Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

mund, und nicht mit ihm zu spaßen." Nolten
gestand offenherzig den sonderbaren Zufall. "Unter
uns," sagte der Hofrath, "Sie sollen wissen, wie Alles
zusammenhängt. Der junge Mann, furios in seiner
Kunst so wie im Leben, verlangte von seiner Braut,
an der er außer einem hübschen Wuchs lange keinen
Vorzug mochte gekannt haben, daß sie ihm sitze, stehe,
wie er's als Künstler brauche. Das Mädchen konnte
sich nicht überwinden, es kam zu Verdruß, der bald
so ernstlich wurde, daß Naymund das störrige Ding
gar nicht mehr ansah. So dauert es ein halb Jahr
und das Mädchen, sonst ein sanftes, verständiges Ge-
schöpf, das ihn unbändig liebt, überdieß armer Leute
Kind ist, fängt an im Stillen zu verzweifeln. Ueber-
dem bekömmt sie einen vortheilhaften Antrag, sich
für's Theater zu bilden, da sie sehr gut singen soll.
Sie schlägt es standhaft aus, und diese wackere Re-
signation bringt den Trotzkopf von Bräutigam plötzlich
auf ganz andere Gedanken von dem Werthe des Mäd-
chens, so daß er sie vor etlichen Tagen zum Ersten-
mal wieder besuchte. Auf beiden Seiten soll die Freude
des Wiedersehens ohne Grenzen gewesen seyn, und
gleich in der ersten Viertelstunde, so erzählt er mir,
habe sie ihm die Gewährung seiner artistischen Grille
freiwillig zugesagt. Da nun Raymund durch sein
Zusammenwohnen mit einem andern Künstler um ein
Lokal verlegen war, so fand er bei mir, der ich ihm
auch sonst zuweilen nützlich zu seyn suche, gerne den er-

mund, und nicht mit ihm zu ſpaßen.“ Nolten
geſtand offenherzig den ſonderbaren Zufall. „Unter
uns,“ ſagte der Hofrath, „Sie ſollen wiſſen, wie Alles
zuſammenhängt. Der junge Mann, furios in ſeiner
Kunſt ſo wie im Leben, verlangte von ſeiner Braut,
an der er außer einem hübſchen Wuchs lange keinen
Vorzug mochte gekannt haben, daß ſie ihm ſitze, ſtehe,
wie er’s als Künſtler brauche. Das Mädchen konnte
ſich nicht überwinden, es kam zu Verdruß, der bald
ſo ernſtlich wurde, daß Naymund das ſtörrige Ding
gar nicht mehr anſah. So dauert es ein halb Jahr
und das Mädchen, ſonſt ein ſanftes, verſtändiges Ge-
ſchöpf, das ihn unbändig liebt, überdieß armer Leute
Kind iſt, fängt an im Stillen zu verzweifeln. Ueber-
dem bekömmt ſie einen vortheilhaften Antrag, ſich
für’s Theater zu bilden, da ſie ſehr gut ſingen ſoll.
Sie ſchlägt es ſtandhaft aus, und dieſe wackere Re-
ſignation bringt den Trotzkopf von Bräutigam plötzlich
auf ganz andere Gedanken von dem Werthe des Mäd-
chens, ſo daß er ſie vor etlichen Tagen zum Erſten-
mal wieder beſuchte. Auf beiden Seiten ſoll die Freude
des Wiederſehens ohne Grenzen geweſen ſeyn, und
gleich in der erſten Viertelſtunde, ſo erzählt er mir,
habe ſie ihm die Gewährung ſeiner artiſtiſchen Grille
freiwillig zugeſagt. Da nun Raymund durch ſein
Zuſammenwohnen mit einem andern Künſtler um ein
Lokal verlegen war, ſo fand er bei mir, der ich ihm
auch ſonſt zuweilen nützlich zu ſeyn ſuche, gerne den er-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><hi rendition="#g"><pb facs="#f0058" n="372"/>
mund</hi>, und nicht mit ihm zu &#x017F;paßen.&#x201C; <hi rendition="#g">Nolten</hi><lb/>
ge&#x017F;tand offenherzig den &#x017F;onderbaren Zufall. &#x201E;Unter<lb/>
uns,&#x201C; &#x017F;agte der Hofrath, &#x201E;Sie &#x017F;ollen wi&#x017F;&#x017F;en, wie Alles<lb/>
zu&#x017F;ammenhängt. Der junge Mann, furios in &#x017F;einer<lb/>
Kun&#x017F;t &#x017F;o wie im Leben, verlangte von &#x017F;einer Braut,<lb/>
