wann und so bald es ihm beliebe, als Eigenthum an seinen Busen schließen zu können, durchschütterte wech- selnd alle Nerven Theobalds. Auf Einmal über- schattete ein unbekanntes Etwas die Seligkeit seines Herzens. Diese zärtlichen Worte Agnesens, wem anders galten sie, als Ihm? und doch will ihm auf Augenblicke dünken, er sey es nicht: ein Luftbild habe sich zwischen ihn und die Schreiberin gedrungen, habe den Geist dieser Worte voraus sich zugeeignet, ihm nur die todten Buchstaben zurücklassend. Ja, wie es nicht selten im Traume begegnet, daß uns eine Per- son bekannt und nicht bekannt, zugleich entfernt und nahe scheint, so sah er die Gestalt des lieben Mäd- chens gleichsam immer einige Schritte vor sich, aber leider nur vom Rücken; der Anblick ihrer Augen, die ihm das treuste Zeugniß geben sollten, war ihm ver- sagt; von allen Seiten sucht er sie zu umgehn, um- sonst, sie weicht ihm aus: ihres eigentlichen Selbsts kann er nicht habhaft werden.
Zu diesen Gefühlen von ängstlicher Halbheit, wo- von ihn, wie er wohl voraussah, nur die unmittel- bare Nähe Agnesens lossprechen konnte, gesellten sich noch Sorgen andrer Art. Das unbegreifliche Ver- hängniß, daß die räthselhafte Person der Zigeunerin auf's Neue die Bahn seines Lebens, und auf so ab- sichtlich gefahrdrohende Weise durchkreuzen mußte, der Gedanke, wie nahe er selbst ihr, ohn' es zu wissen, neuerdings wieder gekommen (denn des Schauspielers
wann und ſo bald es ihm beliebe, als Eigenthum an ſeinen Buſen ſchließen zu können, durchſchütterte wech- ſelnd alle Nerven Theobalds. Auf Einmal über- ſchattete ein unbekanntes Etwas die Seligkeit ſeines Herzens. Dieſe zärtlichen Worte Agneſens, wem anders galten ſie, als Ihm? und doch will ihm auf Augenblicke dünken, er ſey es nicht: ein Luftbild habe ſich zwiſchen ihn und die Schreiberin gedrungen, habe den Geiſt dieſer Worte voraus ſich zugeeignet, ihm nur die todten Buchſtaben zurücklaſſend. Ja, wie es nicht ſelten im Traume begegnet, daß uns eine Per- ſon bekannt und nicht bekannt, zugleich entfernt und nahe ſcheint, ſo ſah er die Geſtalt des lieben Mäd- chens gleichſam immer einige Schritte vor ſich, aber leider nur vom Rücken; der Anblick ihrer Augen, die ihm das treuſte Zeugniß geben ſollten, war ihm ver- ſagt; von allen Seiten ſucht er ſie zu umgehn, um- ſonſt, ſie weicht ihm aus: ihres eigentlichen Selbſts kann er nicht habhaft werden.
Zu dieſen Gefühlen von ängſtlicher Halbheit, wo- von ihn, wie er wohl vorausſah, nur die unmittel- bare Nähe Agneſens losſprechen konnte, geſellten ſich noch Sorgen andrer Art. Das unbegreifliche Ver- hängniß, daß die räthſelhafte Perſon der Zigeunerin auf’s Neue die Bahn ſeines Lebens, und auf ſo ab- ſichtlich gefahrdrohende Weiſe durchkreuzen mußte, der Gedanke, wie nahe er ſelbſt ihr, ohn’ es zu wiſſen, neuerdings wieder gekommen (denn des Schauſpielers
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wann und ſo bald es ihm beliebe, als Eigenthum an
ſeinen Buſen ſchließen zu können, durchſchütterte wech-
ſelnd alle Nerven Theobalds. Auf Einmal über-
ſchattete ein unbekanntes Etwas die Seligkeit ſeines
Herzens. Dieſe zärtlichen Worte Agneſens, wem
anders galten ſie, als Ihm? und doch will ihm auf
Augenblicke dünken, er ſey es nicht: ein Luftbild habe
ſich zwiſchen ihn und die Schreiberin gedrungen, habe
den Geiſt dieſer Worte voraus ſich zugeeignet, ihm
nur die todten Buchſtaben zurücklaſſend. Ja, wie es
nicht ſelten im Traume begegnet, daß uns eine Per-
ſon bekannt und nicht bekannt, zugleich entfernt und
nahe ſcheint, ſo ſah er die Geſtalt des lieben Mäd-
chens gleichſam immer einige Schritte vor ſich, aber
leider nur vom Rücken; der Anblick ihrer Augen, die
ihm das treuſte Zeugniß geben ſollten, war ihm ver-
ſagt; von allen Seiten ſucht er ſie zu umgehn, um-
ſonſt, ſie weicht ihm aus: ihres eigentlichen Selbſts
kann er nicht habhaft werden.
Zu dieſen Gefühlen von ängſtlicher Halbheit, wo-
von ihn, wie er wohl vorausſah, nur die unmittel-
bare Nähe Agneſens losſprechen konnte, geſellten
ſich noch Sorgen andrer Art. Das unbegreifliche Ver-
hängniß, daß die räthſelhafte Perſon der Zigeunerin
auf’s Neue die Bahn ſeines Lebens, und auf ſo ab-
ſichtlich gefahrdrohende Weiſe durchkreuzen mußte, der
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/51>, abgerufen am 24.11.2024.
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