sey, sich durch eine falsche Idee von Grund aus zu zerstören. Das Unerträgliche, das Fürchterliche dabei ist für die Freunde das Gefühl, daß weder Vernunft noch Gewalt, noch Ueberredung hier irgend etwas thun können, um eine Aussöhnung mit Nolten zu bewir- ken: denn dieß muß entscheiden, und zwar unverzüg- lich, ein jeder Augenblick früher ist, wie bei tödtlicher Vergiftung, mit Gold nicht aufzuwiegen. Aber Ag- nes verrieth den unbezwinglichsten Widerwillen gegen ihren Verlobten; man wußte nicht, war Furcht oder Abscheu größer bei ihr. Wie viel Elisabeth mit- gewirkt, stand nicht zu berechnen, vermuthlich sehr viel; genug ein zweimaliger, erst bittender, dann stürmischer Versuch, den Theobald heute gemacht, sich Zutritt bei der Braut zu verschaffen, hätte sie eher bis zu Konvul- sionen getrieben, als daß sie diesem sehnlichsten Ver- langen würde nachgegeben haben. So mußte man der Zeit und dem leidigen Zufall die Entwicklung fast ganz überlassen.
Die sonderbar verlegene Spannung der vier im Zimmer sitzenden Personen isolirte nun ein Jedes auf seltsame Weise. Es war, als könnte man gar nicht reden, als müßte jeder Laut, wie in luftleerem Raume, kraftlos und unhörbar an den Lippen verschwinden, ja, als verhindere ein undurchdringlicher Nebel, daß Eins das Andre recht gewahr werden könne.
Nannette war die Unbefangenste. Sie stellte der Reihe nach ihre Betrachtungen an. Es kam ihr
ſey, ſich durch eine falſche Idee von Grund aus zu zerſtören. Das Unerträgliche, das Fürchterliche dabei iſt für die Freunde das Gefühl, daß weder Vernunft noch Gewalt, noch Ueberredung hier irgend etwas thun können, um eine Ausſöhnung mit Nolten zu bewir- ken: denn dieß muß entſcheiden, und zwar unverzüg- lich, ein jeder Augenblick früher iſt, wie bei tödtlicher Vergiftung, mit Gold nicht aufzuwiegen. Aber Ag- nes verrieth den unbezwinglichſten Widerwillen gegen ihren Verlobten; man wußte nicht, war Furcht oder Abſcheu größer bei ihr. Wie viel Eliſabeth mit- gewirkt, ſtand nicht zu berechnen, vermuthlich ſehr viel; genug ein zweimaliger, erſt bittender, dann ſtürmiſcher Verſuch, den Theobald heute gemacht, ſich Zutritt bei der Braut zu verſchaffen, hätte ſie eher bis zu Konvul- ſionen getrieben, als daß ſie dieſem ſehnlichſten Ver- langen würde nachgegeben haben. So mußte man der Zeit und dem leidigen Zufall die Entwicklung faſt ganz überlaſſen.
Die ſonderbar verlegene Spannung der vier im Zimmer ſitzenden Perſonen iſolirte nun ein Jedes auf ſeltſame Weiſe. Es war, als könnte man gar nicht reden, als müßte jeder Laut, wie in luftleerem Raume, kraftlos und unhörbar an den Lippen verſchwinden, ja, als verhindere ein undurchdringlicher Nebel, daß Eins das Andre recht gewahr werden könne.
Nannette war die Unbefangenſte. Sie ſtellte der Reihe nach ihre Betrachtungen an. Es kam ihr
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ſey, ſich durch eine falſche Idee von Grund aus zu
zerſtören. Das Unerträgliche, das Fürchterliche dabei
iſt für die Freunde das Gefühl, daß weder Vernunft
noch Gewalt, noch Ueberredung hier irgend etwas thun
können, um eine Ausſöhnung mit Nolten zu bewir-
ken: denn dieß muß entſcheiden, und zwar unverzüg-
lich, ein jeder Augenblick früher iſt, wie bei tödtlicher
Vergiftung, mit Gold nicht aufzuwiegen. Aber Ag-
nes verrieth den unbezwinglichſten Widerwillen gegen
ihren Verlobten; man wußte nicht, war Furcht oder
Abſcheu größer bei ihr. Wie viel Eliſabeth mit-
gewirkt, ſtand nicht zu berechnen, vermuthlich ſehr viel;
genug ein zweimaliger, erſt bittender, dann ſtürmiſcher
Verſuch, den Theobald heute gemacht, ſich Zutritt bei
der Braut zu verſchaffen, hätte ſie eher bis zu Konvul-
ſionen getrieben, als daß ſie dieſem ſehnlichſten Ver-
langen würde nachgegeben haben. So mußte man
der Zeit und dem leidigen Zufall die Entwicklung faſt
ganz überlaſſen.
Die ſonderbar verlegene Spannung der vier im
Zimmer ſitzenden Perſonen iſolirte nun ein Jedes auf
ſeltſame Weiſe. Es war, als könnte man gar nicht
reden, als müßte jeder Laut, wie in luftleerem Raume,
kraftlos und unhörbar an den Lippen verſchwinden, ja,
als verhindere ein undurchdringlicher Nebel, daß Eins
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Nannette war die Unbefangenſte. Sie ſtellte
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 582. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/268>, abgerufen am 24.11.2024.
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