sie ihr Kleid hüben und drüben mit spitzen Fingern faßte und sich mit Gesang begleitete. "Könntest du du nur sehn," rief sie ihm zu "wie hübsch ich's mache! fürwahr solche Füßchen sicht man nicht leicht. Vögel von allen Arten und Farben kommen auf die äußer- sten Baumzweige vor und schau'n mir gar naseweis zu." Sie lachte boshaft und sagte: "Ich rede das eigentlich nur, weil du mir immer Eitelkeit vorwirfst, ich kann dein Predigen nicht leiden. Warte doch, du mußt noch ein bischen Eigenlob hören. Aber ich will einen Andern für mich sprechen lassen." Sie zog einen Brief des Schauspielers aus dem Gürtel und las:
""Oft kann ich mir aber mit aller Anstren- gung dein Bild nicht vorstellen, ich meine, die Züge deines Gesichts, wenn sie mir einzeln auch deutlich genug vorschweben, kann ich nicht so recht zusammen- bringen. Dann wieder in andern Augenblicken bist du mir so nahe, so greifbar gegenwärtig mit jeder Bewegung! sogar deine Stimme, das Lachen beson- ders, dringt mir dann so hell und natürlich an's Ohr. Dein Lachen! Warum eben das? Nun ja! behaupten doch auch die Poeten, es gebe nichts Lieblichers von Melodie, als so ein herzliches Mädchengekicher. Ein Gleichniß, liebes Kind. In meiner Jugend, weißt du, hatt' ich immer sehr viel von zarten Elfen zu erzählen. Dieselben pflegen sich bei Nacht mit allerlei lieblichen Dingen, und unter Anderm auch mit einem kleinen Kegelspiel die Zeit zu verkürzen. Dieß Spiel-
ſie ihr Kleid hüben und drüben mit ſpitzen Fingern faßte und ſich mit Geſang begleitete. „Könnteſt du du nur ſehn,“ rief ſie ihm zu „wie hübſch ich’s mache! fürwahr ſolche Füßchen ſicht man nicht leicht. Vögel von allen Arten und Farben kommen auf die äußer- ſten Baumzweige vor und ſchau’n mir gar naſeweis zu.“ Sie lachte boshaft und ſagte: „Ich rede das eigentlich nur, weil du mir immer Eitelkeit vorwirfſt, ich kann dein Predigen nicht leiden. Warte doch, du mußt noch ein bischen Eigenlob hören. Aber ich will einen Andern für mich ſprechen laſſen.“ Sie zog einen Brief des Schauſpielers aus dem Gürtel und las:
„„Oft kann ich mir aber mit aller Anſtren- gung dein Bild nicht vorſtellen, ich meine, die Züge deines Geſichts, wenn ſie mir einzeln auch deutlich genug vorſchweben, kann ich nicht ſo recht zuſammen- bringen. Dann wieder in andern Augenblicken biſt du mir ſo nahe, ſo greifbar gegenwärtig mit jeder Bewegung! ſogar deine Stimme, das Lachen beſon- ders, dringt mir dann ſo hell und natürlich an’s Ohr. Dein Lachen! Warum eben das? Nun ja! behaupten doch auch die Poeten, es gebe nichts Lieblichers von Melodie, als ſo ein herzliches Mädchengekicher. Ein Gleichniß, liebes Kind. In meiner Jugend, weißt du, hatt’ ich immer ſehr viel von zarten Elfen zu erzählen. Dieſelben pflegen ſich bei Nacht mit allerlei lieblichen Dingen, und unter Anderm auch mit einem kleinen Kegelſpiel die Zeit zu verkürzen. Dieß Spiel-
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ſie ihr Kleid hüben und drüben mit ſpitzen Fingern
faßte und ſich mit Geſang begleitete. „Könnteſt du
du nur ſehn,“ rief ſie ihm zu „wie hübſch ich’s mache!
fürwahr ſolche Füßchen ſicht man nicht leicht. Vögel
von allen Arten und Farben kommen auf die äußer-
ſten Baumzweige vor und ſchau’n mir gar naſeweis
zu.“ Sie lachte boshaft und ſagte: „Ich rede das
eigentlich nur, weil du mir immer Eitelkeit vorwirfſt,
ich kann dein Predigen nicht leiden. Warte doch,
du mußt noch ein bischen Eigenlob hören. Aber ich
will einen Andern für mich ſprechen laſſen.“ Sie
zog einen Brief des Schauſpielers aus dem Gürtel
und las:
„„Oft kann ich mir aber mit aller Anſtren-
gung dein Bild nicht vorſtellen, ich meine, die Züge
deines Geſichts, wenn ſie mir einzeln auch deutlich
genug vorſchweben, kann ich nicht ſo recht zuſammen-
bringen. Dann wieder in andern Augenblicken biſt
du mir ſo nahe, ſo greifbar gegenwärtig mit jeder
Bewegung! ſogar deine Stimme, das Lachen beſon-
ders, dringt mir dann ſo hell und natürlich an’s Ohr.
Dein Lachen! Warum eben das? Nun ja! behaupten
doch auch die Poeten, es gebe nichts Lieblichers von
Melodie, als ſo ein herzliches Mädchengekicher. Ein
Gleichniß, liebes Kind. In meiner Jugend, weißt
du, hatt’ ich immer ſehr viel von zarten Elfen zu
erzählen. Dieſelben pflegen ſich bei Nacht mit allerlei
lieblichen Dingen, und unter Anderm auch mit einem
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 595. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/281>, abgerufen am 25.11.2024.
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