Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

Bild:
<< vorherige Seite

Die allerliebste Braut.
uns soll jedes Knie, wenn es auch mit Ruhm und Ehre steif
geworden ist, einen Knicks machen, und die falsche Scham-
haftigkeit bettelt um Verzeihung für den ungelenkten Rückgrad,
da sie kühn ihre beyden runden Arme in die Seite setzen, und
ungebeugt den Muth ausdrücken könnte, womit Arbeit und
Redlichkeit ihre Freunde erfüllet. Hat der Mensch denn
keine Würde mehr, als in so fern er ein Affe des Hofes ist?
Ist da Freyheit und Eigenthum wo das väterliche Erbe der
Mode verpfändet, der Geist ein sklavischer Nachahmer, und
unser edles Selbst eine entlehnte Rolle ist?

Jedoch wir dürfen unserm Wittwer in seiner altdeutschen
Laune nicht zu weit folgen. Zu seiner Entschuldigung muß
ich aber noch sagen, daß er dem vornehmen Damen einiges
Klapperwerk erlaube, um einigen vornehmeren Kindern die
Langeweile zu vertreiben. Er bedauret sie aber von Herzen,
und bemerkt nicht unrecht, daß sehr viele unter ihnen heimlich
seufzeten und arbeiteten, und nichts mit den Affen gemein
hätten, die ihre Manieren copirten, ohne sich an ihre Werke
wagen zu dürfen.

Endlich kommt er auf seine Braut. Wir wollen ihn
hier selbst reden lassen. Meine gute Catharine, sagte er,
saß hinterm Webestuhle und webte den Drell zu ihrem Braut-
bette. Der Webestuhl war hübsch, und vielleicht eben so
schön als derjenige, welchen die Fürstin von Ithaca in ihrem
Visitenzimmer hatte. Ich fragte sie, ob es nicht vortheilhafter
wäre, ausser Hauses weben zu lassen? Ich glaube wohl, war
ihre Antwort; allein wann wir auch nichts dabey gewinnen:
so sind wir doch sicher, daß unser gutes Garn vom Leinweber
nicht vertauscht, nicht halb untergeschlagen, und nicht ver-
dorben wird. Ich habe, fügte die Mutter hinzu, allen mei-
nen Töchtern das Weben gelernt. Es dient zu ihrer Verän-
derung; sie lernen eine gute Arbeit kennen, und wissen bis

auf
J 2

Die allerliebſte Braut.
uns ſoll jedes Knie, wenn es auch mit Ruhm und Ehre ſteif
geworden iſt, einen Knicks machen, und die falſche Scham-
haftigkeit bettelt um Verzeihung fuͤr den ungelenkten Ruͤckgrad,
da ſie kuͤhn ihre beyden runden Arme in die Seite ſetzen, und
ungebeugt den Muth ausdruͤcken koͤnnte, womit Arbeit und
Redlichkeit ihre Freunde erfuͤllet. Hat der Menſch denn
keine Wuͤrde mehr, als in ſo fern er ein Affe des Hofes iſt?
Iſt da Freyheit und Eigenthum wo das vaͤterliche Erbe der
Mode verpfaͤndet, der Geiſt ein ſklaviſcher Nachahmer, und
unſer edles Selbſt eine entlehnte Rolle iſt?

Jedoch wir duͤrfen unſerm Wittwer in ſeiner altdeutſchen
Laune nicht zu weit folgen. Zu ſeiner Entſchuldigung muß
ich aber noch ſagen, daß er dem vornehmen Damen einiges
Klapperwerk erlaube, um einigen vornehmeren Kindern die
Langeweile zu vertreiben. Er bedauret ſie aber von Herzen,
und bemerkt nicht unrecht, daß ſehr viele unter ihnen heimlich
ſeufzeten und arbeiteten, und nichts mit den Affen gemein
haͤtten, die ihre Manieren copirten, ohne ſich an ihre Werke
wagen zu duͤrfen.

