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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

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Von dem Verfall des Handwerks
und bemitteltesten Leute um die Wette bestreben einen Platz
darunter zu erhalten. So war die alte Verfassung. Durch
diese kluge Vertheilung der Ehre erhielt man alle Stände in
ihrer glücklichsten Gradation, und man brauchte nicht nach
dem Exempel des jetzigen Kriegs von Frankreich jährlich zwey
Kaufleute zu adeln (ein Ausweg der allein die Schwäche un-
ser neuern Politik zeigt) um den Handel empor zu bringen.

Der Gedanke, daß alle Bürger in Uniforme gesetzt
werden sollen, wird manchem seltsam vorkommen. Ich be-
haupte aber, daß dieses der erste und fürnehmste Schritt zur
Wiederstellung der städtischen Wohlfarth seyn werde. Wenn
der Soldat ein Handwerk treibt: so sieht der Officier dieses
gern. Er betrachtet ihn als einen tüchtigen guten und sichern
Mann; und wenn er heyrathen will: so ist das Handwerk
die beste Empfehlung bey seiner Braut. Sie sieht darauf
als auf seine sicherste Pension im Alter. Wenn hingegen ein
bürgerlicher Handwerker den Degen ergreift: so lacht man
darüber. So närrisch ist unsre Einbildung. Der Grund
ist und bleibt aber unstreitig, daß die nordischen Völker und
besonders die Deutschen die Ehre hauptsächlich mit den Waf-
fen verknüpfen, und diejenigen auf die Dauer verachten, die
solche zu tragen und zu brauchen nicht berechtiget sind. Und
so ist kein ander Mittel, als den Degen mit dem Handwerke
wieder zu verbinden, um diesem Stande die nöthige Ehre zu
verschaffen. Die hartnäckigtesten Belagerungen, wovon wir
in der Geschichte lesen, sind von Bürgern ausgehalten wor-
den, die für ihren Heerd, für Weiber und Kinder gefochten.
Man lieset, daß diese mit zu Walle gegangen, und ihren
Männern geholfen, sie verbunden und begraben haben. War-
um sollte ihnen denn nicht nach den Feldregimentern die Ehre
von Garnisonregimentern eingeräumet werden können? War-
um sollte ein kluger Fürst, solche Leute, die ihre Pflicht ohne

Sold

Von dem Verfall des Handwerks
und bemittelteſten Leute um die Wette beſtreben einen Platz
darunter zu erhalten. So war die alte Verfaſſung. Durch
dieſe kluge Vertheilung der Ehre erhielt man alle Staͤnde in
ihrer gluͤcklichſten Gradation, und man brauchte nicht nach
dem Exempel des jetzigen Kriegs von Frankreich jaͤhrlich zwey
Kaufleute zu adeln (ein Ausweg der allein die Schwaͤche un-
ſer neuern Politik zeigt) um den Handel empor zu bringen.

Der Gedanke, daß alle Buͤrger in Uniforme geſetzt
werden ſollen, wird manchem ſeltſam vorkommen. Ich be-
haupte aber, daß dieſes der erſte und fuͤrnehmſte Schritt zur
Wiederſtellung der ſtaͤdtiſchen Wohlfarth ſeyn werde. Wenn
der Soldat ein Handwerk treibt: ſo ſieht der Officier dieſes
gern. Er betrachtet ihn als einen tuͤchtigen guten und ſichern
Mann; und wenn er heyrathen will: ſo iſt das Handwerk
die beſte Empfehlung bey ſeiner Braut. Sie ſieht darauf
als auf ſeine ſicherſte Penſion im Alter. Wenn hingegen ein
buͤrgerlicher Handwerker den Degen ergreift: ſo lacht man
daruͤber. So naͤrriſch iſt unſre Einbildung. Der Grund
iſt und bleibt aber unſtreitig, daß die nordiſchen Voͤlker und
beſonders die Deutſchen die Ehre hauptſaͤchlich mit den Waf-
fen verknuͤpfen, und diejenigen auf die Dauer verachten, die
ſolche zu tragen und zu brauchen nicht berechtiget ſind. Und
ſo iſt kein ander Mittel, als den Degen mit dem Handwerke
wieder zu verbinden, um dieſem Stande die noͤthige Ehre zu
verſchaffen. Die hartnaͤckigteſten Belagerungen, wovon wir
in der Geſchichte leſen, ſind von Buͤrgern ausgehalten wor-
den, die fuͤr ihren Heerd, fuͤr Weiber und Kinder gefochten.
Man lieſet, daß dieſe mit zu Walle gegangen, und ihren
Maͤnnern geholfen, ſie verbunden und begraben haben. War-
um ſollte ihnen denn nicht nach den Feldregimentern die Ehre
von Garniſonregimentern eingeraͤumet werden koͤnnen? War-
um ſollte ein kluger Fuͤrſt, ſolche Leute, die ihre Pflicht ohne

Sold
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[198/0216] Von dem Verfall des Handwerks und bemittelteſten Leute um die Wette beſtreben einen Platz darunter zu erhalten. So war die alte Verfaſſung. Durch dieſe kluge Vertheilung der Ehre erhielt man alle Staͤnde in ihrer gluͤcklichſten Gradation, und man brauchte nicht nach dem Exempel des jetzigen Kriegs von Frankreich jaͤhrlich zwey Kaufleute zu adeln (ein Ausweg der allein die Schwaͤche un- ſer neuern Politik zeigt) um den Handel empor zu bringen. Der Gedanke, daß alle Buͤrger in Uniforme geſetzt werden ſollen, wird manchem ſeltſam vorkommen. Ich be- haupte aber, daß dieſes der erſte und fuͤrnehmſte Schritt zur Wiederſtellung der ſtaͤdtiſchen Wohlfarth ſeyn werde. Wenn der Soldat ein Handwerk treibt: ſo ſieht der Officier dieſes gern. Er betrachtet ihn als einen tuͤchtigen guten und ſichern Mann; und wenn er heyrathen will: ſo iſt das Handwerk die beſte Empfehlung bey ſeiner Braut. Sie ſieht darauf als auf ſeine ſicherſte Penſion im Alter. Wenn hingegen ein buͤrgerlicher Handwerker den Degen ergreift: ſo lacht man daruͤber. So naͤrriſch iſt unſre Einbildung. Der Grund iſt und bleibt aber unſtreitig, daß die nordiſchen Voͤlker und beſonders die Deutſchen die Ehre hauptſaͤchlich mit den Waf- fen verknuͤpfen, und diejenigen auf die Dauer verachten, die ſolche zu tragen und zu brauchen nicht berechtiget ſind. Und ſo iſt kein ander Mittel, als den Degen mit dem Handwerke wieder zu verbinden, um dieſem Stande die noͤthige Ehre zu verſchaffen. Die hartnaͤckigteſten Belagerungen, wovon wir in der Geſchichte leſen, ſind von Buͤrgern ausgehalten wor- den, die fuͤr ihren Heerd, fuͤr Weiber und Kinder gefochten. Man lieſet, daß dieſe mit zu Walle gegangen, und ihren Maͤnnern geholfen, ſie verbunden und begraben haben. War- um ſollte ihnen denn nicht nach den Feldregimentern die Ehre von Garniſonregimentern eingeraͤumet werden koͤnnen? War- um ſollte ein kluger Fuͤrſt, ſolche Leute, die ihre Pflicht ohne Sold

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/216>, abgerufen am 22.11.2024.