Wie, Sie wollen das Betteln rühmlich machen? In der That, das fehlt den faulen Müßiggängern noch. Allein herunter mit dem Schleyer, herunter mit dem Regen- tuche, worinn sich viele unsrer Bettlerinnen verstecken, um ihre Ehre nicht zu verlieren. Verdient eine arme unglückliche Person so viel Schonung: so sorge man für sie daheim; und setze dieselbe nicht der traurigen Nothwendigkeit aus, ihr Brod vor den Thüren zu suchen. Verdienet sie es aber nicht; so verfolge Schimpf und Verachtung den verschuldeten Bettler. Er gehe, wenn er ja gehen soll, als ein Scheusahl durch die Gassen, und sey allen jetzt wankenden, jetzt auf die faule Seite nach und nach sinkenden, jetzt sorglos darauf los zehrenden Einwohnern, ein so schreckliches Exempel, daß sie sich lieber das Blut aus den Fingern arbeiten, und Wasser und Brod geniessen, als auf künftige Almosen ihre Zeit und ihren Fleiß ungenutzt verschlafen oder verprassen. Eine Bettlerinn im Regentuch ist eine Satyre wider die Obrigkeit, die entweder die Unglückliche nicht versorgt, oder die Schuldige nicht strafet. Nirgends giebt es mehr Bettler, als wo eine unüberlegte Gütigkeit sich als christliches Mitleid zeigt, und jeden Armen ernährt; nirgends giebt es weniger, als bey den Fabriken, wo man den Bettler, der noch arbeiten kann, auf dem Mist- haufen sterben läßt, um andre zum Fleisse zu zwingen.
Doch ich will die Sache gelassen betrachten. Von dem großen Gesetze, daß niemand im Staat sein Brod um-
sonst
Etwas zur Verbeſſerung
XI. Etwas zur Verbeſſerung der Armen- Anſtalten.
Wie, Sie wollen das Betteln ruͤhmlich machen? In der That, das fehlt den faulen Muͤßiggaͤngern noch. Allein herunter mit dem Schleyer, herunter mit dem Regen- tuche, worinn ſich viele unſrer Bettlerinnen verſtecken, um ihre Ehre nicht zu verlieren. Verdient eine arme ungluͤckliche Perſon ſo viel Schonung: ſo ſorge man fuͤr ſie daheim; und ſetze dieſelbe nicht der traurigen Nothwendigkeit aus, ihr Brod vor den Thuͤren zu ſuchen. Verdienet ſie es aber nicht; ſo verfolge Schimpf und Verachtung den verſchuldeten Bettler. Er gehe, wenn er ja gehen ſoll, als ein Scheuſahl durch die Gaſſen, und ſey allen jetzt wankenden, jetzt auf die faule Seite nach und nach ſinkenden, jetzt ſorglos darauf los zehrenden Einwohnern, ein ſo ſchreckliches Exempel, daß ſie ſich lieber das Blut aus den Fingern arbeiten, und Waſſer und Brod genieſſen, als auf kuͤnftige Almoſen ihre Zeit und ihren Fleiß ungenutzt verſchlafen oder verpraſſen. Eine Bettlerinn im Regentuch iſt eine Satyre wider die Obrigkeit, die entweder die Ungluͤckliche nicht verſorgt, oder die Schuldige nicht ſtrafet. Nirgends giebt es mehr Bettler, als wo eine unuͤberlegte Guͤtigkeit ſich als chriſtliches Mitleid zeigt, und jeden Armen ernaͤhrt; nirgends giebt es weniger, als bey den Fabriken, wo man den Bettler, der noch arbeiten kann, auf dem Miſt- haufen ſterben laͤßt, um andre zum Fleiſſe zu zwingen.
Doch ich will die Sache gelaſſen betrachten. Von dem großen Geſetze, daß niemand im Staat ſein Brod um-
ſonſt
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[74/0092]
Etwas zur Verbeſſerung
XI.
Etwas zur Verbeſſerung der Armen-
Anſtalten.
Wie, Sie wollen das Betteln ruͤhmlich machen? In der
That, das fehlt den faulen Muͤßiggaͤngern noch.
Allein herunter mit dem Schleyer, herunter mit dem Regen-
tuche, worinn ſich viele unſrer Bettlerinnen verſtecken, um
ihre Ehre nicht zu verlieren. Verdient eine arme ungluͤckliche
Perſon ſo viel Schonung: ſo ſorge man fuͤr ſie daheim; und
ſetze dieſelbe nicht der traurigen Nothwendigkeit aus, ihr
Brod vor den Thuͤren zu ſuchen. Verdienet ſie es aber nicht;
ſo verfolge Schimpf und Verachtung den verſchuldeten Bettler.
Er gehe, wenn er ja gehen ſoll, als ein Scheuſahl durch die
Gaſſen, und ſey allen jetzt wankenden, jetzt auf die faule Seite
nach und nach ſinkenden, jetzt ſorglos darauf los zehrenden
Einwohnern, ein ſo ſchreckliches Exempel, daß ſie ſich lieber
das Blut aus den Fingern arbeiten, und Waſſer und Brod
genieſſen, als auf kuͤnftige Almoſen ihre Zeit und ihren Fleiß
ungenutzt verſchlafen oder verpraſſen. Eine Bettlerinn im
Regentuch iſt eine Satyre wider die Obrigkeit, die entweder
die Ungluͤckliche nicht verſorgt, oder die Schuldige nicht ſtrafet.
Nirgends giebt es mehr Bettler, als wo eine unuͤberlegte
Guͤtigkeit ſich als chriſtliches Mitleid zeigt, und jeden Armen
ernaͤhrt; nirgends giebt es weniger, als bey den Fabriken,
wo man den Bettler, der noch arbeiten kann, auf dem Miſt-
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Doch ich will die Sache gelaſſen betrachten. Von
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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/92>, abgerufen am 03.12.2024.
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