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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

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den Andern -- es wird nicht allzu lange mehr so
dauern, denn es ist gottvergessen und die Engel im
Himmel erbarmt's, wie ihr ein krankes Mädchen quält!"

Die Schwägerin kam und sezte sich zu ihr, sie
beteten; so ward sie ruhiger.

"Nicht wahr?" sprach sie nachher, "ein selig Ende,
das ist's doch, was sich zulezt ein Jeder wünscht; ei-
nen leichten Tod, recht sanft, nur so wie eines Kna-
ben Knie sich beugt; wie komm' ich zu dem Ausdruck?
ich denke an den Henni; mit diesem müßte sich gut
sterben lassen."

In diesem Ton sprach sie eine Weile fort, ver-
gaß sich nach und nach, ward munterer, endlich gar
scherzhaft, und zwar so, daß Nannetten dieser
Sprung mißfiel. Agnes bemerkte es, schien wirklich
durch sich selbst überrascht und beschämt, und sie ent-
schuldigte alsbald ihr Benehmen auf eine Art, welche
genugsam zeigt, wie klar sie sich auf Augenblicke war:
"Siehst du," sagte sie mit dem holdesten Lächeln der
Wehmuth, "ich bin nur eben wie das Schiff, das leck
an einer Sandbank hängt und dem nicht mehr zu
helfen ist; das mag nun wohl sehr kläglich seyn, was
kann aber das arme Schiff dafür, wenn mittlerweile
noch die rothen Wimpel oben ihr Schelmenspiel im
Wind forttreiben, als wäre nichts geschehn? Laß ge-
hen wie es gehen kann. Wenn erst Gras auf mir
wächst, hat's damit auch ein Ende."


den Andern — es wird nicht allzu lange mehr ſo
dauern, denn es iſt gottvergeſſen und die Engel im
Himmel erbarmt’s, wie ihr ein krankes Mädchen quält!“

Die Schwägerin kam und ſezte ſich zu ihr, ſie
beteten; ſo ward ſie ruhiger.

„Nicht wahr?“ ſprach ſie nachher, „ein ſelig Ende,
das iſt’s doch, was ſich zulezt ein Jeder wünſcht; ei-
nen leichten Tod, recht ſanft, nur ſo wie eines Kna-
ben Knie ſich beugt; wie komm’ ich zu dem Ausdruck?
ich denke an den Henni; mit dieſem müßte ſich gut
ſterben laſſen.“

In dieſem Ton ſprach ſie eine Weile fort, ver-
gaß ſich nach und nach, ward munterer, endlich gar
ſcherzhaft, und zwar ſo, daß Nannetten dieſer
Sprung mißfiel. Agnes bemerkte es, ſchien wirklich
durch ſich ſelbſt überraſcht und beſchämt, und ſie ent-
ſchuldigte alsbald ihr Benehmen auf eine Art, welche
genugſam zeigt, wie klar ſie ſich auf Augenblicke war:
„Siehſt du,“ ſagte ſie mit dem holdeſten Lächeln der
Wehmuth, „ich bin nur eben wie das Schiff, das leck
an einer Sandbank hängt und dem nicht mehr zu
helfen iſt; das mag nun wohl ſehr kläglich ſeyn, was
kann aber das arme Schiff dafür, wenn mittlerweile
noch die rothen Wimpel oben ihr Schelmenſpiel im
Wind forttreiben, als wäre nichts geſchehn? Laß ge-
hen wie es gehen kann. Wenn erſt Gras auf mir
wächst, hat’s damit auch ein Ende.“


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[615/0301] den Andern — es wird nicht allzu lange mehr ſo dauern, denn es iſt gottvergeſſen und die Engel im Himmel erbarmt’s, wie ihr ein krankes Mädchen quält!“ Die Schwägerin kam und ſezte ſich zu ihr, ſie beteten; ſo ward ſie ruhiger. „Nicht wahr?“ ſprach ſie nachher, „ein ſelig Ende, das iſt’s doch, was ſich zulezt ein Jeder wünſcht; ei- nen leichten Tod, recht ſanft, nur ſo wie eines Kna- ben Knie ſich beugt; wie komm’ ich zu dem Ausdruck? ich denke an den Henni; mit dieſem müßte ſich gut ſterben laſſen.“ In dieſem Ton ſprach ſie eine Weile fort, ver- gaß ſich nach und nach, ward munterer, endlich gar ſcherzhaft, und zwar ſo, daß Nannetten dieſer Sprung mißfiel. Agnes bemerkte es, ſchien wirklich durch ſich ſelbſt überraſcht und beſchämt, und ſie ent- ſchuldigte alsbald ihr Benehmen auf eine Art, welche genugſam zeigt, wie klar ſie ſich auf Augenblicke war: „Siehſt du,“ ſagte ſie mit dem holdeſten Lächeln der Wehmuth, „ich bin nur eben wie das Schiff, das leck an einer Sandbank hängt und dem nicht mehr zu helfen iſt; das mag nun wohl ſehr kläglich ſeyn, was kann aber das arme Schiff dafür, wenn mittlerweile noch die rothen Wimpel oben ihr Schelmenſpiel im Wind forttreiben, als wäre nichts geſchehn? Laß ge- hen wie es gehen kann. Wenn erſt Gras auf mir wächst, hat’s damit auch ein Ende.“

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 615. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/301>, abgerufen am 04.05.2024.