Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

Bild:
<< vorherige Seite
Von der Armenpolicey

Und gewiß mußten ihnen Richter und Advocaten allezeit um-
sonst helfen, da beyde blos für die Ehre dienten. Ihre Ord-
nung gegen die Bettler und Landstreicher war so strenge, daß
jeder Reisender, der von der Heerstrasse auf einen Dorf- oder
Nebenweg wich, und kein Nothgeschrey machte, als ein Stras-
senräuber von jedermann erschlagen werden konnte.

Si peregrinus vel alienus extra viam per sylvas va-
getur, & non vociferet, neque cornu insonet pro
fure sit judicandus vel percutiendus vel redimen-
dus v. LL. Inae regis.
§. 20.

Sie hielten es in diesem Stücke, eben wie wir es zu Krieges-
zeiten halten, wo der General den ankommenden Fremden
die Route vorschreibt, welche sie gehen müssen, wo sie nicht
als Spions gehangen werden wollen. Eben dahin zielte an-
änglich des Königs- oder Kaisersgeleit, und die Abzeichnung
gewisser Heerstrassen. Man war mit keinem Geleite auf
Dorf- und Nebenwegen sicher.

Wie verhalten wir uns aber jetzt in diesen Stücken?
Die Heerstrassen haben ihren Charakter verlohren. Man
weis kaum mehr was sie bedeuten sollen. Die Landstreicher
laufen wie und wo sie wollen. Mit Geleit hält sich ein jeder
sicher, und berechtiget sogar andern ins Haus zu kommen.

Die
100 Ducaten Strafe geben, wenn sie einen durchs Ader-
lassen lähmten; sie durften keinem Frauenzimmer ohne daß
jemand dabey zugegen war, die Ader öffnen. Nullus
medicus sine praesentia patris -- mulierem inge-
nuam flebotomare praesumat -- quia difficilli-
mum non est, ut tali occasione ludibrium inter-
dum adhaerescat. L. 1. de medicis.
Und sie wür-
den ihnen gewiß das Pulsfühlen verbothen haben, wenn
es wäre Mode gewesen.
Von der Armenpolicey

Und gewiß mußten ihnen Richter und Advocaten allezeit um-
ſonſt helfen, da beyde blos fuͤr die Ehre dienten. Ihre Ord-
nung gegen die Bettler und Landſtreicher war ſo ſtrenge, daß
jeder Reiſender, der von der Heerſtraſſe auf einen Dorf- oder
Nebenweg wich, und kein Nothgeſchrey machte, als ein Straſ-
ſenraͤuber von jedermann erſchlagen werden konnte.

Si peregrinus vel alienus extra viam per ſylvas va-
getur, & non vociferet, neque cornu inſonet pro
fure ſit judicandus vel percutiendus vel redimen-
dus v. LL. Inae regis.
§. 20.

Sie hielten es in dieſem Stuͤcke, eben wie wir es zu Krieges-
zeiten halten, wo der General den ankommenden Fremden
die Route vorſchreibt, welche ſie gehen muͤſſen, wo ſie nicht
als Spions gehangen werden wollen. Eben dahin zielte an-
aͤnglich des Koͤnigs- oder Kaiſersgeleit, und die Abzeichnung
gewiſſer Heerſtraſſen. Man war mit keinem Geleite auf
Dorf- und Nebenwegen ſicher.

Wie verhalten wir uns aber jetzt in dieſen Stuͤcken?
Die Heerſtraſſen haben ihren Charakter verlohren. Man
weis kaum mehr was ſie bedeuten ſollen. Die Landſtreicher
laufen wie und wo ſie wollen. Mit Geleit haͤlt ſich ein jeder
ſicher, und berechtiget ſogar andern ins Haus zu kommen.

