Bank, wo der Liebste bei ihr sitzen soll. Wirst Du bald kommen? wirst Du nicht? -- Wag' es sie zu betrügen! Den hellen süßen Sommertag dieser schuld- losen Seele mit Einem verzweifelten Streiche hinzu- stürzen in eine dumpfe Nacht, wehe! das wimmernde Geschöpf! Thu's, und erlebe, daß ich in wenig Mon- den, ein einsamer Wallfahrer, auf des Mädchens Grab- hügel die kraftlose Posse, das Nichts unsrer Freund- schaft, und die zerschlagene Hoffnung beweine, daß mein elendes Leben, kurz eh ich's ende, doch wenig- stens noch so viel nutz seyn möchte, zwei gute Men- schen glücklich zu machen."
Wer war unglücklicher als der Maler? und wer hätte glücklicher seyn können als er, wäre er sogleich fähig gewesen, seinem Geiste nur so viel Schwung zu geben, als nöthig, um einigermaßen sich über die Um- stände, deren Forderungen ihm furchtbar über das Haupt hinaus wuchsen, zu erheben und eine klare Uebersicht seiner Lage zu erhalten. Doch dazu hatte er noch weit. In einer ihm selbst verwundersamen, traumähnlichen Gleichgültigkeit ritt er bald langsam, bald hitzig einen einsamen Feldweg, und statt daß er, wie er einige Mal versuchte, wenigstens die Punkte, worauf es ankam, hätte nach der Reihe durchdenken können, sah er sich, wie eigen! immer nur von einer monotonen, lächerlichen Melodie verfolgt, womit ihm irgend ein Kobold zur höchsten Unzeit neckisch in den
Bank, wo der Liebſte bei ihr ſitzen ſoll. Wirſt Du bald kommen? wirſt Du nicht? — Wag’ es ſie zu betrügen! Den hellen ſüßen Sommertag dieſer ſchuld- loſen Seele mit Einem verzweifelten Streiche hinzu- ſtürzen in eine dumpfe Nacht, wehe! das wimmernde Geſchöpf! Thu’s, und erlebe, daß ich in wenig Mon- den, ein einſamer Wallfahrer, auf des Mädchens Grab- hügel die kraftloſe Poſſe, das Nichts unſrer Freund- ſchaft, und die zerſchlagene Hoffnung beweine, daß mein elendes Leben, kurz eh ich’s ende, doch wenig- ſtens noch ſo viel nutz ſeyn möchte, zwei gute Men- ſchen glücklich zu machen.“
Wer war unglücklicher als der Maler? und wer hätte glücklicher ſeyn können als er, wäre er ſogleich fähig geweſen, ſeinem Geiſte nur ſo viel Schwung zu geben, als nöthig, um einigermaßen ſich über die Um- ſtände, deren Forderungen ihm furchtbar über das Haupt hinaus wuchſen, zu erheben und eine klare Ueberſicht ſeiner Lage zu erhalten. Doch dazu hatte er noch weit. In einer ihm ſelbſt verwunderſamen, traumähnlichen Gleichgültigkeit ritt er bald langſam, bald hitzig einen einſamen Feldweg, und ſtatt daß er, wie er einige Mal verſuchte, wenigſtens die Punkte, worauf es ankam, hätte nach der Reihe durchdenken können, ſah er ſich, wie eigen! immer nur von einer monotonen, lächerlichen Melodie verfolgt, womit ihm irgend ein Kobold zur höchſten Unzeit neckiſch in den
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0043"n="357"/>
Bank, wo der Liebſte bei ihr ſitzen ſoll. Wirſt Du<lb/>
bald kommen? wirſt Du nicht? — Wag’ es ſie zu<lb/>
betrügen! Den hellen ſüßen Sommertag dieſer ſchuld-<lb/>
loſen Seele mit Einem verzweifelten Streiche hinzu-<lb/>ſtürzen in eine dumpfe Nacht, wehe! das wimmernde<lb/>
Geſchöpf! Thu’s, und erlebe, daß ich in wenig Mon-<lb/>
den, ein einſamer Wallfahrer, auf des Mädchens Grab-<lb/>
hügel die kraftloſe Poſſe, das Nichts unſrer Freund-<lb/>ſchaft, und die zerſchlagene Hoffnung beweine, daß<lb/>
mein elendes Leben, kurz eh ich’s ende, doch wenig-<lb/>ſtens noch ſo viel nutz ſeyn möchte, zwei gute Men-<lb/>ſchen glücklich zu machen.“</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="2"><head/><p>Wer war unglücklicher als der Maler? und wer<lb/>
hätte glücklicher ſeyn können als er, wäre er ſogleich<lb/>
fähig geweſen, ſeinem Geiſte nur ſo viel Schwung zu<lb/>
geben, als nöthig, um einigermaßen ſich über die Um-<lb/>ſtände, deren Forderungen ihm furchtbar über das<lb/>
Haupt hinaus wuchſen, zu erheben und eine klare<lb/>
Ueberſicht ſeiner Lage zu erhalten. Doch dazu hatte<lb/>
er noch weit. In einer ihm ſelbſt verwunderſamen,<lb/>
traumähnlichen Gleichgültigkeit ritt er bald langſam,<lb/>
bald hitzig einen einſamen Feldweg, und ſtatt daß er,<lb/>
wie er einige Mal verſuchte, wenigſtens die Punkte,<lb/>
worauf es ankam, hätte nach der Reihe durchdenken<lb/>
können, ſah er ſich, wie eigen! immer nur von einer<lb/>
monotonen, lächerlichen Melodie verfolgt, womit ihm<lb/>
irgend ein Kobold zur höchſten Unzeit neckiſch in den<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[357/0043]
Bank, wo der Liebſte bei ihr ſitzen ſoll. Wirſt Du
bald kommen? wirſt Du nicht? — Wag’ es ſie zu
betrügen! Den hellen ſüßen Sommertag dieſer ſchuld-
loſen Seele mit Einem verzweifelten Streiche hinzu-
ſtürzen in eine dumpfe Nacht, wehe! das wimmernde
Geſchöpf! Thu’s, und erlebe, daß ich in wenig Mon-
den, ein einſamer Wallfahrer, auf des Mädchens Grab-
hügel die kraftloſe Poſſe, das Nichts unſrer Freund-
ſchaft, und die zerſchlagene Hoffnung beweine, daß
mein elendes Leben, kurz eh ich’s ende, doch wenig-
ſtens noch ſo viel nutz ſeyn möchte, zwei gute Men-
ſchen glücklich zu machen.“
Wer war unglücklicher als der Maler? und wer
hätte glücklicher ſeyn können als er, wäre er ſogleich
fähig geweſen, ſeinem Geiſte nur ſo viel Schwung zu
geben, als nöthig, um einigermaßen ſich über die Um-
ſtände, deren Forderungen ihm furchtbar über das
Haupt hinaus wuchſen, zu erheben und eine klare
Ueberſicht ſeiner Lage zu erhalten. Doch dazu hatte
er noch weit. In einer ihm ſelbſt verwunderſamen,
traumähnlichen Gleichgültigkeit ritt er bald langſam,
bald hitzig einen einſamen Feldweg, und ſtatt daß er,
wie er einige Mal verſuchte, wenigſtens die Punkte,
worauf es ankam, hätte nach der Reihe durchdenken
können, ſah er ſich, wie eigen! immer nur von einer
monotonen, lächerlichen Melodie verfolgt, womit ihm
irgend ein Kobold zur höchſten Unzeit neckiſch in den
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/43>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.