Egoismus, die Grille seiner Feigheit oder seines Trotzes, durch ein willkürlich System sanktionirt, und wie leicht es ihm wird, einen schiefen oder halbwahren Gedanken durch das Wort komplet zu machen. Denn du gibst mir doch zu --"
"Hör' auf! ich bitte dich," rief Theobald leb- haft, "hör' auf mit diesem Ton! du machst, daß ich be- reue, dir mein Innerstes aufgeschlossen, dir das heilig- ste Gefühl bloßgestellt zu haben, das mir kein Mensch unter der Sonne von den Lippen gelockt hätte, wenn es der Freund nicht wäre, von dem ich eine liebevolle Theilnahme an meiner Sinnesart erwarten durfte, selbst wenn sie der seinigen zuwider liefe. Höre, ich kenne dich als einen verständigen und klugen Mann, nur was gewisse Dinge anbelangt, gewisse Eigenheiten eines treuen Gemüths, so hätt' ich nicht vergessen sollen, daß wir von jeher vergeblich drüber disputirten. Laß uns von diesem Punkte lieber gleich abgehn und thun, als wäre von Nichts die Rede gewesen; es braucht's auch nicht, da ich meinen Weg verfolgen kann, unbeschadet unseres bisherigen Verhältnisses"
"Doch wirst du mir nicht zumuthen," antwortete Larkens, "ich soll dich stillschweigend einer Grille überlassen, die dir nur schädlich werden kann. -- Vor der Hand finde ich deinen Irrthum verzeihlich; das Unglück macht den Menschen einsam und hypochon- drisch, er zieht den Zaun dann gern so knapp wie möglich um sein Häuschen. Ich selber könnte wohl
Egoismus, die Grille ſeiner Feigheit oder ſeines Trotzes, durch ein willkürlich Syſtem ſanktionirt, und wie leicht es ihm wird, einen ſchiefen oder halbwahren Gedanken durch das Wort komplet zu machen. Denn du gibſt mir doch zu —“
„Hör’ auf! ich bitte dich,“ rief Theobald leb- haft, „hör’ auf mit dieſem Ton! du machſt, daß ich be- reue, dir mein Innerſtes aufgeſchloſſen, dir das heilig- ſte Gefühl bloßgeſtellt zu haben, das mir kein Menſch unter der Sonne von den Lippen gelockt hätte, wenn es der Freund nicht wäre, von dem ich eine liebevolle Theilnahme an meiner Sinnesart erwarten durfte, ſelbſt wenn ſie der ſeinigen zuwider liefe. Höre, ich kenne dich als einen verſtändigen und klugen Mann, nur was gewiſſe Dinge anbelangt, gewiſſe Eigenheiten eines treuen Gemüths, ſo hätt’ ich nicht vergeſſen ſollen, daß wir von jeher vergeblich drüber disputirten. Laß uns von dieſem Punkte lieber gleich abgehn und thun, als wäre von Nichts die Rede geweſen; es braucht’s auch nicht, da ich meinen Weg verfolgen kann, unbeſchadet unſeres bisherigen Verhältniſſes“
„Doch wirſt du mir nicht zumuthen,“ antwortete Larkens, „ich ſoll dich ſtillſchweigend einer Grille überlaſſen, die dir nur ſchädlich werden kann. — Vor der Hand finde ich deinen Irrthum verzeihlich; das Unglück macht den Menſchen einſam und hypochon- driſch, er zieht den Zaun dann gern ſo knapp wie möglich um ſein Häuschen. Ich ſelber könnte wohl
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Egoismus, die Grille ſeiner Feigheit oder ſeines Trotzes,
durch ein willkürlich Syſtem ſanktionirt, und wie leicht
es ihm wird, einen ſchiefen oder halbwahren Gedanken
durch das Wort komplet zu machen. Denn du gibſt
mir doch zu —“
„Hör’ auf! ich bitte dich,“ rief Theobald leb-
haft, „hör’ auf mit dieſem Ton! du machſt, daß ich be-
reue, dir mein Innerſtes aufgeſchloſſen, dir das heilig-
ſte Gefühl bloßgeſtellt zu haben, das mir kein Menſch
unter der Sonne von den Lippen gelockt hätte, wenn
es der Freund nicht wäre, von dem ich eine liebevolle
Theilnahme an meiner Sinnesart erwarten durfte, ſelbſt
wenn ſie der ſeinigen zuwider liefe. Höre, ich kenne
dich als einen verſtändigen und klugen Mann, nur was
gewiſſe Dinge anbelangt, gewiſſe Eigenheiten eines
treuen Gemüths, ſo hätt’ ich nicht vergeſſen ſollen, daß
wir von jeher vergeblich drüber disputirten. Laß uns
von dieſem Punkte lieber gleich abgehn und thun, als
wäre von Nichts die Rede geweſen; es braucht’s auch
nicht, da ich meinen Weg verfolgen kann, unbeſchadet
unſeres bisherigen Verhältniſſes“
„Doch wirſt du mir nicht zumuthen,“ antwortete
Larkens, „ich ſoll dich ſtillſchweigend einer Grille
überlaſſen, die dir nur ſchädlich werden kann. — Vor
der Hand finde ich deinen Irrthum verzeihlich; das
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/21>, abgerufen am 28.11.2024.
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