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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

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Das Glück der Bettler.
Tage verdienen kann. Nachdem das Finanzwesen in Ord-
nung gebracht, und die Mahlzeit vorüber war, ließ sich ein
jeder nach Gewohnheit, einen Bumper mit starken Porter-
bier geben, welcher auf die Gesundheit aller wohlthätigen See-
len ausgeleeret wurde. Hierauf spielten die Blinden zum
Tanz; und es war ein Vergnügen zu sehen, wie geschickt Bettler
und Bettlerinnen, auch so gar einige die des Tages über
lahm gewesen waren, mit einander tanzten. Die kräftigsten
Gassenlieder folgten auf diese Bewegung; bis endlich der er-
wartete Durst erfolgte. Dann ward von gewärmten Porter
und Rum ein starker Ponsch gemacht, die Zeitung dabey ge-
lesen, und der Abend bis drey Uhr des Morgens mit trinken
und politischen Urtheilen über das Ministerium auf das ver-
gnügteste zugebracht.

Ueberhaupt aber hat der Bettelstand sehr viel reitzen-
des. Unser Vergnügen wird durch nichts besser befördert als
durch die Menge von Bedürfnissen. Wer viel durstet, hun-
gert und frieret, hat unendlich mehr Vergnügen an Speise,
Trank und Wärme, als einer der alles im Ueberfluß hat.
Was ist ein König, der nie zum hungern oder dürsten kömmt,
und oft zwanzig große und kleine Minister gebraucht, um eine
einzige neue Kitzelung für ihn auszufinden, gegen einem sol-
chen Bettler, der sechs Stunden des Tages Frost, Regen,
Durst und Hunger ausgehalten; und damit alle seine Bedürf-
nisse zum höchsten gereitzet hat; jezt aber sich bey einem guten
Feuer niedersetzt, sein erbetteltes Geld überzählt, vom stärk-
sten und besten genießt, und das Vergnügen hat, seine Wol-
lust verstohlner weise zu sättigen? Er schläft ruhig und unbe-
sorgt; bezahlt keine Auflagen; thut keine Dienste; lebt un-
gesucht, ungefragt, unbeneidet und unverfolgt; erhält und
beantwortet keine Complimente; braucht täglich nur eine ein-
zige Lüge; erröthet bey keinem Loche im Strumpfe, kratzt

sich

Das Gluͤck der Bettler.
Tage verdienen kann. Nachdem das Finanzweſen in Ord-
nung gebracht, und die Mahlzeit voruͤber war, ließ ſich ein
jeder nach Gewohnheit, einen Bumper mit ſtarken Porter-
bier geben, welcher auf die Geſundheit aller wohlthaͤtigen See-
len ausgeleeret wurde. Hierauf ſpielten die Blinden zum
Tanz; und es war ein Vergnuͤgen zu ſehen, wie geſchickt Bettler
und Bettlerinnen, auch ſo gar einige die des Tages uͤber
lahm geweſen waren, mit einander tanzten. Die kraͤftigſten
Gaſſenlieder folgten auf dieſe Bewegung; bis endlich der er-
wartete Durſt erfolgte. Dann ward von gewaͤrmten Porter
und Rum ein ſtarker Ponſch gemacht, die Zeitung dabey ge-
leſen, und der Abend bis drey Uhr des Morgens mit trinken
und politiſchen Urtheilen uͤber das Miniſterium auf das ver-
gnuͤgteſte zugebracht.

Ueberhaupt aber hat der Bettelſtand ſehr viel reitzen-
des. Unſer Vergnuͤgen wird durch nichts beſſer befoͤrdert als
durch die Menge von Beduͤrfniſſen. Wer viel durſtet, hun-
gert und frieret, hat unendlich mehr Vergnuͤgen an Speiſe,
Trank und Waͤrme, als einer der alles im Ueberfluß hat.
Was iſt ein Koͤnig, der nie zum hungern oder duͤrſten koͤmmt,
und oft zwanzig große und kleine Miniſter gebraucht, um eine
einzige neue Kitzelung fuͤr ihn auszufinden, gegen einem ſol-
chen Bettler, der ſechs Stunden des Tages Froſt, Regen,
Durſt und Hunger ausgehalten; und damit alle ſeine Beduͤrf-
niſſe zum hoͤchſten gereitzet hat; jezt aber ſich bey einem guten
Feuer niederſetzt, ſein erbetteltes Geld uͤberzaͤhlt, vom ſtaͤrk-
ſten und beſten genießt, und das Vergnuͤgen hat, ſeine Wol-
luſt verſtohlner weiſe zu ſaͤttigen? Er ſchlaͤft ruhig und unbe-
ſorgt; bezahlt keine Auflagen; thut keine Dienſte; lebt un-
geſucht, ungefragt, unbeneidet und unverfolgt; erhaͤlt und
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zige Luͤge; erroͤthet bey keinem Loche im Strumpfe, kratzt

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[72/0090] Das Gluͤck der Bettler. Tage verdienen kann. Nachdem das Finanzweſen in Ord- nung gebracht, und die Mahlzeit voruͤber war, ließ ſich ein jeder nach Gewohnheit, einen Bumper mit ſtarken Porter- bier geben, welcher auf die Geſundheit aller wohlthaͤtigen See- len ausgeleeret wurde. Hierauf ſpielten die Blinden zum Tanz; und es war ein Vergnuͤgen zu ſehen, wie geſchickt Bettler und Bettlerinnen, auch ſo gar einige die des Tages uͤber lahm geweſen waren, mit einander tanzten. Die kraͤftigſten Gaſſenlieder folgten auf dieſe Bewegung; bis endlich der er- wartete Durſt erfolgte. Dann ward von gewaͤrmten Porter und Rum ein ſtarker Ponſch gemacht, die Zeitung dabey ge- leſen, und der Abend bis drey Uhr des Morgens mit trinken und politiſchen Urtheilen uͤber das Miniſterium auf das ver- gnuͤgteſte zugebracht. Ueberhaupt aber hat der Bettelſtand ſehr viel reitzen- des. Unſer Vergnuͤgen wird durch nichts beſſer befoͤrdert als durch die Menge von Beduͤrfniſſen. Wer viel durſtet, hun- gert und frieret, hat unendlich mehr Vergnuͤgen an Speiſe, Trank und Waͤrme, als einer der alles im Ueberfluß hat. Was iſt ein Koͤnig, der nie zum hungern oder duͤrſten koͤmmt, und oft zwanzig große und kleine Miniſter gebraucht, um eine einzige neue Kitzelung fuͤr ihn auszufinden, gegen einem ſol- chen Bettler, der ſechs Stunden des Tages Froſt, Regen, Durſt und Hunger ausgehalten; und damit alle ſeine Beduͤrf- niſſe zum hoͤchſten gereitzet hat; jezt aber ſich bey einem guten Feuer niederſetzt, ſein erbetteltes Geld uͤberzaͤhlt, vom ſtaͤrk- ſten und beſten genießt, und das Vergnuͤgen hat, ſeine Wol- luſt verſtohlner weiſe zu ſaͤttigen? Er ſchlaͤft ruhig und unbe- ſorgt; bezahlt keine Auflagen; thut keine Dienſte; lebt un- geſucht, ungefragt, unbeneidet und unverfolgt; erhaͤlt und beantwortet keine Complimente; braucht taͤglich nur eine ein- zige Luͤge; erroͤthet bey keinem Loche im Strumpfe, kratzt ſich

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/90>, abgerufen am 21.11.2024.