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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

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dadurch zeigen, daß wir nicht glauben, einen Mann,
denn dafür hielt ich Sie bis jezt, vor sich selber hü-
ten zu müssen."

So stand nun der Maler allein in dem Saale.
Es war der schrecklichste Moment seines Lebens.

Wenn uns ganz unerwartet im ausgelassensten
Jammer ein beschämender Vorwurf aus verehrtem
Munde trifft, so ist dieß immerhin die grausamste
Abkühlung, die wir erfahren können. Es wird auf
Einmal todtenstill in dir, du siehst dann deinen eige-
nen Schmerz, dem Raubvogel gleich, den in der kühn-
sten Höhe ein Blitz berührt hat, langsam aus der
Luft herunterfallen und halbtodt zu deinen Füßen
zucken.

Der Maler hatte sich auf einen Sitz geworfen.
Er sah mit kalter Selbstbetrachtung geruhig auf den
Grund seines Innern herab, wie man oft lange dem
Rinnen einer Sanduhr zusehn kann, wo Korn an
Korn sich unablässig legt und schiebt und fällt. Er
bröckelte spielend seine Gedanken, der Reihe nach,
auseinander und lächelte zu diesem Spiel. Dazwischen
quoll es ihm, ein über's andre Mal, ganz wohl und
leicht um's Herz, als entfalte so eben ein Engel der
Freuden nur sachte, ganz sachte die goldnen Schwin-
gen über ihm, um dann leibhaftig vor ihn hinzu-
treten!

Erschrocken schaut er auf, ihm däucht, es komme
Jemand, wie auf Socken, durch die drei offen in

dadurch zeigen, daß wir nicht glauben, einen Mann,
denn dafür hielt ich Sie bis jezt, vor ſich ſelber hü-
ten zu müſſen.“

So ſtand nun der Maler allein in dem Saale.
Es war der ſchrecklichſte Moment ſeines Lebens.

Wenn uns ganz unerwartet im ausgelaſſenſten
Jammer ein beſchämender Vorwurf aus verehrtem
Munde trifft, ſo iſt dieß immerhin die grauſamſte
Abkühlung, die wir erfahren können. Es wird auf
Einmal todtenſtill in dir, du ſiehſt dann deinen eige-
nen Schmerz, dem Raubvogel gleich, den in der kühn-
ſten Höhe ein Blitz berührt hat, langſam aus der
Luft herunterfallen und halbtodt zu deinen Füßen
zucken.

Der Maler hatte ſich auf einen Sitz geworfen.
Er ſah mit kalter Selbſtbetrachtung geruhig auf den
Grund ſeines Innern herab, wie man oft lange dem
Rinnen einer Sanduhr zuſehn kann, wo Korn an
Korn ſich unabläſſig legt und ſchiebt und fällt. Er
bröckelte ſpielend ſeine Gedanken, der Reihe nach,
auseinander und lächelte zu dieſem Spiel. Dazwiſchen
quoll es ihm, ein über’s andre Mal, ganz wohl und
leicht um’s Herz, als entfalte ſo eben ein Engel der
Freuden nur ſachte, ganz ſachte die goldnen Schwin-
gen über ihm, um dann leibhaftig vor ihn hinzu-
treten!

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Jemand, wie auf Socken, durch die drei offen in

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[589/0275] dadurch zeigen, daß wir nicht glauben, einen Mann, denn dafür hielt ich Sie bis jezt, vor ſich ſelber hü- ten zu müſſen.“ So ſtand nun der Maler allein in dem Saale. Es war der ſchrecklichſte Moment ſeines Lebens. Wenn uns ganz unerwartet im ausgelaſſenſten Jammer ein beſchämender Vorwurf aus verehrtem Munde trifft, ſo iſt dieß immerhin die grauſamſte Abkühlung, die wir erfahren können. Es wird auf Einmal todtenſtill in dir, du ſiehſt dann deinen eige- nen Schmerz, dem Raubvogel gleich, den in der kühn- ſten Höhe ein Blitz berührt hat, langſam aus der Luft herunterfallen und halbtodt zu deinen Füßen zucken. Der Maler hatte ſich auf einen Sitz geworfen. Er ſah mit kalter Selbſtbetrachtung geruhig auf den Grund ſeines Innern herab, wie man oft lange dem Rinnen einer Sanduhr zuſehn kann, wo Korn an Korn ſich unabläſſig legt und ſchiebt und fällt. Er bröckelte ſpielend ſeine Gedanken, der Reihe nach, auseinander und lächelte zu dieſem Spiel. Dazwiſchen quoll es ihm, ein über’s andre Mal, ganz wohl und leicht um’s Herz, als entfalte ſo eben ein Engel der Freuden nur ſachte, ganz ſachte die goldnen Schwin- gen über ihm, um dann leibhaftig vor ihn hinzu- treten! Erſchrocken ſchaut er auf, ihm däucht, es komme Jemand, wie auf Socken, durch die drei offen in

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 589. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/275>, abgerufen am 25.11.2024.