Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Frage: Ist es gut, daß die Unterthan.
sie für die Hälfte des jetzigen Preises verkaufen müssen, wenn
der Hände so wenig; oder die Erwerbungsmittel so gering
wären, daß man einen Knecht für 5 Thaler des Jahrs ha-
ben könnte. Ich könnte Exempel von Ländern beybringen,
wo sich die Umstände würklich so verhalten; wo niemand nach
Holland gehet, das hiesige Malter Rocken im vorigen Jahr
halb so viel als hier gegolten, und dennoch der Mangel des
Gesindes Klagen veranlasset hat.

Aber wie, wenn ein reiches und armes Land neben einan-
der lägen; wovon das erstere die Handarbeit immer doppelt
bezahlte, würde dann nicht endlich das letztere von Leuten
völlig erschöpft werden? Dem ersten Anblick nach ja! Allein
in der That nicht. Ich berühre die großen Gründe nicht,
nach welchen Hume dieses politische Problema zum Vortheil
der bejahenden entschieden hat; glaube aber, daß wenn jähr-
lich noch zehntausend Leute mehr nach Holland giengen als
jetzt, die Vermehrung in dem Lande, worinn diese Leute,
Freyheit und Brod finden, in gleichem Verhältniß steigen
werde. Ich glaube, daß das arme Land seine in reiche Län-
der reisende Heuerleute eher in ihre Heymath zurückziehe, als
das reiche; weil jeder doch gern in seinem Dorfe, und vor
seinen Nachbarn glänzen, und sein erworbenes Geld da am
liebsten ausgoben will, wo es am mehrsten gilt. Ich schließe
endlich, daß Leute von der Art, wie wir sie annehmen, nie so
viel erwerben, um in dem reichen Lande bleiben zu können,
und daher immer wieder zurückkehren müssen. Und alles dies
ist der Erfahrung gemäs. Westphalen müßte längst von den
Holländern verschlungen, und diejenige Provinz, woraus gar
keine Leute nach Holland gehen, die volkreichste seyn, wenn
obiger Satz seine Richtigkeit hätte. Es zeigt sich aber von
beyden das Gegentheil.

Ins-

Die Frage: Iſt es gut, daß die Unterthan.
ſie fuͤr die Haͤlfte des jetzigen Preiſes verkaufen muͤſſen, wenn
der Haͤnde ſo wenig; oder die Erwerbungsmittel ſo gering
waͤren, daß man einen Knecht fuͤr 5 Thaler des Jahrs ha-
ben koͤnnte. Ich koͤnnte Exempel von Laͤndern beybringen,
wo ſich die Umſtaͤnde wuͤrklich ſo verhalten; wo niemand nach
Holland gehet, das hieſige Malter Rocken im vorigen Jahr
halb ſo viel als hier gegolten, und dennoch der Mangel des
Geſindes Klagen veranlaſſet hat.

Aber wie, wenn ein reiches und armes Land neben einan-
der laͤgen; wovon das erſtere die Handarbeit immer doppelt
bezahlte, wuͤrde dann nicht endlich das letztere von Leuten
voͤllig erſchoͤpft werden? Dem erſten Anblick nach ja! Allein
in der That nicht. Ich beruͤhre die großen Gruͤnde nicht,
nach welchen Hume dieſes politiſche Problema zum Vortheil
der bejahenden entſchieden hat; glaube aber, daß wenn jaͤhr-
lich noch zehntauſend Leute mehr nach Holland giengen als
jetzt, die Vermehrung in dem Lande, worinn dieſe Leute,
Freyheit und Brod finden, in gleichem Verhaͤltniß ſteigen
werde. Ich glaube, daß das arme Land ſeine in reiche Laͤn-
der reiſende Heuerleute eher in ihre Heymath zuruͤckziehe, als
das reiche; weil jeder doch gern in ſeinem Dorfe, und vor
ſeinen Nachbarn glaͤnzen, und ſein erworbenes Geld da am
liebſten ausgoben will, wo es am mehrſten gilt. Ich ſchließe
endlich, daß Leute von der Art, wie wir ſie annehmen, nie ſo
viel erwerben, um in dem reichen Lande bleiben zu koͤnnen,
und daher immer wieder zuruͤckkehren muͤſſen. Und alles dies
iſt der Erfahrung gemaͤs. Weſtphalen muͤßte laͤngſt von den
Hollaͤndern verſchlungen, und diejenige Provinz, woraus gar
keine Leute nach Holland gehen, die volkreichſte ſeyn, wenn
obiger Satz ſeine Richtigkeit haͤtte. Es zeigt ſich aber von
beyden das Gegentheil.

