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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

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Herzenslust darauf ergehe, derweil seine Mutter die
Zimmer reinigt. Er lobte mir neulich den Ton des
Flügels mit solchem Feuer, daß er sich mit seinem
Geheimniß verschnappte, er wurde plötzlich blutroth
und ich hätte fürwahr viel gegeben, um einen Augen-
blick selbst zu erblinden und kein Zeuge dieser Beschä-
mung zu seyn. Es blieb nichts übrig, als ihn auf-
zufordern, sogleich eine Sonate mit mir zu probiren,
die er mir und meinem Bruder abgehört hatte. Nichts
geht ihm über das Vergnügen, vierhändig zu spielen.
Das Stück, wovon ich rede, ist eines von den schwe-
rern, allein es ging durchweg fast ohne Anstoß."

Der Präsident stand eben mit dem Maler auf
der rechten Seite des Schlosses, als die Mädchen ge-
gen den Hof herkamen; sie sprachen dort über eine
gewisse Baukuriosität, der wir gelegentlich auch einen
Blick schenken müssen. Es endigte sich nämlich jener
Flügel mit einer breitstufigen Steintreppe, welche vor
den Fenstern des oberen Stocks ein Belvedere an-
sezte und, hüben und drüben mit einem Geländer ver-
sehen, auf steinernen Bogen herablief. Mit der lezten
Stufe an der Erde trat man in ein niedliches Rosen-
gärtchen, welches im Viereck von einer niedern, künst-
lich ausgehauenen Balustrade umgeben, einer Seits
auf den Abhang des Schloßbergs hinuntersah, ande-
rer Seits durch ein eisernes Gatter in die Allee ein-
führte. Alles das fand sich in den gleichen Verhält-
nissen auch auf der entgegengesezten Flanke des Ge-

Herzensluſt darauf ergehe, derweil ſeine Mutter die
Zimmer reinigt. Er lobte mir neulich den Ton des
Flügels mit ſolchem Feuer, daß er ſich mit ſeinem
Geheimniß verſchnappte, er wurde plötzlich blutroth
und ich hätte fürwahr viel gegeben, um einen Augen-
blick ſelbſt zu erblinden und kein Zeuge dieſer Beſchä-
mung zu ſeyn. Es blieb nichts übrig, als ihn auf-
zufordern, ſogleich eine Sonate mit mir zu probiren,
die er mir und meinem Bruder abgehört hatte. Nichts
geht ihm über das Vergnügen, vierhändig zu ſpielen.
Das Stück, wovon ich rede, iſt eines von den ſchwe-
rern, allein es ging durchweg faſt ohne Anſtoß.“

Der Präſident ſtand eben mit dem Maler auf
der rechten Seite des Schloſſes, als die Mädchen ge-
gen den Hof herkamen; ſie ſprachen dort über eine
gewiſſe Baukurioſität, der wir gelegentlich auch einen
Blick ſchenken müſſen. Es endigte ſich nämlich jener
Flügel mit einer breitſtufigen Steintreppe, welche vor
den Fenſtern des oberen Stocks ein Belvedere an-
ſezte und, hüben und drüben mit einem Geländer ver-
ſehen, auf ſteinernen Bogen herablief. Mit der lezten
Stufe an der Erde trat man in ein niedliches Roſen-
gärtchen, welches im Viereck von einer niedern, künſt-
lich ausgehauenen Baluſtrade umgeben, einer Seits
auf den Abhang des Schloßbergs hinunterſah, ande-
rer Seits durch ein eiſernes Gatter in die Allee ein-
führte. Alles das fand ſich in den gleichen Verhält-
niſſen auch auf der entgegengeſezten Flanke des Ge-

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[542/0228] Herzensluſt darauf ergehe, derweil ſeine Mutter die Zimmer reinigt. Er lobte mir neulich den Ton des Flügels mit ſolchem Feuer, daß er ſich mit ſeinem Geheimniß verſchnappte, er wurde plötzlich blutroth und ich hätte fürwahr viel gegeben, um einen Augen- blick ſelbſt zu erblinden und kein Zeuge dieſer Beſchä- mung zu ſeyn. Es blieb nichts übrig, als ihn auf- zufordern, ſogleich eine Sonate mit mir zu probiren, die er mir und meinem Bruder abgehört hatte. Nichts geht ihm über das Vergnügen, vierhändig zu ſpielen. Das Stück, wovon ich rede, iſt eines von den ſchwe- rern, allein es ging durchweg faſt ohne Anſtoß.“ Der Präſident ſtand eben mit dem Maler auf der rechten Seite des Schloſſes, als die Mädchen ge- gen den Hof herkamen; ſie ſprachen dort über eine gewiſſe Baukurioſität, der wir gelegentlich auch einen Blick ſchenken müſſen. Es endigte ſich nämlich jener Flügel mit einer breitſtufigen Steintreppe, welche vor den Fenſtern des oberen Stocks ein Belvedere an- ſezte und, hüben und drüben mit einem Geländer ver- ſehen, auf ſteinernen Bogen herablief. Mit der lezten Stufe an der Erde trat man in ein niedliches Roſen- gärtchen, welches im Viereck von einer niedern, künſt- lich ausgehauenen Baluſtrade umgeben, einer Seits auf den Abhang des Schloßbergs hinunterſah, ande- rer Seits durch ein eiſernes Gatter in die Allee ein- führte. Alles das fand ſich in den gleichen Verhält- niſſen auch auf der entgegengeſezten Flanke des Ge-

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 542. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/228>, abgerufen am 24.11.2024.