ganz eigener Rührung mußte Theobald ergriffen werden, wenn er dachte, welche Hände dieses Garn gesponnen und sorglich es hieher getragen, wie manche Stunde des langen Tages und der langen Nacht das treuste der Mädchen unter wechselnden Gedanken an den Entfernten, in hoffnungsreichem Fleiße, mit dieser Arbeit hingebracht, während er, in übereiltem Wahne, mit sündiger Gluth eine fremde Neigung pflegte.
Jezt hatte er kein Bleibens mehr an diesem Ort, und doch konnte er den Muth auch nicht finden, Ag- nesen geradezu aufzusuchen; er trat unschlüssig in den Eingang der Kirche, wo ihn eine angenehme Kühle und, trotz der armseligen Ausstattung, ein feierlicher Geist empfing. Haftete doch an diesen braunen abge- nuzten Stühlen, an diesen Pfeilern und Bildern eine unendliche Reihe frommer Jugendeindrücke, hatte doch diese kleine Orgel mit ihren einfachen Tönen einst den ganzen Umfang seines Gemüths erfüllt und es ah- nungsvoll zum Höchsten aufgehoben, war doch dort, der Kanzel gegenüber, noch derselbe Stuhl, wo Agnes als ein Kind gesessen, ja den schmalen Goldstreifen Sonne, der so eben die Rücklehne beschien, erinnerte er sich wohl an manchem Sonntagmorgen gerade so gesehen zu haben; in jedem Winkel schien ein holdes Gespenst der Vergangenheit neugierig dem Halbfrem- den aufzulauschen und ihm zuzuflüstern: Siehe, hier ist sich am Ende Alles gleich geblieben, wie ist's in- dessen mit dir gegangen?
ganz eigener Rührung mußte Theobald ergriffen werden, wenn er dachte, welche Hände dieſes Garn geſponnen und ſorglich es hieher getragen, wie manche Stunde des langen Tages und der langen Nacht das treuſte der Mädchen unter wechſelnden Gedanken an den Entfernten, in hoffnungsreichem Fleiße, mit dieſer Arbeit hingebracht, während er, in übereiltem Wahne, mit ſündiger Gluth eine fremde Neigung pflegte.
Jezt hatte er kein Bleibens mehr an dieſem Ort, und doch konnte er den Muth auch nicht finden, Ag- neſen geradezu aufzuſuchen; er trat unſchlüſſig in den Eingang der Kirche, wo ihn eine angenehme Kühle und, trotz der armſeligen Ausſtattung, ein feierlicher Geiſt empfing. Haftete doch an dieſen braunen abge- nuzten Stühlen, an dieſen Pfeilern und Bildern eine unendliche Reihe frommer Jugendeindrücke, hatte doch dieſe kleine Orgel mit ihren einfachen Tönen einſt den ganzen Umfang ſeines Gemüths erfüllt und es ah- nungsvoll zum Höchſten aufgehoben, war doch dort, der Kanzel gegenüber, noch derſelbe Stuhl, wo Agnes als ein Kind geſeſſen, ja den ſchmalen Goldſtreifen Sonne, der ſo eben die Rücklehne beſchien, erinnerte er ſich wohl an manchem Sonntagmorgen gerade ſo geſehen zu haben; in jedem Winkel ſchien ein holdes Geſpenſt der Vergangenheit neugierig dem Halbfrem- den aufzulauſchen und ihm zuzuflüſtern: Siehe, hier iſt ſich am Ende Alles gleich geblieben, wie iſt’s in- deſſen mit dir gegangen?
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[398/0084]
ganz eigener Rührung mußte Theobald ergriffen
werden, wenn er dachte, welche Hände dieſes Garn
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Stunde des langen Tages und der langen Nacht das
treuſte der Mädchen unter wechſelnden Gedanken an
den Entfernten, in hoffnungsreichem Fleiße, mit dieſer
Arbeit hingebracht, während er, in übereiltem Wahne,
mit ſündiger Gluth eine fremde Neigung pflegte.
Jezt hatte er kein Bleibens mehr an dieſem Ort,
und doch konnte er den Muth auch nicht finden, Ag-
neſen geradezu aufzuſuchen; er trat unſchlüſſig in den
Eingang der Kirche, wo ihn eine angenehme Kühle
und, trotz der armſeligen Ausſtattung, ein feierlicher
Geiſt empfing. Haftete doch an dieſen braunen abge-
nuzten Stühlen, an dieſen Pfeilern und Bildern eine
unendliche Reihe frommer Jugendeindrücke, hatte doch
dieſe kleine Orgel mit ihren einfachen Tönen einſt den
ganzen Umfang ſeines Gemüths erfüllt und es ah-
nungsvoll zum Höchſten aufgehoben, war doch dort,
der Kanzel gegenüber, noch derſelbe Stuhl, wo Agnes
als ein Kind geſeſſen, ja den ſchmalen Goldſtreifen
Sonne, der ſo eben die Rücklehne beſchien, erinnerte
er ſich wohl an manchem Sonntagmorgen gerade ſo
geſehen zu haben; in jedem Winkel ſchien ein holdes
Geſpenſt der Vergangenheit neugierig dem Halbfrem-
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iſt ſich am Ende Alles gleich geblieben, wie iſt’s in-
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 398. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/84>, abgerufen am 23.11.2024.
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