤhrlich uͤbrig hat, oder der Richter muß jedem, dem er ein mehrers abfordert, zu- gleich einen Narren anweiſen, der ihm borgt. Da nun ein Leibeigner im gerichtlichen Stilleſtande ſo wenig, als der an- dere, der ſich im natuͤrlichen befindet, fuͤr Ungluͤcksfaͤlle ſicher
iſt;
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Gedanken uͤber den Stilleſtand
chen und ihnen den Credit wieder zu geben den ſie vor zwey
hundert Jahren hatten? Man wuͤrde auch dabey die Vorſicht
gebrauchen muͤſſen, welche man in England bey den Annuite-
ten gebraucht, ſo daß keiner mehr als die Haͤlfte ſeiner reinen
Einkuͤnfte in Renten verwandeln koͤnnte, und das uͤbrige zu
ſeiner Competenz und auf unſichere Zufaͤlle behalten muͤßte.
In Deutſchland ſcheint vordem bereits eine gleiche Vorſicht ge-
herrſcht zu haben, indem man eine alte und neue Rente zu-
gleich fordern und beytreiben laſſen mochte, mithin voraus-
ſetzte, daß der Hof jedesmal zu einer gedoppelten Bezahlung
der Renten hinreichen muͤßte ....
So weit geht der Zuruf meiner Freunde; aber nun die
Antwort — nun beſſere Mittel! — dieſe weis ich zwar
nicht anzugeben. Es bleibt aber doch allemal wahr, daß es
eine ſchlechte Mannszucht ſey, wenn der Hauptmann einen
Soldaten lahm ſchlaͤgt um einen guten Kerl aus ihm zu zie-
hen; und dies thut der Richter ſo oft er einem Leibeignen, er
ſtehe nun in einem Stilleſtande oder nicht, bey einer Pfaͤn-
dung nicht ſo viel an Vieh oder Fruͤchten laͤßt, als er zur
nothwendigen Vertheydigung ſeines Hofes in allen oͤffentlichen
Laſten noͤthig hat.
Es bleibt ferner gewiß, daß jeder Landbeſitzer einen natür-
lichen Stilleſtand habe, der von dem gerichtlichen gar nicht
unterſchieden iſt, außer daß bey dieſem die jaͤhrliche Abgift
zum Behuf der Glaͤubiger ausgerechnet und beſtimmet, bey
jenem zwar eben ſo gewiß aber unbekannt iſt. Man kan kei-
nem von beyden mehr nehmen, als er jaͤhrlich uͤbrig hat, oder
der Richter muß jedem, dem er ein mehrers abfordert, zu-
gleich einen Narren anweiſen, der ihm borgt. Da nun ein
Leibeigner im gerichtlichen Stilleſtande ſo wenig, als der an-
dere, der ſich im natuͤrlichen befindet, fuͤr Ungluͤcksfaͤlle ſicher
iſt;
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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/240>, abgerufen am 23.07.2024.
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