kann er mit Recht thun; und die peinliche Hals-Gerichts- ordnung ist ihm hierin nicht zuwider. Es ist
Siebendens für einen Landesherrn sehr hart, daß er sich und seine Bediente immer mit dem Hasse der Criminalurtheile beladen solte. Die Fälle sind zwar nicht gemein, aber doch bey großen Gährungen im Staate und wann die Gerechtig- keit nicht gegen Landstreicher sondern gegen angesehene Männer ihr Amt verrichten soll, auch nicht ganz selten, wo die Obrig- keit das Recht zu urtheilen nicht verlangt, sondern lieber den geschwornen Rechtsgenossen des Verbrechers überläßt. Es erstickt auch
Achtens nothwendig alle Liebe zur Freyheit, und den aufrichtigen Ausdruck derselben, wenn einer vorher fürchten muß, von Gelehrten so in Bedienungen stehen, verurtheilet zu werden.
Der bisherige Gebrauch, daß die Criminalurtheile von Gelehrten abgefasset werden, hindert
Neuntens dagegen nichts, indem dieser Gebrauch ledig- lich gegen schlechte und flüchtige Verbrecher geübet worden, welche nicht als wahre angesessene Unterthanen sondern als Knechte (servi poenae) verurtheilet werden. Ein Fremder, der kein Geleit hat, ist ein Feind; der, wenn er die bürger- lichen Gesellschaft störet, und sie gleichsam mit Krieg überzieht, als ein Kriegesgefangner ohne Cartel, nach Willkühr gehangen werden kann, und es als eine Gnade anzusehen hat, daß ihm ein förmlicher Proceß durch Gelehrte gemacht wird. Einer solchen Willkühr hat sich aber kein wahrer Unterthan unter- worfen; und dieser kann sich noch immer auf die Hals-Ge- richtsordnung berufen, ohne daß ihm jener Gebrauch mit Be- stande entgegen gesetzt werden könne. In der That ist auch
Zehntens ein solcher Gebrauch nur dem Scheine nach vorhanden, indem die Canzleyen kein Urtheil abfassen; son-
dern
Beantwortung der Frage: Iſt es billig,
kann er mit Recht thun; und die peinliche Hals-Gerichts- ordnung iſt ihm hierin nicht zuwider. Es iſt
Siebendens fuͤr einen Landesherrn ſehr hart, daß er ſich und ſeine Bediente immer mit dem Haſſe der Criminalurtheile beladen ſolte. Die Faͤlle ſind zwar nicht gemein, aber doch bey großen Gaͤhrungen im Staate und wann die Gerechtig- keit nicht gegen Landſtreicher ſondern gegen angeſehene Maͤnner ihr Amt verrichten ſoll, auch nicht ganz ſelten, wo die Obrig- keit das Recht zu urtheilen nicht verlangt, ſondern lieber den geſchwornen Rechtsgenoſſen des Verbrechers uͤberlaͤßt. Es erſtickt auch
Achtens nothwendig alle Liebe zur Freyheit, und den aufrichtigen Ausdruck derſelben, wenn einer vorher fuͤrchten muß, von Gelehrten ſo in Bedienungen ſtehen, verurtheilet zu werden.
Der bisherige Gebrauch, daß die Criminalurtheile von Gelehrten abgefaſſet werden, hindert
Neuntens dagegen nichts, indem dieſer Gebrauch ledig- lich gegen ſchlechte und fluͤchtige Verbrecher geuͤbet worden, welche nicht als wahre angeſeſſene Unterthanen ſondern als Knechte (ſervi poenæ) verurtheilet werden. Ein Fremder, der kein Geleit hat, iſt ein Feind; der, wenn er die buͤrger- lichen Geſellſchaft ſtoͤret, und ſie gleichſam mit Krieg uͤberzieht, als ein Kriegesgefangner ohne Cartel, nach Willkuͤhr gehangen werden kann, und es als eine Gnade anzuſehen hat, daß ihm ein foͤrmlicher Proceß durch Gelehrte gemacht wird. Einer ſolchen Willkuͤhr hat ſich aber kein wahrer Unterthan unter- worfen; und dieſer kann ſich noch immer auf die Hals-Ge- richtsordnung berufen, ohne daß ihm jener Gebrauch mit Be- ſtande entgegen geſetzt werden koͤnne. In der That iſt auch
Zehntens ein ſolcher Gebrauch nur dem Scheine nach vorhanden, indem die Canzleyen kein Urtheil abfaſſen; ſon-
dern
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Beantwortung der Frage: Iſt es billig,
kann er mit Recht thun; und die peinliche Hals-Gerichts-
ordnung iſt ihm hierin nicht zuwider. Es iſt
Siebendens fuͤr einen Landesherrn ſehr hart, daß er ſich
und ſeine Bediente immer mit dem Haſſe der Criminalurtheile
beladen ſolte. Die Faͤlle ſind zwar nicht gemein, aber doch
bey großen Gaͤhrungen im Staate und wann die Gerechtig-
keit nicht gegen Landſtreicher ſondern gegen angeſehene Maͤnner
ihr Amt verrichten ſoll, auch nicht ganz ſelten, wo die Obrig-
keit das Recht zu urtheilen nicht verlangt, ſondern lieber den
geſchwornen Rechtsgenoſſen des Verbrechers uͤberlaͤßt. Es
erſtickt auch
Achtens nothwendig alle Liebe zur Freyheit, und den
aufrichtigen Ausdruck derſelben, wenn einer vorher fuͤrchten
muß, von Gelehrten ſo in Bedienungen ſtehen, verurtheilet
zu werden.
Der bisherige Gebrauch, daß die Criminalurtheile von
Gelehrten abgefaſſet werden, hindert
Neuntens dagegen nichts, indem dieſer Gebrauch ledig-
lich gegen ſchlechte und fluͤchtige Verbrecher geuͤbet worden,
welche nicht als wahre angeſeſſene Unterthanen ſondern als
Knechte (ſervi poenæ) verurtheilet werden. Ein Fremder,
der kein Geleit hat, iſt ein Feind; der, wenn er die buͤrger-
lichen Geſellſchaft ſtoͤret, und ſie gleichſam mit Krieg uͤberzieht,
als ein Kriegesgefangner ohne Cartel, nach Willkuͤhr gehangen
werden kann, und es als eine Gnade anzuſehen hat, daß ihm
ein foͤrmlicher Proceß durch Gelehrte gemacht wird. Einer
ſolchen Willkuͤhr hat ſich aber kein wahrer Unterthan unter-
worfen; und dieſer kann ſich noch immer auf die Hals-Ge-
richtsordnung berufen, ohne daß ihm jener Gebrauch mit Be-
ſtande entgegen geſetzt werden koͤnne. In der That iſt auch
Zehntens ein ſolcher Gebrauch nur dem Scheine nach
vorhanden, indem die Canzleyen kein Urtheil abfaſſen; ſon-
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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 342. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/360>, abgerufen am 22.07.2024.
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