Die
100 Ducaten Strafe geben, wenn ſie einen durchs Ader-
laſſen laͤhmten; ſie durften keinem Frauenzimmer ohne daß
jemand dabey zugegen war, die Ader oͤffnen. Nullus
medicus ſine praeſentia patris — mulierem inge-
nuam flebotomare praeſumat — quia difficilli-
mum non eſt, ut tali occaſione ludibrium inter-
dum adhaereſcat. L. 1. de medicis.
Und ſie wuͤr-
den ihnen gewiß das Pulsfuͤhlen verbothen haben, wenn
es waͤre Mode geweſen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0100" n="82"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Von der Armenpolicey</hi> </fw><lb/>
        <p>Und gewiß mußten ihnen Richter und Advocaten allezeit um-<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t helfen, da beyde blos fu&#x0364;r die Ehre dienten. Ihre Ord-<lb/>
nung gegen die Bettler und Land&#x017F;treicher war &#x017F;o &#x017F;trenge, daß<lb/>
jeder Rei&#x017F;ender, der von der Heer&#x017F;tra&#x017F;&#x017F;e auf einen Dorf- oder<lb/>
Nebenweg wich, und kein Nothge&#x017F;chrey machte, als ein Stra&#x017F;-<lb/>
&#x017F;enra&#x0364;uber von jedermann er&#x017F;chlagen werden konnte.</p><lb/>
        <cit>
          <quote> <hi rendition="#et"><hi rendition="#aq">Si peregrinus vel alienus extra viam per &#x017F;ylvas va-<lb/>
getur, &amp; non vociferet, neque cornu in&#x017F;onet pro<lb/>
fure &#x017F;it judicandus vel percutiendus vel redimen-<lb/>
dus v. LL. Inae regis.</hi> §. 20.</hi> </quote>
          <bibl/>
        </cit><lb/>
        <p>Sie hielten es in die&#x017F;em Stu&#x0364;cke, eben wie wir es zu Krieges-<lb/>
zeiten halten, wo der General den ankommenden Fremden<lb/>
die Route vor&#x017F;chreibt, welche &#x017F;ie gehen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, wo &#x017F;ie nicht<lb/>
als Spions gehangen werden wollen. Eben dahin zielte an-<lb/>
a&#x0364;nglich des Ko&#x0364;nigs- oder Kai&#x017F;ersgeleit, und die Abzeichnung<lb/>
gewi&#x017F;&#x017F;er Heer&#x017F;tra&#x017F;&#x017F;en. Man war mit keinem Geleite auf<lb/>
Dorf- und Nebenwegen &#x017F;icher.</p><lb/>
        <p>Wie verhalten wir uns aber jetzt in die&#x017F;en Stu&#x0364;cken?<lb/>
Die Heer&#x017F;tra&#x017F;&#x017F;en haben ihren Charakter verlohren. Man<lb/>
weis kaum mehr was &#x017F;ie bedeuten &#x017F;ollen. Die Land&#x017F;treicher<lb/>
laufen wie und wo &#x017F;ie wollen. Mit Geleit ha&#x0364;lt &#x017F;ich ein jeder<lb/>
&#x017F;icher, und berechtiget &#x017F;ogar andern ins Haus zu kommen.</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch">Die</fw><lb/>
        <p>
          <note xml:id="seg2pn_2_2" prev="#seg2pn_2_1" place="foot" n="*)">100 Ducaten Strafe geben, wenn &#x017F;ie einen durchs Ader-<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en la&#x0364;hmten; &#x017F;ie durften keinem Frauenzimmer ohne daß<lb/>
jemand dabey zugegen war, die Ader o&#x0364;ffnen. <hi rendition="#aq">Nullus<lb/>
medicus &#x017F;ine prae&#x017F;entia patris &#x2014; mulierem inge-<lb/>
nuam flebotomare prae&#x017F;umat &#x2014; quia difficilli-<lb/>
mum non e&#x017F;t, ut tali occa&#x017F;ione ludibrium inter-<lb/>
dum adhaere&#x017F;cat. L. 1. de medicis.</hi> Und &#x017F;ie wu&#x0364;r-<lb/>
den ihnen gewiß das Pulsfu&#x0364;hlen verbothen haben, wenn<lb/>
es wa&#x0364;re Mode gewe&#x017F;en.</note>
        </p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[82/0100] Von der Armenpolicey Und gewiß mußten ihnen Richter und Advocaten allezeit um- ſonſt helfen, da beyde blos fuͤr die Ehre dienten. Ihre Ord- nung gegen die Bettler und Landſtreicher war ſo ſtrenge, daß jeder Reiſender, der von der Heerſtraſſe auf einen Dorf- oder Nebenweg wich, und kein Nothgeſchrey machte, als ein Straſ- ſenraͤuber von jedermann erſchlagen werden konnte. Si peregrinus vel alienus extra viam per ſylvas va- getur, & non vociferet, neque cornu inſonet pro fure ſit judicandus vel percutiendus vel redimen- dus v. LL. Inae regis. §. 20. Sie hielten es in dieſem Stuͤcke, eben wie wir es zu Krieges- zeiten halten, wo der General den ankommenden Fremden die Route vorſchreibt, welche ſie gehen muͤſſen, wo ſie nicht als Spions gehangen werden wollen. Eben dahin zielte an- aͤnglich des Koͤnigs- oder Kaiſersgeleit, und die Abzeichnung gewiſſer Heerſtraſſen. Man war mit keinem Geleite auf Dorf- und Nebenwegen ſicher. Wie verhalten wir uns aber jetzt in dieſen Stuͤcken? Die Heerſtraſſen haben ihren Charakter verlohren. Man weis kaum mehr was ſie bedeuten ſollen. Die Landſtreicher laufen wie und wo ſie wollen. Mit Geleit haͤlt ſich ein jeder ſicher, und berechtiget ſogar andern ins Haus zu kommen. Die *) *) 100 Ducaten Strafe geben, wenn ſie einen durchs Ader- laſſen laͤhmten; ſie durften keinem Frauenzimmer ohne daß jemand dabey zugegen war, die Ader oͤffnen. Nullus medicus ſine praeſentia patris — mulierem inge- nuam flebotomare praeſumat — quia difficilli- mum non eſt, ut tali occaſione ludibrium inter- dum adhaereſcat. L. 1. de medicis. Und ſie wuͤr- den ihnen gewiß das Pulsfuͤhlen verbothen haben, wenn es waͤre Mode geweſen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/100
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/100>, abgerufen am 21.11.2024.