genen Rosen noch eine Menge Knospen zeigte. Gerne hätte er ihn mitgenommen, allein er glaubte ihn dem heiligen Orte, wo er zuvor gestanden, wieder einver- leiben zu müssen. Unter lautem Preise der göttlichen Allmacht kehrte er, wie ein verwandelter Mensch, in's väterliche Haus zurück. Dort empfängt ihn zugleich eine Freuden- und Trauerbotschaft: der alte Graf war gestorben, auf dem Todtenbett hatte er sich, durch die Belehrung seiner Tochter gewonnen, zum Christenthum bekannt und seine Härte aufrichtig bereut. Alexis und Belsore wurden zum glücklichsten Paare ver- bunden. Ihr Erstes hierauf war, daß sie mit einan- der eine Wallfahrt an den Wunderquell machten und denselben in einen schöngemauerten Brunn fassen ließen. Viele Jahrhunderte lang soll es ein Gebrauch gewe- sen seyn, daß weit aus der Umgegend die Brautleute vor der Hochzeit hieherreis'ten, um einen gesegneten Trunk von diesem klaren Wasser zu thun, welches der Rosen-Trunk geheißen; gewöhnlich reichte ihn ein Pa- ter Einsiedler, der hier in dem Walde gewohnt. Das ist nun freilich abgegangen, doch sagen die Leute, die Schäfer und Feldhüter, daß noch jezt in der Charfrei- tag- und Christnacht das rosenfarbene Leuchten auf dem Grunde des Brunnens zu sehen sey."
Agnes betrachtete einen vorstehenden Mauerstein, worauf noch ziemlich deutlich drei ausgehauene Rosen und ein Kreuz zu bemerken waren. Henni leitete aus der Geschichte mehrere Lehren für seine arme
genen Roſen noch eine Menge Knoſpen zeigte. Gerne hätte er ihn mitgenommen, allein er glaubte ihn dem heiligen Orte, wo er zuvor geſtanden, wieder einver- leiben zu müſſen. Unter lautem Preiſe der göttlichen Allmacht kehrte er, wie ein verwandelter Menſch, in’s väterliche Haus zurück. Dort empfängt ihn zugleich eine Freuden- und Trauerbotſchaft: der alte Graf war geſtorben, auf dem Todtenbett hatte er ſich, durch die Belehrung ſeiner Tochter gewonnen, zum Chriſtenthum bekannt und ſeine Härte aufrichtig bereut. Alexis und Belſore wurden zum glücklichſten Paare ver- bunden. Ihr Erſtes hierauf war, daß ſie mit einan- der eine Wallfahrt an den Wunderquell machten und denſelben in einen ſchöngemauerten Brunn faſſen ließen. Viele Jahrhunderte lang ſoll es ein Gebrauch gewe- ſen ſeyn, daß weit aus der Umgegend die Brautleute vor der Hochzeit hieherreiſ’ten, um einen geſegneten Trunk von dieſem klaren Waſſer zu thun, welches der Roſen-Trunk geheißen; gewöhnlich reichte ihn ein Pa- ter Einſiedler, der hier in dem Walde gewohnt. Das iſt nun freilich abgegangen, doch ſagen die Leute, die Schäfer und Feldhüter, daß noch jezt in der Charfrei- tag- und Chriſtnacht das roſenfarbene Leuchten auf dem Grunde des Brunnens zu ſehen ſey.“
Agnes betrachtete einen vorſtehenden Mauerſtein, worauf noch ziemlich deutlich drei ausgehauene Roſen und ein Kreuz zu bemerken waren. Henni leitete aus der Geſchichte mehrere Lehren für ſeine arme
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0297"n="611"/>
genen Roſen noch eine Menge Knoſpen zeigte. Gerne<lb/>
hätte er ihn mitgenommen, allein er glaubte ihn dem<lb/>
heiligen Orte, wo er zuvor geſtanden, wieder einver-<lb/>