Endlich kommt er auf ſeine Braut. Wir wollen ihn
hier ſelbſt reden laſſen. Meine gute Catharine, ſagte er,
ſaß hinterm Webeſtuhle und webte den Drell zu ihrem Braut-
bette. Der Webeſtuhl war huͤbſch, und vielleicht eben ſo
ſchoͤn als derjenige, welchen die Fuͤrſtin von Ithaca in ihrem
Viſitenzimmer hatte. Ich fragte ſie, ob es nicht vortheilhafter
waͤre, auſſer Hauſes weben zu laſſen? Ich glaube wohl, war
ihre Antwort; allein wann wir auch nichts dabey gewinnen:
ſo ſind wir doch ſicher, daß unſer gutes Garn vom Leinweber
nicht vertauſcht, nicht halb untergeſchlagen, und nicht ver-
dorben wird. Ich habe, fuͤgte die Mutter hinzu, allen mei-
nen Toͤchtern das Weben gelernt. Es dient zu ihrer Veraͤn-
derung; ſie lernen eine gute Arbeit kennen, und wiſſen bis

auf
J 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0149" n="131"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Die allerlieb&#x017F;te Braut.</hi></fw><lb/>
uns &#x017F;oll jedes Knie, wenn es auch mit Ruhm und Ehre &#x017F;teif<lb/>
geworden i&#x017F;t, einen Knicks machen, und die fal&#x017F;che Scham-<lb/>
haftigkeit bettelt um Verzeihung fu&#x0364;r den ungelenkten Ru&#x0364;ckgrad,<lb/>
da &#x017F;ie ku&#x0364;hn ihre beyden runden Arme in die Seite &#x017F;etzen, und<lb/>
ungebeugt den Muth ausdru&#x0364;cken ko&#x0364;nnte, womit Arbeit und<lb/>
Redlichkeit ihre Freunde erfu&#x0364;llet. Hat der Men&#x017F;ch denn<lb/>
keine Wu&#x0364;rde mehr, als in &#x017F;o fern er ein Affe des Hofes i&#x017F;t?<lb/>
I&#x017F;t da Freyheit und Eigenthum wo das va&#x0364;terliche Erbe der<lb/>
Mode verpfa&#x0364;ndet, der Gei&#x017F;t ein &#x017F;klavi&#x017F;cher Nachahmer, und<lb/>
un&#x017F;er edles Selb&#x017F;t eine entlehnte Rolle i&#x017F;t?</p><lb/>
        <p>Jedoch wir du&#x0364;rfen un&#x017F;erm Wittwer in &#x017F;einer altdeut&#x017F;chen<lb/>
Laune nicht zu weit folgen. Zu &#x017F;einer Ent&#x017F;chuldigung muß<lb/>
ich aber noch &#x017F;agen, daß er dem vornehmen Damen einiges<lb/>
Klapperwerk erlaube, um einigen vornehmeren Kindern die<lb/>
Langeweile zu vertreiben. Er bedauret &#x017F;ie aber von Herzen,<lb/>
und bemerkt nicht unrecht, daß &#x017F;ehr viele unter ihnen heimlich<lb/>
&#x017F;eufzeten und arbeiteten, und nichts mit den Affen gemein<lb/>
ha&#x0364;tten, die ihre Manieren copirten, ohne &#x017F;ich an ihre Werke<lb/>
wagen zu du&#x0364;rfen.</p><lb/>
        <p>Endlich kommt er auf &#x017F;eine Braut. Wir wollen ihn<lb/>
hier &#x017F;elb&#x017F;t reden la&#x017F;&#x017F;en. Meine gute Catharine, &#x017F;agte er,<lb/>
&#x017F;aß hinterm Webe&#x017F;tuhle und webte den Drell zu ihrem Braut-<lb/>
bette. Der Webe&#x017F;tuhl war hu&#x0364;b&#x017F;ch, und vielleicht eben &#x017F;o<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;n als derjenige, welchen die Fu&#x0364;r&#x017F;tin von Ithaca in ihrem<lb/>
