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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

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den Akazienbäumen vor dem Gewächshaus. Sie las
aus dem Neuen Testamente vor. Auf Einmal hält
sie inne und fragt: "Weißt du auch, warum Theo-
bald
, mein Liebster, ein Schauspieler geworden ist?
Ich will dir's anvertraun, aber sag' es Niemand,
besonders nicht Margot, der Schmeichelkatze, sie
plaudert's dem Falschen, dem Heideläufer. Vor dem
muß mein Schatz sich eben verbergen. Drum nimmt
er verschiedene Trachten an, ich sage dir, alle Tage
eine andere Gestalt, damit ihn der Läufer nicht nach-
machen kann und nicht weiß, welches von allen die
rechte ist. Vor ein paar Jahren kam Nolten in
den Vetter Otto verkleidet zu mir; ich kannte ihn
nicht und hab' ihn arg betrübt. Das kann ich mir
in Ewigkeit nicht vergeben. Aber wer soll auch die
Komödianten ganz auslernen! Die können eben Alles.
Sie sind dir im Stande und stellen sich todt, völlig
todt. Unter uns, mein Schatz that es auch, um dem
Lügner für immer das Handwerk niederzulegen. Ich
war bei der Leiche damals in der Stadt. Ich sage dir --
verstehst du, dir allein Henni! -- der leere Sarg liegt
in der Grube, nur ein paar lumpige Kleiderfetzen drin!"

Sie verfiel einige Sekunden in Nachdenken und
klatschte dann fröhlich in die Hände: "O Henni!
süßer Junge! in sechs Wochen kommt mein Bräuti-
gam und nimmt mich mit und wir haben gleich Hoch-
zeit." Sie stand auf und fing an, auf dem freien
Platz vor Henni auf's Niedlichste zu tanzen, indem

den Akazienbäumen vor dem Gewächshaus. Sie las
aus dem Neuen Teſtamente vor. Auf Einmal hält
ſie inne und fragt: „Weißt du auch, warum Theo-
bald
, mein Liebſter, ein Schauſpieler geworden iſt?
Ich will dir’s anvertraun, aber ſag’ es Niemand,
beſonders nicht Margot, der Schmeichelkatze, ſie
plaudert’s dem Falſchen, dem Heideläufer. Vor dem
muß mein Schatz ſich eben verbergen. Drum nimmt
er verſchiedene Trachten an, ich ſage dir, alle Tage
eine andere Geſtalt, damit ihn der Läufer nicht nach-
machen kann und nicht weiß, welches von allen die
rechte iſt. Vor ein paar Jahren kam Nolten in
den Vetter Otto verkleidet zu mir; ich kannte ihn
nicht und hab’ ihn arg betrübt. Das kann ich mir
in Ewigkeit nicht vergeben. Aber wer ſoll auch die
Komödianten ganz auslernen! Die können eben Alles.
Sie ſind dir im Stande und ſtellen ſich todt, völlig
todt. Unter uns, mein Schatz that es auch, um dem
Lügner für immer das Handwerk niederzulegen. Ich
war bei der Leiche damals in der Stadt. Ich ſage dir —
verſtehſt du, dir allein Henni! — der leere Sarg liegt
in der Grube, nur ein paar lumpige Kleiderfetzen drin!“

Sie verfiel einige Sekunden in Nachdenken und
klatſchte dann fröhlich in die Hände: „O Henni!
ſüßer Junge! in ſechs Wochen kommt mein Bräuti-
gam und nimmt mich mit und wir haben gleich Hoch-
zeit.“ Sie ſtand auf und fing an, auf dem freien
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[594/0280] den Akazienbäumen vor dem Gewächshaus. Sie las aus dem Neuen Teſtamente vor. Auf Einmal hält ſie inne und fragt: „Weißt du auch, warum Theo- bald, mein Liebſter, ein Schauſpieler geworden iſt? Ich will dir’s anvertraun, aber ſag’ es Niemand, beſonders nicht Margot, der Schmeichelkatze, ſie plaudert’s dem Falſchen, dem Heideläufer. Vor dem muß mein Schatz ſich eben verbergen. Drum nimmt er verſchiedene Trachten an, ich ſage dir, alle Tage eine andere Geſtalt, damit ihn der Läufer nicht nach- machen kann und nicht weiß, welches von allen die rechte iſt. Vor ein paar Jahren kam Nolten in den Vetter Otto verkleidet zu mir; ich kannte ihn nicht und hab’ ihn arg betrübt. Das kann ich mir in Ewigkeit nicht vergeben. Aber wer ſoll auch die Komödianten ganz auslernen! Die können eben Alles. Sie ſind dir im Stande und ſtellen ſich todt, völlig todt. Unter uns, mein Schatz that es auch, um dem Lügner für immer das Handwerk niederzulegen. Ich war bei der Leiche damals in der Stadt. Ich ſage dir — verſtehſt du, dir allein Henni! — der leere Sarg liegt in der Grube, nur ein paar lumpige Kleiderfetzen drin!“ Sie verfiel einige Sekunden in Nachdenken und klatſchte dann fröhlich in die Hände: „O Henni! ſüßer Junge! in ſechs Wochen kommt mein Bräuti- gam und nimmt mich mit und wir haben gleich Hoch- zeit.“ Sie ſtand auf und fing an, auf dem freien Platz vor Henni auf’s Niedlichſte zu tanzen, indem

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 594. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/280>, abgerufen am 25.11.2024.