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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

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daß Gelehrte die Criminalurtheile sprechen?
dern nur ihren rechtlichen Rath geben und darüber die Landes-
herrliche Bestätigung auf den Fall einholen, daß die Urtheils-
finder oder Saelhöfer dem Verbrecher sein Recht darnach fin-
den werden. Solten die Saelhöfer anders weisen, als der
Rath der Rechtsgelehrten es mit sich bringt: so kann dieser
Rath nie zum Urtheil werden, und die Landesherrliche Be-
stätigung setzt jene Weisung unwidersprechlich voraus. So
leer uns daher auch jezt die Ceremonie mit den Saelhöfern,
wie man die Urtheilsfinder der Gemeinen hier jezt nennt,
scheinet: so wichtig ist sie im Grunde, wenn einmal ein an-
gesehener Mann peinlich beklagt werden solte, indem dieser
unwidersprechlich fordern kann, daß der Rath der Gelehrten
an ihm nicht vollstrecket werden soll, bevor nicht seine Rechts-
genossen denselben für Recht gepriesen haben. Ferner und

Eilftens trägt es zur Würde des Menschen vieles bey,
daß er von Jugend auf mit den Gesetzen seines Landes be-
kannt gemacht wird, und schon in der Schule zu einen künfti-
gen Urtheilsfinder auferzogen wird. Dies geschieht aber
nicht, wo blos Gelehrte urtheilen. Bey jedem der zehn Ge-
bote solten einem Kinde die daraus fliessenden peinlichen Fälle,
und was die Gesetze seines Landes darauf für Strafen verord-
net haben, bekannt gemacht werden. So könnte er denken
und sich hüten. Endlich und

Zwölftens ist die Appellation in peinlichen Fällen eben
um deswillen verboten, weil man vorausgesetzt hat, daß der
Verbrecher von zwölf ehrlichen frommen und ebenbürtigen
Männern verurtheilet worden, und daher nicht leicht be-
schweret seyn würde. Unmöglich hätte aber die Appellation
in einer so wichtigen Sache abgeschnitten werden können, wenn
die Meinung eines gelehrten Richters das Urtheil abgeben
sollen.



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Y 4

daß Gelehrte die Criminalurtheile ſprechen?
dern nur ihren rechtlichen Rath geben und daruͤber die Landes-
herrliche Beſtaͤtigung auf den Fall einholen, daß die Urtheils-
finder oder Saelhoͤfer dem Verbrecher ſein Recht darnach fin-
den werden. Solten die Saelhoͤfer anders weiſen, als der
Rath der Rechtsgelehrten es mit ſich bringt: ſo kann dieſer
Rath nie zum Urtheil werden, und die Landesherrliche Be-
ſtaͤtigung ſetzt jene Weiſung unwiderſprechlich voraus. So
leer uns daher auch jezt die Ceremonie mit den Saelhoͤfern,
wie man die Urtheilsfinder der Gemeinen hier jezt nennt,
ſcheinet: ſo wichtig iſt ſie im Grunde, wenn einmal ein an-
geſehener Mann peinlich beklagt werden ſolte, indem dieſer
unwiderſprechlich fordern kann, daß der Rath der Gelehrten
an ihm nicht vollſtrecket werden ſoll, bevor nicht ſeine Rechts-
genoſſen denſelben fuͤr Recht geprieſen haben. Ferner und

Eilftens traͤgt es zur Wuͤrde des Menſchen vieles bey,
daß er von Jugend auf mit den Geſetzen ſeines Landes be-
kannt gemacht wird, und ſchon in der Schule zu einen kuͤnfti-
gen Urtheilsfinder auferzogen wird. Dies geſchieht aber
nicht, wo blos Gelehrte urtheilen. Bey jedem der zehn Ge-
bote ſolten einem Kinde die daraus flieſſenden peinlichen Faͤlle,
und was die Geſetze ſeines Landes darauf fuͤr Strafen verord-
net haben, bekannt gemacht werden. So koͤnnte er denken
und ſich huͤten. Endlich und

Zwölftens iſt die Appellation in peinlichen Faͤllen eben
um deswillen verboten, weil man vorausgeſetzt hat, daß der
Verbrecher von zwoͤlf ehrlichen frommen und ebenbuͤrtigen
Maͤnnern verurtheilet worden, und daher nicht leicht be-
ſchweret ſeyn wuͤrde. Unmoͤglich haͤtte aber die Appellation
in einer ſo wichtigen Sache abgeſchnitten werden koͤnnen, wenn
die Meinung eines gelehrten Richters das Urtheil abgeben
ſollen.



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[343/0361] daß Gelehrte die Criminalurtheile ſprechen? dern nur ihren rechtlichen Rath geben und daruͤber die Landes- herrliche Beſtaͤtigung auf den Fall einholen, daß die Urtheils- finder oder Saelhoͤfer dem Verbrecher ſein Recht darnach fin- den werden. Solten die Saelhoͤfer anders weiſen, als der Rath der Rechtsgelehrten es mit ſich bringt: ſo kann dieſer Rath nie zum Urtheil werden, und die Landesherrliche Be- ſtaͤtigung ſetzt jene Weiſung unwiderſprechlich voraus. So leer uns daher auch jezt die Ceremonie mit den Saelhoͤfern, wie man die Urtheilsfinder der Gemeinen hier jezt nennt, ſcheinet: ſo wichtig iſt ſie im Grunde, wenn einmal ein an- geſehener Mann peinlich beklagt werden ſolte, indem dieſer unwiderſprechlich fordern kann, daß der Rath der Gelehrten an ihm nicht vollſtrecket werden ſoll, bevor nicht ſeine Rechts- genoſſen denſelben fuͤr Recht geprieſen haben. Ferner und Eilftens traͤgt es zur Wuͤrde des Menſchen vieles bey, daß er von Jugend auf mit den Geſetzen ſeines Landes be- kannt gemacht wird, und ſchon in der Schule zu einen kuͤnfti- gen Urtheilsfinder auferzogen wird. Dies geſchieht aber nicht, wo blos Gelehrte urtheilen. Bey jedem der zehn Ge- bote ſolten einem Kinde die daraus flieſſenden peinlichen Faͤlle, und was die Geſetze ſeines Landes darauf fuͤr Strafen verord- net haben, bekannt gemacht werden. So koͤnnte er denken und ſich huͤten. Endlich und Zwölftens iſt die Appellation in peinlichen Faͤllen eben um deswillen verboten, weil man vorausgeſetzt hat, daß der Verbrecher von zwoͤlf ehrlichen frommen und ebenbuͤrtigen Maͤnnern verurtheilet worden, und daher nicht leicht be- ſchweret ſeyn wuͤrde. Unmoͤglich haͤtte aber die Appellation in einer ſo wichtigen Sache abgeſchnitten werden koͤnnen, wenn die Meinung eines gelehrten Richters das Urtheil abgeben ſollen. LX. Y 4

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/361>, abgerufen am 05.05.2024.