Vi&#x017F;itenzimmer hatte. Ich fragte &#x017F;ie, ob es nicht vortheilhafter<lb/>
wa&#x0364;re, au&#x017F;&#x017F;er Hau&#x017F;es weben zu la&#x017F;&#x017F;en? Ich glaube wohl, war<lb/>
ihre Antwort; allein wann wir auch nichts dabey gewinnen:<lb/>
&#x017F;o &#x017F;ind wir doch &#x017F;icher, daß un&#x017F;er gutes Garn vom Leinweber<lb/>
nicht vertau&#x017F;cht, nicht halb unterge&#x017F;chlagen, und nicht ver-<lb/>
dorben wird. Ich habe, fu&#x0364;gte die Mutter hinzu, allen mei-<lb/>
nen To&#x0364;chtern das Weben gelernt. Es dient zu ihrer Vera&#x0364;n-<lb/>
derung; &#x017F;ie lernen eine gute Arbeit kennen, und wi&#x017F;&#x017F;en bis<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">J 2</fw><fw place="bottom" type="catch">auf</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[131/0149] Die allerliebſte Braut. uns ſoll jedes Knie, wenn es auch mit Ruhm und Ehre ſteif geworden iſt, einen Knicks machen, und die falſche Scham- haftigkeit bettelt um Verzeihung fuͤr den ungelenkten Ruͤckgrad, da ſie kuͤhn ihre beyden runden Arme in die Seite ſetzen, und ungebeugt den Muth ausdruͤcken koͤnnte, womit Arbeit und Redlichkeit ihre Freunde erfuͤllet. Hat der Menſch denn keine Wuͤrde mehr, als in ſo fern er ein Affe des Hofes iſt? Iſt da Freyheit und Eigenthum wo das vaͤterliche Erbe der Mode verpfaͤndet, der Geiſt ein ſklaviſcher Nachahmer, und unſer edles Selbſt eine entlehnte Rolle iſt? Jedoch wir duͤrfen unſerm Wittwer in ſeiner altdeutſchen Laune nicht zu weit folgen. Zu ſeiner Entſchuldigung muß ich aber noch ſagen, daß er dem vornehmen Damen einiges Klapperwerk erlaube, um einigen vornehmeren Kindern die Langeweile zu vertreiben. Er bedauret ſie aber von Herzen, und bemerkt nicht unrecht, daß ſehr viele unter ihnen heimlich ſeufzeten und arbeiteten, und nichts mit den Affen gemein haͤtten, die ihre Manieren copirten, ohne ſich an ihre Werke wagen zu duͤrfen. Endlich kommt er auf ſeine Braut. Wir wollen ihn hier ſelbſt reden laſſen. Meine gute Catharine, ſagte er, ſaß hinterm Webeſtuhle und webte den Drell zu ihrem Braut- bette. Der Webeſtuhl war huͤbſch, und vielleicht eben ſo ſchoͤn als derjenige, welchen die Fuͤrſtin von Ithaca in ihrem Viſitenzimmer hatte. Ich fragte ſie, ob es nicht vortheilhafter waͤre, auſſer Hauſes weben zu laſſen? Ich glaube wohl, war ihre Antwort; allein wann wir auch nichts dabey gewinnen: ſo ſind wir doch ſicher, daß unſer gutes Garn vom Leinweber nicht vertauſcht, nicht halb untergeſchlagen, und nicht ver- dorben wird. Ich habe, fuͤgte die Mutter hinzu, allen mei- nen Toͤchtern das Weben gelernt. Es dient zu ihrer Veraͤn- derung; ſie lernen eine gute Arbeit kennen, und wiſſen bis auf J 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/149
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/149>, abgerufen am 25.11.2024.