Ins-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0122" n="104"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Die Frage: I&#x017F;t es gut, daß die Unterthan.</hi></fw><lb/>
&#x017F;ie fu&#x0364;r die Ha&#x0364;lfte des jetzigen Prei&#x017F;es verkaufen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, wenn<lb/>
der Ha&#x0364;nde &#x017F;o wenig; oder die Erwerbungsmittel &#x017F;o gering<lb/>
wa&#x0364;ren, daß man einen Knecht fu&#x0364;r 5 Thaler des Jahrs ha-<lb/>
ben ko&#x0364;nnte. Ich ko&#x0364;nnte Exempel von La&#x0364;ndern beybringen,<lb/>
wo &#x017F;ich die Um&#x017F;ta&#x0364;nde wu&#x0364;rklich &#x017F;o verhalten; wo niemand nach<lb/>
Holland gehet, das hie&#x017F;ige Malter Rocken im vorigen Jahr<lb/>
halb &#x017F;o viel als hier gegolten, und dennoch der Mangel des<lb/>
Ge&#x017F;indes Klagen veranla&#x017F;&#x017F;et hat.</p><lb/>
        <p>Aber wie, wenn ein reiches und armes Land neben einan-<lb/>
der la&#x0364;gen; wovon das er&#x017F;tere die Handarbeit immer doppelt<lb/>
bezahlte, wu&#x0364;rde dann nicht endlich das letztere von Leuten<lb/>
vo&#x0364;llig er&#x017F;cho&#x0364;pft werden? Dem er&#x017F;ten Anblick nach ja! Allein<lb/>
in der That nicht. Ich beru&#x0364;hre die großen Gru&#x0364;nde nicht,<lb/>
nach welchen <hi rendition="#fr">Hume</hi> die&#x017F;es politi&#x017F;che Problema zum Vortheil<lb/>
der bejahenden ent&#x017F;chieden hat; glaube aber, daß wenn ja&#x0364;hr-<lb/>
lich noch zehntau&#x017F;end Leute mehr nach Holland giengen als<lb/>
jetzt, die Vermehrung in dem Lande, worinn die&#x017F;e Leute,<lb/>
Freyheit und Brod finden, in gleichem Verha&#x0364;ltniß &#x017F;teigen<lb/>
werde. Ich glaube, daß das arme Land &#x017F;eine in reiche La&#x0364;n-<lb/>
der rei&#x017F;ende Heuerleute eher in ihre Heymath zuru&#x0364;ckziehe, als<lb/>
das reiche; weil jeder doch gern in &#x017F;einem Dorfe, und vor<lb/>
&#x017F;einen Nachbarn gla&#x0364;nzen, und &#x017F;ein erworbenes Geld da am<lb/>
lieb&#x017F;ten ausgoben will, wo es am mehr&#x017F;ten gilt. Ich &#x017F;chließe<lb/>
endlich, daß Leute von der Art, wie wir &#x017F;ie annehmen, nie &#x017F;o<lb/>
viel erwerben, um in dem reichen Lande bleiben zu ko&#x0364;nnen,<lb/>
und daher immer wieder zuru&#x0364;ckkehren mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en. Und alles dies<lb/>
i&#x017F;t der Erfahrung gema&#x0364;s. We&#x017F;tphalen mu&#x0364;ßte la&#x0364;ng&#x017F;t von den<lb/>
Holla&#x0364;ndern ver&#x017F;chlungen, und diejenige Provinz, woraus gar<lb/>
keine Leute nach Holland gehen, die volkreich&#x017F;te &#x017F;eyn, wenn<lb/>
obiger Satz &#x017F;eine Richtigkeit ha&#x0364;tte. Es zeigt &#x017F;ich aber von<lb/>
beyden das Gegentheil.</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch">Ins-</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[104/0122] Die Frage: Iſt es gut, daß die Unterthan. ſie fuͤr die Haͤlfte des jetzigen Preiſes verkaufen muͤſſen, wenn der Haͤnde ſo wenig; oder die Erwerbungsmittel ſo gering waͤren, daß man einen Knecht fuͤr 5 Thaler des Jahrs ha- ben koͤnnte. Ich koͤnnte Exempel von Laͤndern beybringen, wo ſich die Umſtaͤnde wuͤrklich ſo verhalten; wo niemand nach Holland gehet, das hieſige Malter Rocken im vorigen Jahr halb ſo viel als hier gegolten, und dennoch der Mangel des Geſindes Klagen veranlaſſet hat. Aber wie, wenn ein reiches und armes Land neben einan- der laͤgen; wovon das erſtere die Handarbeit immer doppelt bezahlte, wuͤrde dann nicht endlich das letztere von Leuten voͤllig erſchoͤpft werden? Dem erſten Anblick nach ja! Allein in der That nicht. Ich beruͤhre die großen Gruͤnde nicht, nach welchen Hume dieſes politiſche Problema zum Vortheil der bejahenden entſchieden hat; glaube aber, daß wenn jaͤhr- lich noch zehntauſend Leute mehr nach Holland giengen als jetzt, die Vermehrung in dem Lande, worinn dieſe Leute, Freyheit und Brod finden, in gleichem Verhaͤltniß ſteigen werde. Ich glaube, daß das arme Land ſeine in reiche Laͤn- der reiſende Heuerleute eher in ihre Heymath zuruͤckziehe, als das reiche; weil jeder doch gern in ſeinem Dorfe, und vor ſeinen Nachbarn glaͤnzen, und ſein erworbenes Geld da am liebſten ausgoben will, wo es am mehrſten gilt. Ich ſchließe endlich, daß Leute von der Art, wie wir ſie annehmen, nie ſo viel erwerben, um in dem reichen Lande bleiben zu koͤnnen, und daher immer wieder zuruͤckkehren muͤſſen. Und alles dies iſt der Erfahrung gemaͤs. Weſtphalen muͤßte laͤngſt von den Hollaͤndern verſchlungen, und diejenige Provinz, woraus gar keine Leute nach Holland gehen, die volkreichſte ſeyn, wenn obiger Satz ſeine Richtigkeit haͤtte. Es zeigt ſich aber von beyden das Gegentheil. Ins-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/122
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/122>, abgerufen am 24.11.2024.