leiben zu müſſen. Unter lautem Preiſe der göttlichen<lb/>
Allmacht kehrte er, wie ein verwandelter Menſch, in’s<lb/>
väterliche Haus zurück. Dort empfängt ihn zugleich<lb/>
eine Freuden- und Trauerbotſchaft: der alte Graf war<lb/>
geſtorben, auf dem Todtenbett hatte er ſich, durch die<lb/>
Belehrung ſeiner Tochter gewonnen, zum Chriſtenthum<lb/>
bekannt und ſeine Härte aufrichtig bereut. <hirendition="#g">Alexis</hi><lb/>
und <hirendition="#g">Belſore</hi> wurden zum glücklichſten Paare ver-<lb/>
bunden. Ihr Erſtes hierauf war, daß ſie mit einan-<lb/>
der eine Wallfahrt an den Wunderquell machten und<lb/>
denſelben in einen ſchöngemauerten Brunn faſſen ließen.<lb/>
Viele Jahrhunderte lang ſoll es ein Gebrauch gewe-<lb/>ſen ſeyn, daß weit aus der Umgegend die Brautleute<lb/>
vor der Hochzeit hieherreiſ’ten, um einen geſegneten<lb/>
Trunk von dieſem klaren Waſſer zu thun, welches der<lb/>
Roſen-Trunk geheißen; gewöhnlich reichte ihn ein Pa-<lb/>
ter Einſiedler, der hier in dem Walde gewohnt. Das<lb/>
iſt nun freilich abgegangen, doch ſagen die Leute, die<lb/>
Schäfer und Feldhüter, daß noch jezt in der Charfrei-<lb/>
tag- und Chriſtnacht das roſenfarbene Leuchten auf<lb/>
dem Grunde des Brunnens zu ſehen ſey.“</p><lb/><p><hirendition="#g">Agnes</hi> betrachtete einen vorſtehenden Mauerſtein,<lb/>
worauf noch ziemlich deutlich drei ausgehauene Roſen<lb/>
und ein Kreuz zu bemerken waren. <hirendition="#g">Henni</hi> leitete<lb/>
aus der Geſchichte mehrere Lehren für ſeine arme<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[611/0297]
genen Roſen noch eine Menge Knoſpen zeigte. Gerne
hätte er ihn mitgenommen, allein er glaubte ihn dem
heiligen Orte, wo er zuvor geſtanden, wieder einver-
leiben zu müſſen. Unter lautem Preiſe der göttlichen
Allmacht kehrte er, wie ein verwandelter Menſch, in’s
väterliche Haus zurück. Dort empfängt ihn zugleich
eine Freuden- und Trauerbotſchaft: der alte Graf war
geſtorben, auf dem Todtenbett hatte er ſich, durch die
Belehrung ſeiner Tochter gewonnen, zum Chriſtenthum
bekannt und ſeine Härte aufrichtig bereut. Alexis
und Belſore wurden zum glücklichſten Paare ver-
bunden. Ihr Erſtes hierauf war, daß ſie mit einan-
der eine Wallfahrt an den Wunderquell machten und
denſelben in einen ſchöngemauerten Brunn faſſen ließen.
Viele Jahrhunderte lang ſoll es ein Gebrauch gewe-
ſen ſeyn, daß weit aus der Umgegend die Brautleute
vor der Hochzeit hieherreiſ’ten, um einen geſegneten
Trunk von dieſem klaren Waſſer zu thun, welches der
Roſen-Trunk geheißen; gewöhnlich reichte ihn ein Pa-
ter Einſiedler, der hier in dem Walde gewohnt. Das
iſt nun freilich abgegangen, doch ſagen die Leute, die
Schäfer und Feldhüter, daß noch jezt in der Charfrei-
tag- und Chriſtnacht das roſenfarbene Leuchten auf
dem Grunde des Brunnens zu ſehen ſey.“
Agnes betrachtete einen vorſtehenden Mauerſtein,
worauf noch ziemlich deutlich drei ausgehauene Roſen
und ein Kreuz zu bemerken waren. Henni leitete
aus der Geſchichte mehrere Lehren für ſeine arme
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 611. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/297>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.