an der er außer einem hüb&#x017F;chen Wuchs lange keinen<lb/>
Vorzug mochte gekannt haben, daß &#x017F;ie ihm &#x017F;itze, &#x017F;tehe,<lb/>
wie er&#x2019;s als Kün&#x017F;tler brauche. Das Mädchen konnte<lb/>
&#x017F;ich nicht überwinden, es kam zu Verdruß, der bald<lb/>
&#x017F;o ern&#x017F;tlich wurde, daß <hi rendition="#g">Naymund</hi> das &#x017F;törrige Ding<lb/>
gar nicht mehr an&#x017F;ah. So dauert es ein halb Jahr<lb/>
und das Mädchen, &#x017F;on&#x017F;t ein &#x017F;anftes, ver&#x017F;tändiges Ge-<lb/>
&#x017F;chöpf, das ihn unbändig liebt, überdieß armer Leute<lb/>
Kind i&#x017F;t, fängt an im Stillen zu verzweifeln. Ueber-<lb/>
dem bekömmt &#x017F;ie einen vortheilhaften Antrag, &#x017F;ich<lb/>
für&#x2019;s Theater zu bilden, da &#x017F;ie &#x017F;ehr gut &#x017F;ingen &#x017F;oll.<lb/>
Sie &#x017F;chlägt es &#x017F;tandhaft aus, und die&#x017F;e wackere Re-<lb/>
&#x017F;ignation bringt den Trotzkopf von Bräutigam plötzlich<lb/>
auf ganz andere Gedanken von dem Werthe des Mäd-<lb/>
chens, &#x017F;o daß er &#x017F;ie vor etlichen Tagen zum Er&#x017F;ten-<lb/>
mal wieder be&#x017F;uchte. Auf beiden Seiten &#x017F;oll die Freude<lb/>
des Wieder&#x017F;ehens ohne Grenzen gewe&#x017F;en &#x017F;eyn, und<lb/>
gleich in der er&#x017F;ten Viertel&#x017F;tunde, &#x017F;o erzählt er mir,<lb/>
habe &#x017F;ie ihm die Gewährung &#x017F;einer arti&#x017F;ti&#x017F;chen Grille<lb/>
freiwillig zuge&#x017F;agt. Da nun <hi rendition="#g">Raymund</hi> durch &#x017F;ein<lb/>
Zu&#x017F;ammenwohnen mit einem andern Kün&#x017F;tler um ein<lb/>
Lokal verlegen war, &#x017F;o fand er bei mir, der ich ihm<lb/>
auch &#x017F;on&#x017F;t zuweilen nützlich zu &#x017F;eyn &#x017F;uche, gerne den er-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[372/0058] mund, und nicht mit ihm zu ſpaßen.“ Nolten geſtand offenherzig den ſonderbaren Zufall. „Unter uns,“ ſagte der Hofrath, „Sie ſollen wiſſen, wie Alles zuſammenhängt. Der junge Mann, furios in ſeiner Kunſt ſo wie im Leben, verlangte von ſeiner Braut, an der er außer einem hübſchen Wuchs lange keinen Vorzug mochte gekannt haben, daß ſie ihm ſitze, ſtehe, wie er’s als Künſtler brauche. Das Mädchen konnte ſich nicht überwinden, es kam zu Verdruß, der bald ſo ernſtlich wurde, daß Naymund das ſtörrige Ding gar nicht mehr anſah. So dauert es ein halb Jahr und das Mädchen, ſonſt ein ſanftes, verſtändiges Ge- ſchöpf, das ihn unbändig liebt, überdieß armer Leute Kind iſt, fängt an im Stillen zu verzweifeln. Ueber- dem bekömmt ſie einen vortheilhaften Antrag, ſich für’s Theater zu bilden, da ſie ſehr gut ſingen ſoll. Sie ſchlägt es ſtandhaft aus, und dieſe wackere Re- ſignation bringt den Trotzkopf von Bräutigam plötzlich auf ganz andere Gedanken von dem Werthe des Mäd- chens, ſo daß er ſie vor etlichen Tagen zum Erſten- mal wieder beſuchte. Auf beiden Seiten ſoll die Freude des Wiederſehens ohne Grenzen geweſen ſeyn, und gleich in der erſten Viertelſtunde, ſo erzählt er mir, habe ſie ihm die Gewährung ſeiner artiſtiſchen Grille freiwillig zugeſagt. Da nun Raymund durch ſein Zuſammenwohnen mit einem andern Künſtler um ein Lokal verlegen war, ſo fand er bei mir, der ich ihm auch ſonſt zuweilen nützlich zu ſeyn ſuche, gerne den er-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/58
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 372. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/58>, abgerufen am 02.05.2024.