ich längst heimgeschickte Stürme vom sichern Hafen der Gegenwart aus anbetend segne, hier an deiner Seite, du Einzige, du Theure, ach schon zum zweiten Mal und nun auf Ewig Mein-Gewordene! Ja, in den seligen Triumph so schwer geprüfter Liebe mische sich die sanfte Trauer um den Freund, der uns -- du wirst es hören -- zu diesem schönen Ziel gelei- tet hat.
Agnes! nimm diesen Kuß! gib ihn mir zu- rück! Er sey statt eines Schwurs, daß unser Bund ewig und unantastbar, erhaben über jeden Argwohn, in deinem wie in meinem Herzen stehe, daß du, was ich auch sagen möge, nicht etwa rückwärts sorgend, dir den rein und hell gekehrten Boden unsrer Liebe verstören und verkümmern wollest.
Ein Anderer an meinem Platz würde mit Schwei- gen und Verhehlen am sichersten zu gehen glauben, mir ist's nicht möglich, ich muß das verachten, o und -- nicht wahr? meine Agnes wird mich verstehen! -- Was ich von eigner Schuld zu beichten habe, kann in den Augen des gerechten Himmels selbst, ich weiß das sicher, den Namen kaum der Schuld verdienen; und doch, so leicht wird die rechtfertige Vernunft von dem schreckhaften Gewissen angesteckt, daß noch in tausend Augenblicken und eben dann, wenn ich den Himmel deiner Liebe in vollen Zügen in mich trinke, am grau- samsten, mich das Gedächtniß meines Irrthums, wie eines Verbrechens befällt. Ja, wenn ich anders mich
ich längſt heimgeſchickte Stürme vom ſichern Hafen der Gegenwart aus anbetend ſegne, hier an deiner Seite, du Einzige, du Theure, ach ſchon zum zweiten Mal und nun auf Ewig Mein-Gewordene! Ja, in den ſeligen Triumph ſo ſchwer geprüfter Liebe miſche ſich die ſanfte Trauer um den Freund, der uns — du wirſt es hören — zu dieſem ſchönen Ziel gelei- tet hat.
Agnes! nimm dieſen Kuß! gib ihn mir zu- rück! Er ſey ſtatt eines Schwurs, daß unſer Bund ewig und unantaſtbar, erhaben über jeden Argwohn, in deinem wie in meinem Herzen ſtehe, daß du, was ich auch ſagen möge, nicht etwa rückwärts ſorgend, dir den rein und hell gekehrten Boden unſrer Liebe verſtören und verkümmern wolleſt.
Ein Anderer an meinem Platz würde mit Schwei- gen und Verhehlen am ſicherſten zu gehen glauben, mir iſt’s nicht möglich, ich muß das verachten, o und — nicht wahr? meine Agnes wird mich verſtehen! — Was ich von eigner Schuld zu beichten habe, kann in den Augen des gerechten Himmels ſelbſt, ich weiß das ſicher, den Namen kaum der Schuld verdienen; und doch, ſo leicht wird die rechtfertige Vernunft von dem ſchreckhaften Gewiſſen angeſteckt, daß noch in tauſend Augenblicken und eben dann, wenn ich den Himmel deiner Liebe in vollen Zügen in mich trinke, am grau- ſamſten, mich das Gedächtniß meines Irrthums, wie eines Verbrechens befällt. Ja, wenn ich anders mich
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ich längſt heimgeſchickte Stürme vom ſichern Hafen
der Gegenwart aus anbetend ſegne, hier an deiner
Seite, du Einzige, du Theure, ach ſchon zum zweiten
Mal und nun auf Ewig Mein-Gewordene! Ja, in
den ſeligen Triumph ſo ſchwer geprüfter Liebe miſche
ſich die ſanfte Trauer um den Freund, der uns —
du wirſt es hören — zu dieſem ſchönen Ziel gelei-
tet hat.
Agnes! nimm dieſen Kuß! gib ihn mir zu-
rück! Er ſey ſtatt eines Schwurs, daß unſer Bund
ewig und unantaſtbar, erhaben über jeden Argwohn,
in deinem wie in meinem Herzen ſtehe, daß du, was
ich auch ſagen möge, nicht etwa rückwärts ſorgend,
dir den rein und hell gekehrten Boden unſrer Liebe
verſtören und verkümmern wolleſt.
Ein Anderer an meinem Platz würde mit Schwei-
gen und Verhehlen am ſicherſten zu gehen glauben,
mir iſt’s nicht möglich, ich muß das verachten, o und
— nicht wahr? meine Agnes wird mich verſtehen! —
Was ich von eigner Schuld zu beichten habe, kann in
den Augen des gerechten Himmels ſelbſt, ich weiß das
ſicher, den Namen kaum der Schuld verdienen; und
doch, ſo leicht wird die rechtfertige Vernunft von dem
ſchreckhaften Gewiſſen angeſteckt, daß noch in tauſend
Augenblicken und eben dann, wenn ich den Himmel
deiner Liebe in vollen Zügen in mich trinke, am grau-
ſamſten, mich das Gedächtniß meines Irrthums, wie
eines Verbrechens befällt. Ja, wenn ich anders mich
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 565. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/251>, abgerufen am 22.11.2024.
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