Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

Aber fassen Sie sich, o seyn Sie ein Mann! Wie
es damals vorüber gegangen, so wird es auch dieß-
mal." "Nein, nimmer, nimmermehr! Sie ist das Opfer
meiner Tollheit! -- Also das noch! Zu schrecklich!
zu gräßlich! -- Was? und das soll ich mit ansehn?
mit diesen Augen das sehn und soll leben? -- Nun,
sey's! Sey's drum; es geht mit uns Beiden zur
Neige. Ich bin es gewärtig, bin's völlig zufrieden,
daß morgen Jemand kommt und mir sagt: Deine
Braut hat Ruhe, Agnes ist gestorben." Er schwieg
eine Weile, fuhr auf und riß im unbändigsten Aus-
bruch von Zorn und von Thränen, nicht wissend, was
er wollte oder that, die Schwester wild an sich her
-- "Wie stehst du da? was gaffst du da?" "Herr,
nicht so! das ist grausam," ruft Margot entrüstet
und nimmt die Zitternde in Schutz, die er wie rasend
von sich weggeschleudert hat. "O," ruft er, die Faust
vor die Stirne geschlagen, "warum wüthet Niemand
gegen mich? warum steh' ich so ruhig, so matt und
erbärmlich in kalter Vernichtung? Ha, würfe mir
irgend ein grimmiger Feind meinen Schmerz in's
Gesicht, vor die Füße! und schölte mich den gottver-
lass'nen Thoren, der ich bin, den dummen Mörder,
der ich bin! streute mir Salz und Glut in die
Wunde -- das sollte mir wohl thun, das sollte mich
stärken" --

"Wir überlassen Sie sich selbst, mein Freund,"
versezte ganz ruhig der Präsident, "und wollen Ihnen

Aber faſſen Sie ſich, o ſeyn Sie ein Mann! Wie
es damals vorüber gegangen, ſo wird es auch dieß-
mal.“ „Nein, nimmer, nimmermehr! Sie iſt das Opfer
meiner Tollheit! — Alſo das noch! Zu ſchrecklich!
zu gräßlich! — Was? und das ſoll ich mit anſehn?
mit dieſen Augen das ſehn und ſoll leben? — Nun,
ſey’s! Sey’s drum; es geht mit uns Beiden zur
Neige. Ich bin es gewärtig, bin’s völlig zufrieden,
daß morgen Jemand kommt und mir ſagt: Deine
Braut hat Ruhe, Agnes iſt geſtorben.“ Er ſchwieg
eine Weile, fuhr auf und riß im unbändigſten Aus-
bruch von Zorn und von Thränen, nicht wiſſend, was
er wollte oder that, die Schweſter wild an ſich her
— „Wie ſtehſt du da? was gaffſt du da?“ „Herr,
nicht ſo! das iſt grauſam,“ ruft Margot entrüſtet
und nimmt die Zitternde in Schutz, die er wie raſend
von ſich weggeſchleudert hat. „O,“ ruft er, die Fauſt
vor die Stirne geſchlagen, „warum wüthet Niemand
gegen mich? warum ſteh’ ich ſo ruhig, ſo matt und
erbärmlich in kalter Vernichtung? Ha, würfe mir
irgend ein grimmiger Feind meinen Schmerz in’s
Geſicht, vor die Füße! und ſchölte mich den gottver-
laſſ’nen Thoren, der ich bin, den dummen Mörder,
der ich bin! ſtreute mir Salz und Glut in die
Wunde — das ſollte mir wohl thun, das ſollte mich
ſtärken“ —

