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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

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jährlich nach Holland gehen; wird bejahet.
sen muß? Warum nicht der Westphälinger seine Teiche selbst
rein mache? Warum er seine Kirchen nicht weisse, und seine
Häuser nicht selbst maure? Und, ob es nicht weit leichter und
vortheilhafter sey Wettergläser zu machen, als in Holland Torf
zu stechen, oder in England Thran zu sieden? Allein nichts
ist auch offenbarer, als daß Landes-Einwohner, welche sich
auf gewisse Dinge allein legen, und ihre Kinder von Jugend
auf dazu erziehen, es darinn zu einer so vorzüglichen Fertig-
keit und Geschicklichkeit bringen können, daß sie für halbes
Geld mehr thun als andre für doppeltes. Nichts ist sicht-
barer, als daß auch in groben Arbeiten eben die Vortheile aus
der Simplification entstehen, welche den feinern Künsten
daraus zugewachsen sind, wenn nemlich ein ander die Federn,
ein ander die Räder, und ein dritter die Zieferblätter ver-
fertiget, so dann der Uhrmacher nur blos zusammen setzt.
Nichts ist endlich gewisser, als daß sich oft in ganzen Gegen-
den eine Handarbeit von Vater auf Sohn und von Nachbar
zu Nachbar auf das glücklichste ausbreite und sich gleichsam
mit den National-Charakter vermische.

Gesetzt nun, die Einwohner eines Landes bringen es
durch das Exempel ihrer Vorfahren, durch die tägliche Uebung
und andere Vortheile zu einer vorzüglichen Geschicklichkeit in
einer groben Arbeit: so können sie nicht wie die feinere Hand-
arbeiter an einem Orte wohnen, sondern müssen herumziehen;
weil eine Nation die aus lauter Maurern bestehet, keine
Brücken zu Hause machen, und solche auf der Post verschicken
kann. Sie müssen weiter doppelt gewinnen, und ihre Art
zu arbeiten lieben, weil sie durch ihre Fertigkeit und Ge-
schicklichkeit gar zu viel vor allen andern voraus haben. Und
man könnte sich würklich den Fall vorstellen, daß die Tyroler
in Westphalen Gräben ausbrächten; die Westphälinger hin-
gegen in Tyrol Torf grüben, und beyde mehrern Vortheil

von

jaͤhrlich nach Holland gehen; wird bejahet.
ſen muß? Warum nicht der Weſtphaͤlinger ſeine Teiche ſelbſt
rein mache? Warum er ſeine Kirchen nicht weiſſe, und ſeine
Haͤuſer nicht ſelbſt maure? Und, ob es nicht weit leichter und
vortheilhafter ſey Wetterglaͤſer zu machen, als in Holland Torf
zu ſtechen, oder in England Thran zu ſieden? Allein nichts
iſt auch offenbarer, als daß Landes-Einwohner, welche ſich
auf gewiſſe Dinge allein legen, und ihre Kinder von Jugend
auf dazu erziehen, es darinn zu einer ſo vorzuͤglichen Fertig-
keit und Geſchicklichkeit bringen koͤnnen, daß ſie fuͤr halbes
Geld mehr thun als andre fuͤr doppeltes. Nichts iſt ſicht-
barer, als daß auch in groben Arbeiten eben die Vortheile aus
der Simplification entſtehen, welche den feinern Kuͤnſten
daraus zugewachſen ſind, wenn nemlich ein ander die Federn,
ein ander die Raͤder, und ein dritter die Zieferblaͤtter ver-
fertiget, ſo dann der Uhrmacher nur blos zuſammen ſetzt.
Nichts iſt endlich gewiſſer, als daß ſich oft in ganzen Gegen-
den eine Handarbeit von Vater auf Sohn und von Nachbar
zu Nachbar auf das gluͤcklichſte ausbreite und ſich gleichſam
mit den National-Charakter vermiſche.

Geſetzt nun, die Einwohner eines Landes bringen es
durch das Exempel ihrer Vorfahren, durch die taͤgliche Uebung
und andere Vortheile zu einer vorzuͤglichen Geſchicklichkeit in
einer groben Arbeit: ſo koͤnnen ſie nicht wie die feinere Hand-
arbeiter an einem Orte wohnen, ſondern muͤſſen herumziehen;
weil eine Nation die aus lauter Maurern beſtehet, keine
Bruͤcken zu Hauſe machen, und ſolche auf der Poſt verſchicken
kann. Sie muͤſſen weiter doppelt gewinnen, und ihre Art
zu arbeiten lieben, weil ſie durch ihre Fertigkeit und Ge-
ſchicklichkeit gar zu viel vor allen andern voraus haben. Und
man koͤnnte ſich wuͤrklich den Fall vorſtellen, daß die Tyroler
in Weſtphalen Graͤben ausbraͤchten; die Weſtphaͤlinger hin-
gegen in Tyrol Torf gruͤben, und beyde mehrern Vortheil

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[95/0113] jaͤhrlich nach Holland gehen; wird bejahet. ſen muß? Warum nicht der Weſtphaͤlinger ſeine Teiche ſelbſt rein mache? Warum er ſeine Kirchen nicht weiſſe, und ſeine Haͤuſer nicht ſelbſt maure? Und, ob es nicht weit leichter und vortheilhafter ſey Wetterglaͤſer zu machen, als in Holland Torf zu ſtechen, oder in England Thran zu ſieden? Allein nichts iſt auch offenbarer, als daß Landes-Einwohner, welche ſich auf gewiſſe Dinge allein legen, und ihre Kinder von Jugend auf dazu erziehen, es darinn zu einer ſo vorzuͤglichen Fertig- keit und Geſchicklichkeit bringen koͤnnen, daß ſie fuͤr halbes Geld mehr thun als andre fuͤr doppeltes. Nichts iſt ſicht- barer, als daß auch in groben Arbeiten eben die Vortheile aus der Simplification entſtehen, welche den feinern Kuͤnſten daraus zugewachſen ſind, wenn nemlich ein ander die Federn, ein ander die Raͤder, und ein dritter die Zieferblaͤtter ver- fertiget, ſo dann der Uhrmacher nur blos zuſammen ſetzt. Nichts iſt endlich gewiſſer, als daß ſich oft in ganzen Gegen- den eine Handarbeit von Vater auf Sohn und von Nachbar zu Nachbar auf das gluͤcklichſte ausbreite und ſich gleichſam mit den National-Charakter vermiſche. Geſetzt nun, die Einwohner eines Landes bringen es durch das Exempel ihrer Vorfahren, durch die taͤgliche Uebung und andere Vortheile zu einer vorzuͤglichen Geſchicklichkeit in einer groben Arbeit: ſo koͤnnen ſie nicht wie die feinere Hand- arbeiter an einem Orte wohnen, ſondern muͤſſen herumziehen; weil eine Nation die aus lauter Maurern beſtehet, keine Bruͤcken zu Hauſe machen, und ſolche auf der Poſt verſchicken kann. Sie muͤſſen weiter doppelt gewinnen, und ihre Art zu arbeiten lieben, weil ſie durch ihre Fertigkeit und Ge- ſchicklichkeit gar zu viel vor allen andern voraus haben. Und man koͤnnte ſich wuͤrklich den Fall vorſtellen, daß die Tyroler in Weſtphalen Graͤben ausbraͤchten; die Weſtphaͤlinger hin- gegen in Tyrol Torf gruͤben, und beyde mehrern Vortheil von

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/113>, abgerufen am 02.05.2024.