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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

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Die allerliebste Braut.
auf einen Faden, was der Leinweber gebraucht. Vordem
war in jedem Hause, und unser Pastor sagt, es wäre bey den
Hebräern, Griechen und Römern auch so gewesen, ein Webe-
stuhl; und das Weben ist leichter gelernt als das Clavierspie-
len. Wenn man es recht kann: so ist es auch würklich ange-
nehmer, und unsre Nachbarinnen können sich nicht so sehr an
einem Concert ergötzen, als meine Töchter an einem neuen
Muster. Was ihre Augen sehen, können ihre Hände machen,
und der Nutze davon ist merklich größer als der verschwin-
dende Schall des schönsten Concerts. Meiner Meinung nach
ist es gut, daß die Kinder allerhand Arbeit lernen. Die mei-
nigen knütten alle ihre Strümpfe selbst; sie machen ihre Kanten,
ihr Linnen, und weben sich bunte Zeuge, von Baumwolle
und allerley Garn. Sie zeigte mir ein Bette, wozu der Um-
hang wie die Schnüre von ihrer Arbeit waren. Ich bewun-
derte die schöne Zeichnung an verschiedenen Stücken, und
hörte mit Vergnügen, daß alle Mädgen auch zeichnen und
mahlen könnten. Die Mutter machte hier wieder eine An-
merkung, die nicht uneben war. Wenn man, sagte sie, in mei-
ner Jugend, wie das Frauenzimmer noch keine Bücher las,
auf ein fürstliches, gräfliches oder adeliches Schloß kam: so
wurden einem in jedem Zimmer Tapeten, Stühle, Bettge-
stelle und andere hübsche Meubles gezeigt; und dabey erzählt,
daß dieses Stück von der Großmutter, jenes von der Groß-
tante, und ein anders von der Ururtante höchsteigenhändig
wäre gemacht worden. Man erstaunte denn über die schöne
Stickerey, über den großen Fleiß, über die artigen Erfin-
dungen, und über den Witz, womit jedes Läppgen Zeuges,
was hundert andre weggeworfen hätten, genutzt und angebracht
war, und gieng mit dem heimlichen Wunsche nach Hause,
daß man doch auch so geschickt seyn möchte. Die lieben Ehe-
männer, welche nichts als die Jagd verstanden, waren ent-

zückt

Die allerliebſte Braut.
auf einen Faden, was der Leinweber gebraucht. Vordem
war in jedem Hauſe, und unſer Paſtor ſagt, es waͤre bey den
Hebraͤern, Griechen und Roͤmern auch ſo geweſen, ein Webe-
ſtuhl; und das Weben iſt leichter gelernt als das Clavierſpie-
len. Wenn man es recht kann: ſo iſt es auch wuͤrklich ange-
nehmer, und unſre Nachbarinnen koͤnnen ſich nicht ſo ſehr an
einem Concert ergoͤtzen, als meine Toͤchter an einem neuen
Muſter. Was ihre Augen ſehen, koͤnnen ihre Haͤnde machen,
und der Nutze davon iſt merklich groͤßer als der verſchwin-
dende Schall des ſchoͤnſten Concerts. Meiner Meinung nach
iſt es gut, daß die Kinder allerhand Arbeit lernen. Die mei-
nigen knuͤtten alle ihre Struͤmpfe ſelbſt; ſie machen ihre Kanten,
ihr Linnen, und weben ſich bunte Zeuge, von Baumwolle
und allerley Garn. Sie zeigte mir ein Bette, wozu der Um-
hang wie die Schnuͤre von ihrer Arbeit waren. Ich bewun-
derte die ſchoͤne Zeichnung an verſchiedenen Stuͤcken, und
hoͤrte mit Vergnuͤgen, daß alle Maͤdgen auch zeichnen und
mahlen koͤnnten. Die Mutter machte hier wieder eine An-
merkung, die nicht uneben war. Wenn man, ſagte ſie, in mei-
ner Jugend, wie das Frauenzimmer noch keine Buͤcher las,
auf ein fuͤrſtliches, graͤfliches oder adeliches Schloß kam: ſo
wurden einem in jedem Zimmer Tapeten, Stuͤhle, Bettge-
ſtelle und andere huͤbſche Meubles gezeigt; und dabey erzaͤhlt,
daß dieſes Stuͤck von der Großmutter, jenes von der Groß-
tante, und ein anders von der Ururtante hoͤchſteigenhaͤndig
waͤre gemacht worden. Man erſtaunte denn uͤber die ſchoͤne
Stickerey, uͤber den großen Fleiß, uͤber die artigen Erfin-
dungen, und uͤber den Witz, womit jedes Laͤppgen Zeuges,
was hundert andre weggeworfen haͤtten, genutzt und angebracht
war, und gieng mit dem heimlichen Wunſche nach Hauſe,
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maͤnner, welche nichts als die Jagd verſtanden, waren ent-

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[132/0150] Die allerliebſte Braut. auf einen Faden, was der Leinweber gebraucht. Vordem war in jedem Hauſe, und unſer Paſtor ſagt, es waͤre bey den Hebraͤern, Griechen und Roͤmern auch ſo geweſen, ein Webe- ſtuhl; und das Weben iſt leichter gelernt als das Clavierſpie- len. Wenn man es recht kann: ſo iſt es auch wuͤrklich ange- nehmer, und unſre Nachbarinnen koͤnnen ſich nicht ſo ſehr an einem Concert ergoͤtzen, als meine Toͤchter an einem neuen Muſter. Was ihre Augen ſehen, koͤnnen ihre Haͤnde machen, und der Nutze davon iſt merklich groͤßer als der verſchwin- dende Schall des ſchoͤnſten Concerts. Meiner Meinung nach iſt es gut, daß die Kinder allerhand Arbeit lernen. Die mei- nigen knuͤtten alle ihre Struͤmpfe ſelbſt; ſie machen ihre Kanten, ihr Linnen, und weben ſich bunte Zeuge, von Baumwolle und allerley Garn. Sie zeigte mir ein Bette, wozu der Um- hang wie die Schnuͤre von ihrer Arbeit waren. Ich bewun- derte die ſchoͤne Zeichnung an verſchiedenen Stuͤcken, und hoͤrte mit Vergnuͤgen, daß alle Maͤdgen auch zeichnen und mahlen koͤnnten. Die Mutter machte hier wieder eine An- merkung, die nicht uneben war. Wenn man, ſagte ſie, in mei- ner Jugend, wie das Frauenzimmer noch keine Buͤcher las, auf ein fuͤrſtliches, graͤfliches oder adeliches Schloß kam: ſo wurden einem in jedem Zimmer Tapeten, Stuͤhle, Bettge- ſtelle und andere huͤbſche Meubles gezeigt; und dabey erzaͤhlt, daß dieſes Stuͤck von der Großmutter, jenes von der Groß- tante, und ein anders von der Ururtante hoͤchſteigenhaͤndig waͤre gemacht worden. Man erſtaunte denn uͤber die ſchoͤne Stickerey, uͤber den großen Fleiß, uͤber die artigen Erfin- dungen, und uͤber den Witz, womit jedes Laͤppgen Zeuges, was hundert andre weggeworfen haͤtten, genutzt und angebracht war, und gieng mit dem heimlichen Wunſche nach Hauſe, daß man doch auch ſo geſchickt ſeyn moͤchte. Die lieben Ehe- maͤnner, welche nichts als die Jagd verſtanden, waren ent- zuͤckt

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/150>, abgerufen am 02.05.2024.