„Wir überlaſſen Sie ſich ſelbſt, mein Freund,“
verſezte ganz ruhig der Präſident, „und wollen Ihnen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0274" n="588"/>
Aber fa&#x017F;&#x017F;en Sie &#x017F;ich, o &#x017F;eyn Sie ein Mann! Wie<lb/>
es damals vorüber gegangen, &#x017F;o wird es auch dieß-<lb/>
mal.&#x201C; &#x201E;Nein, nimmer, nimmermehr! Sie i&#x017F;t das Opfer<lb/>
meiner Tollheit! &#x2014; Al&#x017F;o das noch! Zu &#x017F;chrecklich!<lb/>
zu gräßlich! &#x2014; Was? und das &#x017F;oll ich mit an&#x017F;ehn?<lb/>
mit die&#x017F;en Augen das &#x017F;ehn und &#x017F;oll leben? &#x2014; Nun,<lb/>
&#x017F;ey&#x2019;s! Sey&#x2019;s drum; es geht mit uns Beiden zur<lb/>
Neige. Ich bin es gewärtig, bin&#x2019;s völlig zufrieden,<lb/>
daß morgen Jemand kommt und mir &#x017F;agt: Deine<lb/>
Braut hat Ruhe, <hi rendition="#g">Agnes</hi> i&#x017F;t ge&#x017F;torben.&#x201C; Er &#x017F;chwieg<lb/>
eine Weile, fuhr auf und riß im unbändig&#x017F;ten Aus-<lb/>
bruch von Zorn und von Thränen, nicht wi&#x017F;&#x017F;end, was<lb/>
er wollte oder that, die Schwe&#x017F;ter wild an &#x017F;ich her<lb/>
&#x2014; &#x201E;Wie &#x017F;teh&#x017F;t du da? was gaff&#x017F;t du da?&#x201C; &#x201E;Herr,<lb/>
nicht &#x017F;o! das i&#x017F;t grau&#x017F;am,&#x201C; ruft <hi rendition="#g">Margot</hi> entrü&#x017F;tet<lb/>
und nimmt die Zitternde in Schutz, die er wie ra&#x017F;end<lb/>
von &#x017F;ich wegge&#x017F;chleudert hat. &#x201E;O,&#x201C; ruft er, die Fau&#x017F;t<lb/>
vor die Stirne ge&#x017F;chlagen, &#x201E;warum wüthet Niemand<lb/>
gegen mich? warum &#x017F;teh&#x2019; ich &#x017F;o ruhig, &#x017F;o matt und<lb/>
erbärmlich in kalter Vernichtung? Ha, würfe mir<lb/>
irgend ein grimmiger Feind meinen Schmerz in&#x2019;s<lb/>
Ge&#x017F;icht, vor die Füße! und &#x017F;chölte mich den gottver-<lb/>
la&#x017F;&#x017F;&#x2019;nen Thoren, der ich bin, den dummen Mörder,<lb/>
der ich bin! &#x017F;treute mir Salz und Glut in die<lb/>
Wunde &#x2014; das &#x017F;ollte mir wohl thun, das &#x017F;ollte mich<lb/>
&#x017F;tärken&#x201C; &#x2014;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Wir überla&#x017F;&#x017F;en Sie &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t, mein Freund,&#x201C;<lb/>
ver&#x017F;ezte ganz ruhig der Prä&#x017F;ident, &#x201E;und wollen Ihnen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[588/0274] Aber faſſen Sie ſich, o ſeyn Sie ein Mann! Wie es damals vorüber gegangen, ſo wird es auch dieß- mal.“ „Nein, nimmer, nimmermehr! Sie iſt das Opfer meiner Tollheit! — Alſo das noch! Zu ſchrecklich! zu gräßlich! — Was? und das ſoll ich mit anſehn? mit dieſen Augen das ſehn und ſoll leben? — Nun, ſey’s! Sey’s drum; es geht mit uns Beiden zur Neige. Ich bin es gewärtig, bin’s völlig zufrieden, daß morgen Jemand kommt und mir ſagt: Deine Braut hat Ruhe, Agnes iſt geſtorben.“ Er ſchwieg eine Weile, fuhr auf und riß im unbändigſten Aus- bruch von Zorn und von Thränen, nicht wiſſend, was er wollte oder that, die Schweſter wild an ſich her — „Wie ſtehſt du da? was gaffſt du da?“ „Herr, nicht ſo! das iſt grauſam,“ ruft Margot entrüſtet und nimmt die Zitternde in Schutz, die er wie raſend von ſich weggeſchleudert hat. „O,“ ruft er, die Fauſt vor die Stirne geſchlagen, „warum wüthet Niemand gegen mich? warum ſteh’ ich ſo ruhig, ſo matt und erbärmlich in kalter Vernichtung? Ha, würfe mir irgend ein grimmiger Feind meinen Schmerz in’s Geſicht, vor die Füße! und ſchölte mich den gottver- laſſ’nen Thoren, der ich bin, den dummen Mörder, der ich bin! ſtreute mir Salz und Glut in die Wunde — das ſollte mir wohl thun, das ſollte mich ſtärken“ — „Wir überlaſſen Sie ſich ſelbſt, mein Freund,“ verſezte ganz ruhig der Präſident, „und wollen Ihnen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/274
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 588. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/274>, abgerufen am 09.05.2024.